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4. Sehr drastisch läßt sich die soeben vollzogene Aufhebung des Gegensatzes von Sein und Sinnenschein am Fall der Relativdrehung der Erde und des Fixsternhimmels klarlegen. Ein Auto, das auf einem Parallelkreise in 24 Stunden einmal um die Erde von Ost nach West herumlaufen würde, kann als in starrer Verbindung mit der Sonne angesehen werden. Da wir nun nicht anstehen werden, der Bewegung des Autos in diesem besonderen Falle dasselbe Maß von Wirklichkeit zuzugestehen, wie einer ganz beliebigen Autofahrt auf irgend einer ganz beliebig gerichteten Straße, sind wir logisch gezwungen, auch die Bewegung der Sonne um die Erde in 24 Stunden als durchaus wirklich zu beurteilen[1]).

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Petzoldt: Die Relativitätstheorie im erkenntnistheoretischen Zusammenhange des relativistischen Positivismus, Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, 14. Jahrgang. , Braunschweig 1912, Seite 1057. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Relativit%C3%A4tstheorie_(Petzoldt_1912).djvu/3&oldid=- (Version vom 12.6.2024)
  1. In der Diskussion wandte Herr Gehrcke ein, daß die absolute Bewegung des Autos an den Zentrifugalkräften erkannt werden würde, die sich an ihm zeigen müßten. Was kann uns denn aber zwingen, das Auftreten von Zentrifugalvorgängen einer niemals aufweisbaren absoluten Bewegung zuzuschreiben, während die Erfahrung es immer nur an relative gebunden zeigt? Wir müssen unsere Theorien den Tatsachen anpassen, nicht aber die Tatsachen unter metaphysische Vorstellungen beugen wollen.
    Übrigens muß es von Herrn Gehrckes Standpunkt aus recht zweifelhaft sein, ob in dem angenommenen Falle das Auto noch Zentrifugalvorgänge zeigen würde. Denn für ihn wäre ja nicht sowohl das mit der Sonne starr verbundene Auto als die sich darunter umwälzende Erde bewegt. Träten aber wirklich Zentrifugalvorgänge auf — die doch am Fixsternhimmel und der Sonne bei ihrer Relativdrehung um die Erde bisher nicht zu beobachten waren —, so wäre das ein Beweis für die Vermutung Machs, die von den Gebrüdern Friedländer und von Föppl experimentell zu bestätigen versucht worden ist — einstweilen allerdings ohne Erfolg: für die Vermutung, daß alle Relativdrehungen Zentrifugalvorgänge bedingen. Man könnte die Frage vielleicht durch Pendelversuche auf ost—westwärts und umgekehrt fahrenden Schiffen und Eisenbahnzügen fördern. Die beiden Fahrtrichtungen könnten bei gleichen Fahrtgeschwindigkeiten für gleiche Zeiten verschiedene Schwingungszahlen ergeben.
    Im übrigen erinnere ich an die Erörterungen, die im vorigen und gegenwärtigen Jahrgange der vorliegenden „Verhandlungen“ zwischen den Herren Gehrcke und Grünbaum stattgefunden haben. Man vergleiche auch die Arbeit von Gehrcke „Über den Sinn der absoluten Bewegung von Körpern“ in den Sitzber. d. Bayr. Akad. d. Wiss., math.-phys. Kl., 1912, S. 209 ff. Ich darf wohl auch auf meine Arbeit verweisen: „Die Gebiete der absoluten und der relativen Bewegung“ in Ostwalds Annalen d. Naturphilos. VII, 1908, S. 29 ff. Daß es sich bei der Beschreibung der Naturvorgänge zuletzt nur um relative handeln kann, vermag man heute nicht mehr in begründeten Zweifel zu ziehen. Fraglich scheint mir nur, ob die physikalische Theorie schon so weit entwickelt ist, daß sie bald auch im Falle der Zentrifugalkräfte auf einen durch Konvention festzulegenden Begriff absoluter Bewegung verzichten kann. Man darf auch nicht vergessen, daß sich alle unsere Beschreibungen noch auf den metrischen Raum beziehen, der niemals in der Erfahrung gegeben und noch immer eine Art absoluter Raum per conventionem ist. Vgl. Petzoldt, a. a. O.