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beantworten zu lassen, und zwar zunächst die Frage: Was ist der Talmud?

Der Talmud – Lehrbuch – ist eine Zusammenstellung der Überlieferungen, die sich zur Erklärung der heiligen Schrift unter dem Judenvolke mündlich fortgepflanzt haben, sowie der Aussprüche von Rabbinern, die zu demselben Zwecke in den Lehrhäusern gemacht und aufgezeichnet worden sind.

Der Talmud zerfällt in zwei Teile, in die Mischna, was Wiederholung oder zweites Gesetz bedeutet, und in die Gemara, was so viel wie Ergänzung oder Vollendung heißt.

In der Mischna finden sich die Erklärungen der Thora, des göttlichen Gesetzes, die Moses zugleich mit dem Gesetze von Gott empfangen hat. Diese Überlieferungen teilte Moses, wie die Rabbiner sagen, zuerst seinem Bruder Aaron, dann dem Eleazar, dem Ithamar, den siebzig Ältesten und dann dem ganzen Volke mit, das sie hören wollte. Sie pflanzten sich mündlich fort und wurden wohl auch schriftlich aufgezeichnet, bis etwa hundert Jahre nach der Zerstörung des Tempels und Jerusalems durch den Kaiser Titus der Rabbi Juda in Palästina, wegen seiner Frömmigkeit der Heilige genannt, sie sammelte und zusammenstellte, damit sie nicht nach der Zerstreuung der Kinder Israels unter alle Völker in Vergessenheit kämen und verloren gingen.

Etwa hundert Jahre später hat Rabbi Jochanan, ebenfalls in Palästina, den Erklärungen des Gesetzes aus den ältesten Zeiten, wie sie in der Mischna schriftlich niedergelegt sind, Aussprüche und Entscheidungen späterer Gesetzeslehrer und Weisen beigefügt, die jenen alten Überlieferungen selbst wieder zur Erläuterung und näheren Erklärung dienen sollen. Das ist die Gemara.

Diese zerfällt wieder in zwei Teile, von denen der eine die Halacha, der andere die Haggada heißt. Die Halacha oder der halachische Teil enthält Aussprüche, die gleich den Sätzen der Mischna mit Gesetzeskraft bekleidet sind. Der haggadische Teil enthält persönliche Ansichten, Sprüche, Gleichnisse, Erzählungen einzelner Lehrer, die eine verbindliche Kraft nicht besitzen. Diese von R. Juda und R. Jochanan herrührenden zwei Sammlungen bilden einen Folioband und werden der Talmud von Jerusalem genannt.

Etwa vierhundert Jahre nach der letzten Zerstörung des Tempels fügte Rabbi Asche in der babylonischen Zerstreuung der Mischna des R. Juda eine neue Gemara bei, die viel ausführlicher ist als jene des R. Jochanan. Dieselbe wurde nach dem Tode R. Asches von dessen Schülern fortgesetzt und vollendet. Diese Sammlung ist zwölf oder vierzehn Foliobände stark und heißt der Talmud von Babylon.

Wenn wir uns nun vom Talmud, der auf der einen Seite so hoch geschätzt wird, auf der anderen Seite so arg verschrieen ist, ein richtiges Urteil bilden wollen, so müssen wir die Anschauungen des Volkes ins Auge fassen, aus denen er herausgewachsen, das Land, wo er entstanden ist. Wir müssen auch die Anschauungen des jüdischen Volkes über die Thora kennen, deren Erklärung der Talmud geben soll.

Die Thora, jene fünf heiligen Bücher, die von Moses unter Gottes Eingebung geschrieben wurden, werden von dem israelitischen Volke als sein größtes Heiligtum verehrt. Was in unseren katholischen

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Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/79&oldid=- (Version vom 31.7.2018)