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nach welcher man sich im Leben zu richten hat. Hat die Mehrheit der Lehrer sich für die Rechtsgültigkeit einer Meinung entschieden, dann könnten selbst Wunder, welche zu gunsten des Vertreters der gegenteiligen Meinung geschehen würden, diese Rechtsgültigkeit nicht aufheben.[1]

Ich bin kein Talmudkenner; mir fehlt die nötige Sprachkenntnis, um den Talmud mit Verständnis lesen zu können, denn seit mehr als dreißig Jahren habe ich mich mit den semitischen Sprachen nicht mehr beschäftigt. Ich habe aber mit Aufmerksamkeit und ohne jegliche Voreingenommenheit die einschlägigen Schriften von christlichen und jüdischen Gelehrten gelesen, die Ansichten verglichen und nach bestem Wissen und Gewissen mein Urteil mir gebildet. Es geht dahin, daß der Talmud in seiner gegenwärtigen Gestalt und wie er jetzt allgemein erklärt wird, für die Christen keinerlei Gefahr bildet, und für die Juden kein Hindernis ist, um mit den Christen in Frieden und Einigkeit zu leben. Ja, wenn ein Jude nach den Lehren den Talmud, wie sie gegenwärtig in den Schulen vorgetragen werden, sein Leben einrichtet, so wird er ein Ehrenmann im vollsten Sinne dieses Wortes sein, dem auch ein Christ seine Hochachtung nicht wird versagen können.

Wenn wir unsere seitherigen Erörterungen im Geiste noch einmal überblicken und kurz zusammenfassen, so werden wir uns angesichts derselben wohl auch imstande fühlen, eine Frage zu beantworten, die seit dem 13. Juni 1886 in weiten Kreisen die Geister beschäftigt hat. Es ist die Frage: Was ist von dem Antisemitismus zu halten? Enger gefaßt und auf die Mitglieder der Kirche angewandt wird die Frage lauten müssen: „Kann ein katholischer Priester, kann überhaupt ein gläubiger Katholik Antisemite sein?“ Auch hierüber zum Schlusse ein paar Worte.


XI.
Der Antisemitismus.

Am 13. Juni 1886 ist in Kassel die „deutsche antisemitische Vereinigung“[2] gegründet worden, die sich allmählich über ganz Deutschland erstrecken soll. Sie will den Glauben der Juden nicht antasten, sie bezweckt vielmehr, den überhandnehmenden Einfluß der Judenschaft auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens in gesetzlicher Weise zu bekämpfen. Sie betrachtet dabei die Juden als eine fremde Nation und fremde Rasse, welcher das Bürgerrecht in einem deutschen nationalen Staate nicht gebührt. Die Juden bilden – offen oder heimlich – eine Sondergemeinschaft, die für sich besondere Vorteile auf Kosten der übrigen Bevölkerung erstrebt, – sie bilden einen Staat im Staate. –

Als Mittel zur Erreichung ihres Zweckes betrachtet die deutsche antisemitische Vereinigung die Verbreitung von Aufklärungsschriften über die Gefährlichkeit des Judenvolkes, die Bekämpfung des auf Irreführung


  1. Delitzsch, c. l. 107 ff.
  2. Antisemitischer Volkskalender für das Jahr 1888; Leipzig, Fritsch.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/89&oldid=- (Version vom 31.7.2018)