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Juden Christenblut?“ Gewiß hat diese Frage nach dem Ursprunge der schweren Beschuldigung, die man den Juden seit Jahrhunderten macht, ihre volle Berechtigung. Unwillkürlich fragen wir uns, wie es gekommen sei, daß man eine derartige furchtbare Anklage gegen die Juden erhoben hat, und worin der Grund liege, daß erst im zwölften Jahrhundert, obgleich im Laufe der vorausgegangenen Jahrhunderte schon viele und schwere Judenverfolgungen ausgebrochen waren, die Christen den Juden vorwarfen, daß sie Abschlachtungen von Christenkindern zu religiösen Zwecken vornehmen. Warum hat man in den früheren Jahrhunderten von dieser Beschuldigung nichts gehört? Wir wollen versuchen, diese Fragen zu beantworten, und zwar auf Grund des geschichtlichen Materials, das wir im vorausgehenden gegeben haben. Ich denke mir die Sache so:

Es wird zwar erzählt, daß schon im Jahre 411 zu Chalcis beim Purimsfeste von Juden, die betrunken waren, ein Christenkind aufgehenkt worden sei, doch hat man damals an einen rituellen Mord noch nicht gedacht. Das älteste Beispiel eines Kinderraubes und Kindermordes von seiten der Juden zu rituellen Zwecken scheint, wie der geschichtskundige Görres glaubt, vielmehr das des Knaben Wilhelm zu Norwich zu sein, den englische Juden im Jahre 1144 entführt und in der Passionswoche grausam hingerichtet haben; andere Morde folgten, wie 1160 zu Glovernia, 1171 zu Blois in Frankreich, 1179 zu Paris, 1181 zu Skt. Edmond in England. Nachdem die Kunde von diesen Kinderabschlachtungen in die christlichen Länder gedrungen war, und nachdem ähnliche Morde bald da bald dort auch in anderen Ländern, besonders in Deutschland vorgekommen sein sollten, mußte das christliche Volk sich unwillkürlich die Frage stellen, aus welchen Beweggründen oder zu welchem Zwecke wohl die Juden diese Christenkinder grausam mordeten. Raub- oder Lustmorde waren es, wie die Umstände erkennen ließen oder die Untersuchungen zeigten, sicher nicht; was lag also näher als die Annahme, daß die Mörder aus religiösen Beweggründen handelten? Zu diesem Glauben war das Christenvolk um so mehr geneigt, als es ja schon selbst gesehen oder davon gehört hatte, daß die Juden zum Beginn ihres Osterfestes vier Becher mit einer roten Flüssigkeit, Rotwein, füllten und davon tranken, indem sie dabei der geschlachteten Judenkinder gedachten, in deren Blut der kranke Pharao von Ägypten auf den Rat seiner Ärzte sich täglich badete; sofort war man bereit, diese Flüssigkeit für Blut zu halten, welches die Juden von geschlachteten Christenkindern aufzubewahren pflegten; man hatte davon gehört, daß die Juden Blut gebrauchten, um die Heilung der Beschneidungswunde zu befördern, den Frauen das Gebären zu erleichtern; freilich soll dieses Blut nur ein rotes Harz gewesen sein, das man Drachenblut nannte, aber nachdem es in der Meinung der großen Menge einmal Blut war, so ist es leicht erklärlich, wie das Christenvolk es für das Blut seiner von den Juden geschlachteten Kinder halten konnte; auch ist es Thatsache, daß die Juden im Mittelalter sich, wie alles andere Volk, stark mit Zauberei beschäftigten, und daher kam die Meinung des Christenvolkes, daß die Juden das Blut der geschlachteten Christenkinder zur Herstellung von Zaubermitteln, Bereitung von Liebestränken und ähnlichen Dingen verwendeten. Damit

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Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/64&oldid=- (Version vom 31.7.2018)