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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

eine auf den Rücken legt, mit Heu beladen wird und dasselbe festhält, während andere sie mit den Zähnen am Schwanze packen und in den Kessel ziehen, daher sehe der Rücken so abgerieben aus.“ – Sowie nun, meist schon zu Anfang Oktober, kaltes, rauhes Wetter eintritt, fahren die Murmeltiere ein und verstopfen die Röhre mit einer richtigen Mauer von Heu, Erde und Steinen, welches Material höchstwahrscheinlich von jenem ersten Seitengang kommt, der sich in jeder Winterwohnung findet. Nun schlafen die Tierchen ein und der Schlaf geht bald in Erstarrung über. Die Temperatur im Kessel hält sich gewißlich auf + 8 bis 9° R. Wie sehr diese bewohnte Höhle Wärme ausstrahlt, beweist der Umstand, daß der erste, leichte Schnee auf dem Rasen über ihr nicht bleibt; leider verrät der große grüne Fleck inmitten der Schneedecke dem Murmeltiergräber nun sofort die Stätte seines schlummernden Wildes. – In dieser ganz behaglichen Temperatur liegen die Murmeltiere im völligen Scheintod, es ruhen die Funktionen der Verdauung und Absonderung, schwach, kaum merklich findet Atmen und Blutumlauf statt. Die Blutwärme sinkt auf nur 71/2° R.

Das Erwachen findet meist Ende April statt, bei spätem Frühlingseintritt gar erst Anfang Mai; es bedarf einer ziemlich hohen Temperatur, die Schläfer zu wecken; sie sind nicht sofort mobil, sondern die Glieder sind anfangs starr und steif, die Gehirnthätigkeit erwacht ebenfalls erst allmählich.

Aehnlich fest wie die Murmeltiere schlafen auch die Bilche oder Schlafmäuse, doch tritt jene völlige Erstarrung bei ihnen nicht ein. Der den Obstgärten und der Singvogelwelt so sehr schädliche Siebenschläfer, welcher dem nördlichen Deutschland fehlt, trägt seinen Namen mit vollem Rechte. Kleiner als unser Eichhörnchen, etwa von Rattengröße, ist der hübsche Bursche oben einfach blaugrau, mit dunklerem Ring um die Augen, unten milchweiß, der Schwanz ist wie beim Eichhorn dicht zweizeilig bebuscht. Der Siebenschläfer, gleich seinen Verwandten durchaus Nachttier, ist aus diesem Grunde wenig bekannt; seine gewaltigen Räubereien in den Obstgärten, in den Vorratskammern der Häuser werden meist harmloseren Dieben zugeschrieben, er selbst wird zu wenig verfolgt. Wie häufig habe ich Mäuse, allerlei Vögel, sogar Nachbarsleute und Kinder des frechen nächtlichen Obstdiebstahles verdächtigen hören, während am Boden unter den Obstbäumen die unverkennbaren Zeichen von des Siebenschläfers oder der nahe verwandten Großen Haselmaus Anwesenheit lagen: am Stiele angefressenes und durch Zerbeißen des Stieles vom Baume geworfenes Obst, das auf den benagten Flächen die Doppelfurchen der Nagezähne des Frevlers zeigte.

Um ihm das Handwerk zu legen, muß man sich in den Mondnächten mit der Flinte unter dem fruchtreichsten der heimgesuchten Obstbäume regungslos aufstellen, die kleinen Körper der Bilche heben sich scharf von den Aesten ab und lassen sich leicht herunterschießen. Das Heim schlägt der Siebenschläfer in dichten Eichen- und Buchenwäldern mit viel Unterholz auf. In einem hohlen Baume oder im Gestein richtet er seine Vorratskammer ein; zuweilen wählt er auch eine dem Walde nahe gelegene Scheune oder den Dachboden eines Bauernhauses. Ohne alle Kunstfertigkeit legt er an diesen Orten auch die Winterwohnung an, in welcher er sich ein Bett aus weichem Moose zurecht macht. Er hat nicht viel Zeit hierzu, denn die Aufgabe, sich zu mästen, bis er in Fett strotzt, nimmt ihn ganz in Anspruch. Ebenso schnell fertig ist er mit der Wiege seiner Jungen, zu welcher er mit Vorliebe ein großes verlassenes Vogelnest wählt, das er aber stets bis auf das Einschlupfloch überdeckt. Die 4 bis 6 Jungen werden in der ersten Hälfte des Juni geboren. Schon Anfang Oktober beginnt der Winterschlaf, der bis April währt. Im Gegensatz zu dem Murmeltier fällt der Siebenschläfer nicht in völlige Erstarrung, erwacht bei mildem Wetter häufig stundenweise und knabbert dann an seinen Vorräten. Gleich dem Murmeltier aber liebt er es, in Gesellschaft den Winterschlaf zu verbringen.

