Als der französische Gesandte dem Kardinal-Staatssekretär Antonelli hiervon Mitteilung machte, erklärte dieser, daß genau nach der Konstitution des Papstes Benedikt XIV. vom 18. Februar 1747 verfahren und dem wiederholt und entschieden kundgegebenen Willen des jungen Coёn stattgegeben werden müsse. Der Gesandte berichtete hierüber neuerdings nach Paris, und nun kam ein eigenhändiger Brief des Kaisers Napoleon, worin er den Papst um die Freigabe des Judenknaben ersuchte und ihn bat, demselben die heilige Taufe nicht zu spenden. Doch der Papst blieb unerschütterlich in der Beobachtung der kirchlichen Vorschriften und antwortete ganz einfach dem Kaiser: „Wir können nicht.“
Fragen wir, welche Gesinnungen unser gegenwärtiger, glorreich regierender Papst Leo XIII. gegen die Juden hegt, so dürfen wir unbedenklich antworten, daß es ganz dieselben Gesinnungen sind, die auch seinen großen Vorgänger Pius IX. gegen sie beseelten. Papst Leo XIII. trägt auch gegen die Juden jene Liebe in seinem Herzen, die der göttliche Heiland in seiner Gleichnisrede vom barmherzigen Samaritan so anmutig geschildert hat. Er hat das, um nur einen einzigen Fall zu erwähnen, erst vor kurzem gezeigt, als die große Aufregung des christlichen Volkes gegen die Juden in Korfu zum Ausbruch kam, und man befürchten mußte, daß sämtliche Juden in Korfu getötet und ihre Häuser niedergebrannt würden. Sofort meldeten damals die öffentlichen Blätter, der heilige Vater habe an die katholischen Geistlichen in Korfu die Weisung ergehen lassen, sie sollten das christliche Volk zu beruhigen und von gewaltsamen Schritten gegen die Juden abzuhalten suchen. Dieser Weisung hat die katholische Geistlichkeit auch Folge geleistet, und den vereinten Bestrebungen der geistlichen und weltlichen Behörden ist es gelungen, eine blutige Verfolgung der Juden fernzuhalten.
So ist Papst Leo XIII. bemüht, die Juden gegen ungerechte Angriffe von seiten ihrer christlichen Mitbürger zu schützen, er hat aber auch schon vor seiner Erhebung auf den päpstlichen Stuhl gezeigt, wie die Christen gegen Übervorteilung und Ausbeutung durch die Juden zu schützen sind.
Es ist in unseren Tagen schon viel von der segensreichen Wirksamkeit gesprochen und geschrieben worden, welche die sogenannten Raiffeisenschen Darlehenskassenvereine auf dem Lande unter der bäuerlichen Bevölkerung entfaltet haben. Ich könnte selbst aus eigener Erfahrung als langjähriger Vorsteher eines solchen Vereins erzählen, wie durch einen solchen Verein die Bewohner einer Gemeinde, die seither nur von den Juden entlehntes Vieh in ihren Stallungen stehen hatten, sämtlich in die glückliche Lage versetzt worden sind, daß sie das in ihren Stallungen stehende Vieh ihr Eigentum nennen, bei günstiger Gelegenheit einkaufen und absetzen können, und daß sie überhaupt aus den Klauen der Wucherer errettet worden sind. Aber es ist auch gewiß von großem Interesse, zu erfahren, daß der Grundgedanke, aus welchem diese Darlehenskasssenvereine hervorgegangen sind, jener Gedanke, den der verstorbene verdienstvolle Bürgermeister Raiffeisen im Westerwalde, den dortigen Verhältnissen angepaßt, verwirklichte, einen Bettelmönch, den Minoritenpater Barnabas von Terni
Friedrich Frank: Die Kirche und die Juden. Manz, Regensburg 1893, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Kirche_und_Die_Juden.djvu/50&oldid=- (Version vom 31.7.2018)