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es die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkenne, „so wird der fahrende Segen des Gotteswortes darüber hinziehen und eitel Wüstenei zurücklassen,“ er klagt, daß seine Prophezeiungen alle in Erfüllung gegangen seien, so daß er sich vor ihnen selbst fürchte, „der Saufteufel und allerlei greuliche Unzucht werde sein Volk verstören!“

 Und wie hat er die Sprache seines Volkes geliebt, „schwerfällig und mühsam mit Lehnwörtern, Hof- und Schloßreden durchsetzt“ schlich deutsches Sprachtum dahin. Nachdem der Minnegesang in der Not der Zeit verstummt und die Volkspredigt immer seltener geworden war, schien die deutsche Sprache hinzusterben, arm in ihren Ausdrücken, unzureichend in ihren Wortbildungen, ein unwertes Gefäß, nicht mehr fähig, das Geheimnis des Geistes aufzunehmen. Da hat Luther dem Volke die Zunge gelöst und ihm die Lippen gerührt und es sprechen lehren herrlicher wie je zuvor. Volkssprache, Volksbuch, Volkssang und Volkskunst hat seine Treue in einem geschenkt.

 Es ist uns nicht unbekannt, daß – als auf der Wartburg zum zweiten Mal der deutschen Sprache ein Frühling erblühte und Moses und die Propheten, Christus und die Apostel deutsch zu sprechen sich freundlich herbeiließen – über 70 Bibelübersetzungen durch die Lande gingen, unhandlich, ungelenk, unberedt und unbestimmt, aber weil die Treue auch die arme Blume am Weg und den schlichten Sang des Waldvögleins achtet und ehrt, wurde Luthers Uebersetzung zu großen Dingen befähigt, sie durfte die herrlichsten Kränze edelster Blüten, herrlichster Blumen Christo und seinem Wort zu Füßen legen und den Hochgesang anstimmen, der seit Jahrhunderten in ununterbrochener Fülle und Folge durch deutsche Gaue rauschte. Seit Luther, „dem Aesop, Mosi und Christo die Hütten baute,“ ist die deutsche Sprache eine Königin geworden, reich in ihrer Schlichtheit, bezeichnend in ihrer Kürze, ahnungsvoll und doch durchsichtig klar. Wie gern läßt uns Luther in die Werkstätte des Geistes schauen, wo er seine Schrift vom Dolmetschern aussendet oder von seinen Bibelstudien

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Hermann von Bezzel: Die deutsche Art in Luther. ohne Verlag, 1910, Seite 06. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_deutsche_Art_in_Luther_06.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)