Verschiedene: Die zehnte Muse | |
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In Thränen schwimmen die Gesichter,
Ein toller Beifallssturm erschallt,
Man ruft berauscht den kühnen Dichter – –
»Komm, Mann! sonst wird die Suppe kalt!«
Noch einmal!
(Lied einer Modegrösse.)
Einst rauschten wilde Frühlingswetter
Durch dieses Herz voll[WS 1] Ungestüm –
Heut[WS 2] schreib’ ich für Familienblätter
Histörchen auf von »ihr« und »ihm«.
Von Leidenschaft, die fehlt und irrt, –
Heut[WS 3] sorg’ ich nur, dass »sie sich kriegen«
Und die Moral gerettet wird.
Einst Gast im Garten, drin die Schlange,
Spazier’ ich nun im Thal schon lange,
Wo noch der Storch die Kinder bringt.
Ich schwärme brav mit Fritz und Kätchen;
Dass Liebe sündigt – ahn’ ich kaum
Sein Büchlein unter’n Weihnachtsbaum.
Einst stürmt’ ich keuchend mit Titanen
Der Götter Burg in Sturm und Not,
Heut roll’ ich hin auf glatten Bahnen
Mein Hirn wirft eine hübsche Rente,
Ich lobe Staat und Unterricht;
Und dass man wo was bessern könnte
An dieser Welt – ich ahn’ es nicht.
Ich werd’ gekauft, gelobt, besucht;
Ich bin ein »erster deutscher Dichter«,
Als solcher am Parnass gebucht . . .
Nur – wenn mich Siebzehnjähr’ge preisen
Ist mir’s, ich müsst’ zusammenschmeissen,
Was ich in dreissig Jahr’n gebaut;
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/196&oldid=- (Version vom 17.7.2018)