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Verschiedene: Die zehnte Muse

Das Philisterparadies.

Heil im Philisterparadies
Giebt’s grade Wege mit gelbem Kies,
Unkraut wird nicht darin gelitten,
Die Hecken sind alle fein beschnitten,

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Die Bäume gleichen an Wuchs Grenadieren,

Damit man möge darunter spazieren
Im Gefühle persönlicher Sicherheit
Zu jeder anständigen Tageszeit.
Am Eingang grüsst, statt Versgeschwafel,

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Eine bildsaubere Warnungstafel,

Worauf Verordnungen und Strafen
Zu lesen in deutlichen Paragraphen:
Du sollst deinen Mops an der Leine führen,
Du sollst nicht etwa Lust verspüren,

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Dich irgendwo ins Gras zu legen,

Oder im Tanzschritt dich zu bewegen.
Du sollst auch nur mit gestärktem Kragen
Dich unter honette Leute wagen –
Macht nichts, wenn der den Hals dir ritzt,

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Wenn nur der Shlips hübsch grade sitzt.

Verboten ist überhaupt und allen,
Im Paradiese aufzufallen.
Civil- und Weibspersonen zumal –
Richten sich nach dem Modejournal,

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Doch zeigt sich echte Gesinnung nur

In Uniform und in Montur.
Kinder, ferner, sind nur erlaubt,
Soweit das legitime Familienhaupt
Sich allseitig verbürgt für seine Sprossen.

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(Natürliche Kinder sind ausgeschlossen.)

Weiters, obliegt es dem Herrn Gendarm,
Von Liebespaaren, die Arm in Arm
Betroffen werden auf einsamen Wegen,
Die Papiere (schriftlichen Elternsegen),

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Sowie die Trauringe zu erfordern,

Mangelndenfalls sie hinaus zu beordern.
Die vorschriftsmässige Sittlichkeit
Erheischt nach Einbruch der Dunkelheit
Reinliche Trennung der Geschlechter

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Durch den zuständigen Herrn Nachtwächter

Verschlossen ist streng das Paradies
Für Malcontente und für Genies,
Doch steht es offen für jedermann,
Der seinen Stumpfsinn beweisen kann.

Ernst von Wolzogen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/177&oldid=- (Version vom 31.7.2018)