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Diese Anhaltspunkte bestanden darin, daß vom zwölften Jahrhundert an die Ermordung von Christenkindern durch Juden gerichtlich oder außergerichtlich festgestellt wurde; sie bestanden darin, daß die Kindermorde durch die Juden gewöhnlich um die österliche Zeit stattfanden; sie bestanden darin, daß des Mordes angeklagte Juden vor Gericht offene Geständnisse über die einzelnen Umstände ihres Verbrechens ablegten; sie bestanden darin, daß man auf das Geständnis angeklagter Juden hin das Gefäß fand, worin das Christenblut aufbewahrt war. Erst nachdem diese Thatsachen festgestellt waren, verbreitete sich unter dem Christenvolke der Glaube, daß die Juden Christenkinder zu religiösen Zwecken abfingen und schlachteten. Ich habe darum auch gewiß nicht mit Unrecht gesagt, daß dieser Glaube einigermaßen berechtigt ist.

Nichtsdestoweniger ist es auf der anderen Seite meine feste Überzeugung, daß der Vorwurf des rituellen, von der Religion gebotenen Mordes, den man gegen das ganze Judenvolk erhebt, des religiösen Gebrauches oder Genusses von Christenblut ein unbegründeter ist. Nach meiner innersten Überzeugung läßt es sich nicht nachweisen und ist auch noch nicht nachgewiesen worden, daß es ein allgemeiner jüdischer Gebrauch oder gar eine Religionsvorschrift für die Juden sei, Christenblut zu genießen oder anderweitig zu religiösen Zwecken zu gebrauchen.

Erst vor kurzem hatte ich eine Unterredung mit einem strenggläubigen Rabbiner in Frankfurt a/M., einem wissenschaftlich gebildeten, ganz achtbaren Manne, über diese Frage, wobei derselbe im Laufe des Gespräches die Versicherung gab: „Herr Pfarrer! Ich habe, amtliche Veranlassungen ausgenommen, noch nie geschworen; aber ich rufe jetzt Gott den Allwissenden zum Zeugen an, daß mir aus unseren Bekenntnisschriften oder aus unseren mündlichen Überlieferungen noch nie das geringste bekannt geworden ist, woraus sich entnehmen ließe, daß der rituelle Mord bei uns erlaubt oder gar geboten sei.“ Ich hatte keinen Grund, an der Wahrheit seiner Worte zu zweifeln, ich mußte ihm vielmehr meine Zustimmung geben; denn ich habe gefunden, wie die besten Kenner der Geschichte und der Religion des Judentums darüber einig sind, daß nirgends in den Bekenntnisschriften der Juden, weder im Talmud noch viel weniger in der heiligen Schrift ein Anhaltspunkt gegeben ist. Der Mord ist den Juden, wie uns Christen, in den Noachischen und in den zehn Geboten Gottes unbedingt verboten, und der Blutgenuß, mit Ausnahme des Blutes von Fischen, ist ihnen auf das strengste untersagt.

Dazu kommt die Thatsache, daß eine große Anzahl von Juden, welche die jüdische Religion verlassen haben und in die Kirche eingetreten sind, ihre früheren Religionsgenossen gegen den schweren Vorwurf des rituellen Mordes in Schutz genommen haben. Schon der in der jüdischen Religion und Geschichte wohlerfahrene Professor Wagenseil beruft sich auf diese Thatsache. Er bezeugt bei dem Worte der Wahrheit und Gott und dem Vater unseres Herrn Jesu Christi, daß ihm noch nie ein getaufter Jude unter so vielen, mit denen er umgegangen, vorgekommen sei, der bekannt hätte, daß seine Geschlechtsgenossen

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Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/66&oldid=- (Version vom 31.7.2018)