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Und wenn es gilt, einen Volksvertreter zu wählen, so frage ich zunächst nicht danach, ob der Mann, dem ich mein Vertrauen schenken soll, als Antisemite bezeichnet wird, sondern meine erste Frage geht dahin, ob dieser Mann von christlichen Grundsätzen durchdrungen, von dem Geiste des seligen Windthorst beseelt ist, und in diesem Geiste denkt und handelt; ich frage, ob er ein mann des Centrums ist, der Recht, Wahrheit und Freiheit für alle Staatsbürger will, und wenn er sich zu diesen christlichen, wahrhaft volksfreundlichen Grundsätzen bekennt, dann schenke ich ihm mein Vertrauen und gebe ihm meine Stimme zum Volksvertreter.

„Die Juden sind des deutschen Bürgerrechtes nicht würdig,“ sagen die Antisemiten, „denn sie haben erst vor vierzig Jahren das Bürgerrecht in Deutschland erhalten, aber der Erwartung nicht entsprochen, die man in sie setzte. Sie haben sich nicht bemüht, im deutschen Volke aufzugehen und sich auf gleiche Stufe mit demselben zu erheben.“ – Darauf müssen wir erwidern, daß es den Juden niemals gelingen würde, wenn sie auch wollten, in den Völkern, unter denen sie leben, aufzugehen; denn nach dem Plane Gottes müssen sie als Zeugen für das Christentum und seine Wahrheit unter den Völkern einhergehen, bis auch sie am Zeitenende in die Kirche eintreten, und Ein Hirt und Eine Herde sein wird. Wenn aber die Antisemiten sagen, daß erst vor vierzig Jahren die Juden das Bürgerrecht in Deutschland erhielten, so liegt gerade in diesem kurzen Zeitraume der Grund, warum man von den Juden im Ganzen und allgemeinen noch nicht erwarten darf, daß sie sich auf die gleiche Stufe mit uns erhoben haben. Nach der Dienstbarkeit in Ägypten, welche vierhundert Jahre dauerte, mußten die Juden vierzig Jahre lang eine strenge Volksbildungsschule in der Wüste durchmachen, um in Palästina als selbstständiges Volk ein geordnetes Staatswesen darstellen zu können; wenn aber die Juden die sittlichen Wirkungen einer mehr als tausendjährigen Unterdrückung abstreifen sollen, dann darf man ihnen schon einen Zeitraum von etwas mehr als vierzig Jahren gönnen, innerhalb dessen sie sich auf die gleiche Stufe mit uns deutschen Staatsbürgern emporschwingen können.

Die Juden haben große Vermögen erworben, sagen die Antisemiten, sie haben den Großhandel und die Börse fast ganz in ihre Hände gebracht. Mag sein; nachdem den Juden über tausend Jahre lang untersagt war, in Deutschland Grund und Boden zu erwerben, haben sie Zeit genug gehabt, im Handel sich gediegene Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben, und es kann darum auch nicht auffallen, wenn sie mittels jener Kenntnisse, unter Beihilfe günstiger Gesetze – das letztere darf man nie aus dem Auge verlieren – zu großem Wohlstande gekommen sind. Man darf nicht von allen Juden glauben, daß sie unredlich in Handel und Wandel sind, wie man auch nicht von allen Christen glauben kann, daß sie sich in Handel und Wandel nie eine Unredlichkeit zu schulden kommen lassen. Gerade die echten, gläubigen Juden üben zwei bürgerliche und zwei religiöse Tugenden, die es leicht erklärlich machen, warum sich ihr zeitlicher Wohlstand hebt; sie sind fleißig und sparsam, sie beobachten gewissenhaft den Sabbath und erfüllen treu das vierte Gebot Gottes, Und

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Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/92&oldid=- (Version vom 31.7.2018)