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Wunderbar und erstaunlich ist es nur für unser Vorurteil, das infolge der Entwickelung am Absoluten hängt[1]).

7. Vor der Relativitätstheorie waren Raum und Zeit wie einzige, nur einmal vorhandene große Behälter, von denen alles umfaßt wurde und darin alle Vorgänge abliefen. Jedem Punkte eines Körpers glaubte man eine einzige ganz bestimmte Stelle in jenem absoluten Raume als seinen wahren, absoluten Ort zuschreiben zu können, und ebenso jeder Phase eines Vorganges eine einzige bestimmte Stelle in dem absoluten Verlaufe der Zeit als ihren absoluten, wahren Augenblick. Die Gestalten der Körper sollten nur durch Kräfte, nicht durch bloße Ortsänderung deformierbar sein. Alle relativen Beziehungen der Körper und Ereignisse sollten in jenen absoluten Raum- und Zeitlagen ihren letzten Halt, ihre letzte unverrückbare Grundlage finden. Das Relative sollte nur Inhalt des Absoluten, ohne das Absolute überhaupt nicht denkbar sein. So dachte sich Newton die Dinge und mit ihm die Mehrzahl der Physiker bis auf den heutigen Tag.

Doch hat Mach schon vor mehr als 40 Jahren in diese Auffassung mit seiner tiefbohrenden Kritik der Newtonschen Aufstellungen Bresche gelegt[2]). Und wer diesen allerdings gewaltigen Schritt mitgemacht hatte, dem wurde durch die Relativitätstheorie keineswegs so viel zugemutet, wie Planck meinte und so lebhaft schilderte. Ja, diese umstürzende Lehre wäre von Einstein gewiß nicht aufgestellt worden, wenn er nicht in der von Mach geschaffenen Atmosphäre aufgewachsen wäre. Man sieht auch, wie unnötig die Besorgnis[3]) ist, daß Machs Lehren auf die Phantasie der führenden Geister lähmend wirken könnten. Das Gegenteil ist richtig: sie haben die Forschung beflügelt, weil sie die Geister frei gemacht haben, frei vom Absoluten, von der Metaphysik.

Schon der gewiß von großer Vorurteilslosigkeit zeugende Gedanke der Lorentz und Fitzgerald, daß die absolute Bewegung der Körper eine Verkürzung in der Bewegungsrichtung bedingt, muß als eine Wirkung der von Mach und Kirchhoff gegebenen Anregungen angesehen werden. Wurden vorher nur die physikalischen

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie im erkenntnistheoretischen Zusammenhange des relativistischen Positivismus, Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, 14. Jahrgang. , Braunschweig 1912, Seite 1060. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_(Petzoldt_1912).djvu/6&oldid=- (Version vom 12.6.2024)
  1. Petzoldt, Das Weltproblem vom Standpunkte des relativistischen Positivismus aus. 2. Aufl. Leipzig 1912. Bd. XIV der Teubnerschen Sammlung „Wissenschaft und Hypothese“.
  2. Man lese heute, nach dem Auftreten der Relativitätstheorie, nur einmal die oben, S. 9, Anmerk., angegebenen Stellen aus Machs „Erhaltung der Arbeit“.
  3. Planck, Die Einheit des physikalischen Weltbildes, S. 37. Leipzig 1909.