Seite:Die Volkssagen der Stadt Freiburg im Breisgau.djvu/117

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ziehen. Sie rüstete sich als Pilgerin, täuschte alle Fragenden dadurch, daß sie eine Wallfahrt nach Mariastein bei Reinach vorschützte, nach einer als gnadenreich bekannten Bergkapelle, die in der Gegend stand, wo ihr treuloser Bräutigam sich derzeit aufhalten sollte. Sie kam nach kurzer Fahrt glücklich im Dorfe Aesch an, unweit der Burg des Thiersteiners, und hörte dort zu ihrem Schrecken die Bestätigung all dessen, was das Gerücht ihr schon daheim berichtet hatte. Aber immer noch wollte sie es nicht für wahr halten, wollte sie das Vertrauen zu den Schwüren ihres Bräutigams nicht ganz aufgeben. Von Zweifel und Angst getrieben schritt sie am Flusse entlang zur Burg und begegnete zufällig den Liebesleuten auf der Brücke. Diese hatten die Außenwelt um sich so gänzlich vergessen, daß sie die Pilgerin gar nicht beachteten, ihr Kosen Angesichts ihrer nicht einstellten. Die arme Jutta erkannte auf den ersten Blick die Tiefe ihres Elends und stieß sich in dem Drange der Verzweiflung unter lautem Schmerzensrufe einen Dolch in die Brust, den sie wohl nur ihrer Sicherheit halber verborgen mit sich geführt hatte. Ihr Schrei, ihr Fall zog die beiden Lustwandelnden herbei, sie aber wollte den Ritter oder die Nebenbuhlerin nicht mehr schauen, nicht mehr hören: sie stürzte sich mit verwirrtem Blicke über das Brückengeländer hinab in die reißende Birs.

Veit hatte die ältere Braut gleich in der stürzenden Pilgerin erkannt, er sah nun, auf das Brückengeländer zueilend, noch einmal deren Oberleib aus der schäumenden Fluth auftauchen, sah deren drohende Stirne, sah die Wellen umher vom Blute geröthet. Von diesem Augenblick an war ihm, als ob er der Mörder gewesen, als ob er den Dolch gegen den liebenden Busen gezückt hätte. Ohne an die von dem grausigen Auftritt ohnmächtig gewordene Gräfin v. Thierstein zu denken, trieb es ihn fort durch das Dorf Aesch, Knappen und Rosse ließ er in der Herberge und

Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Schreiber: Die Volkssagen der Stadt Freiburg im Breisgau. Franz Xaver Wrangler, Freiburg 1867, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Volkssagen_der_Stadt_Freiburg_im_Breisgau.djvu/117&oldid=- (Version vom 31.7.2018)