Im streitsüchtigen, beutegierigen und naschhaften Wesen ihm ganz gleich, in der Gestalt ähnlich, doch etwas kleiner, ist die Große Haselmaus, auch Gartenschläfer genannt. Sie ist oberhalb rötlichbraungrau, unten weiß; von der Oberlippe um die Augen, unter den Ohren bis an die Halsseiten zieht sich ein schwarzer Streifen, vor und hinter den Ohren steht ein weißer, an der Schulter ein schwarzer Fleck. Der buschige Schwanz ist oben rötlich und schwarz, unten weiß. Bei aller Gleichheit der Lebensweise ist die Große Haselmaus viel gewandter als der etwas plumpe Siebenschläfer, auch viel kunstfertiger im Wohnungsbau. Sie erbaut an den gleichen Orten wie der Siebenschläfer ihr Winternest, doch stellt sie dasselbe in der Form einer nur unten abgeplatteten Kugel recht sauber aus Moos, Reiserchen und Würzelchen, Eichen- und Buchenlaub her, polstert es darauf innen weich und tief mit Tierwolle aus. Größere Gesellschaften liebt sie offenbar nicht, meist scheint sie paarweise zu überwintern.

Ganz im Gegensatze zu diesen schädlichen, höchst unliebenswürdigen Bilchen lernen wir eine dritte Schlafmaus in Gestalt der allerliebsten, harmlosen, zutraulichen Kleinen Haselmaus kennen, die merklich kleiner als unsere Hausmaus ist. Von ihrem Sündenregister ist in erster Reihe der Mord junger Singvogel und Eierdiebstahl zu streichen, sie läßt sich beides nicht zu Schulden kommen; ihre Diebereien im Obstgarten sind geringfügiger Natur, nur bei zahlreichem Auftreten kann sie dort empfindlich schaden; ihr nächtliches, fröhliches Leben verbringt sie größtenteils im dichten Haselgebüsch. Hier allerdings haust sie unter den Nüssen, als wären diese nur für die kleinen Haselmäuschen geschaffen. Von Nüssen, wie von Eicheln, sammelt sie auch einen Wintervorrat, versteckt ihn unter dürrem Laub, in Gestein, Erdlöchern. Jedes Mäuschen für sich allein baut sich dann in der Nähe dieses Vorrats, sowie des Oktobers rauhe Tage kommen, ein sehr hübsches Winternest. Das Nestchen hat höchstens 10 cm im Durchmesser, liegt in einer muldenförmigen Erdvertiefung und ist kugelrund, ungemein sauber, nett und zierlich ausgearbeitet. Bandgras, feinzerschlitzte Bastschnüre von weichen Hölzern, fest verkittet mit dem Speichel des Tierchens, halten die Kugel aus Laub, Moos und Tierhaaren zusammen, in welcher gar warm, selbst zu einer kaum 3 cm starken Kugel zusammengeballt, das Mäuschen liegt. Wiederum zeigt dieser Winterschlaf merkwürdige Abweichungen. Obschon das kleine Geschöpf sehr tief schläft und sicher nur in den seltensten Fällen erwacht, hört es doch alles und giebt dies – im tiefsten Schlafe, scheinbar erstarrt – durch sehr wohl vernehmbares Pfeifen kund. Dieses Pfeifen verrät sogar oft den winzigen Schläfer. Setzen wir die schlafende Maus einer Kälte unter 0 Grad aus, vor welcher sie naturgemäß in ihrem warmen Neste geschützt ist, so erwacht sie und frißt sofort; steigern wir die Kälte, so stirbt das Tier. Am allerruhigsten, in 30 Minuten etwa vierzigmal, atmet es bei 12° C. Wärme, dies scheint also die normale Temperatur im Neste zu sein. Bei 18° C. Wärme erwacht das Mäuschen, wird munter, sogar lustig, legt sich aber nach einigen Stunden auf lange Zeit wieder schlafen, doch ist der Schlaf jetzt leise; er vertieft sich, sowie die Wärme sinkt. Den Sonnenstrahlen ausgesetzt, verfällt die schlafende Maus bald in nervöses Zittern, dann bietet sie ihnen, ohne zu erwachen, den Rücken und schläft weiter. Auch im tiefsten Schlafe ist das Empfindungsvermögen, das Schmerzgefühl rege, schon auf Nadelstiche hin äußert sich dasselbe durch Knurren und Zucken.

Eine große Anzahl Sagen, Schwänke, Vorurteile, kräftigstes Jägerlatein knüpfen sich an einen der größten Winterschläfer in der deutschen Tierwelt, an den Dachs. Und dieser Märchenkranz hat sein naturgeschichtliches Bild sehr getrübt. Grimmbart ist wirklich ein „verkannter Freund“; der starke Geselle, einem kräftigen mittleren Hunde an Größe gleich, nährt sich nahezu ausschließlich von Engerlingen, Regenwürmern, Schnecken, gräbt die Hummel- und Wespennester aus, um zu deren larvenreichen Waben zu gelangen, fängt Wald- und Feldmäuse in sehr großer Zahl. Schädlich könnte er nur zur Herbstzeit in Weinbergen werden, da er die reifen Trauben über alles liebt. Vogelnester an der Erde raubt er ohne Zweifel aus, doch nur im Vorübergehen; sicher sucht er nicht nach ihnen. Für diese wenig lohnende Suche ist er zu bequem; höchstens in zahlreichen Rebhühnerbeständen könnte er größeren Schaden anrichten, doch das Rebhuhn liebt die Ebene, der Dachs meidet sie, so kommen sie schwerlich sich zu nahe. Dagegen frißt er im Vorübergehen auch jede Schlange, insbesondere die Kreuzotter; im äußersten Notfalle sucht er Wurzeln. Zu den Märchen gehört, daß er in Waldsaaten Schaden anrichte: der Dachs sucht dort nicht Eicheln und nicht Bucheln, ganz gewiß niemals Fichtensamen; was er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 862. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0862.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2023)