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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

hatte noch die Kraft, unter dem Galgen zum Volke zu sprechen, eine Vergünstigung, die ihm gewährt worden war. „Eine so harte Strafe,“ sagte er, „verdiene ich nicht; denn ich habe nur das gethan, was Minister und andere Staatsbeamte täglich ungestraft ausüben. Dennoch bin ich ein großer Sünder und habe Gott für mein Unglück zu danken; ich halte deshalb die sechzehn Monde, die ich im Gefängnis in Spandau zubrachte, für die schönste Zeit meines Lebens, da ich dort von so großen Irrungen zur rechten Erkenntnis zurückgeführt worden bin!“ –

Ueber allen diesen Vorgängen schwebt noch heute ein dichter Schleier; des Königs rätselhafte Zuneigung und sein ebenso rätselhaftes Schwanken läßt sich nur aus der ganzen Lage der Zeit und der Unklarheit der politischen Verhältnisse erklären. Clement, ein junger Mann von Kopf und feurigem Ehrgeiz, der in der Welt eine Rolle spielen wollte und schon sehr früh in viele Geheimnisse der Kabinette eingeweiht war, der die ganze Verworfenheit der damaligen Politik, welcher ein jedes Mittel zur Erreichung ihrer Zwecke recht war, kannte und teilte, hatte seine verräterischen Enthüllungen gewiß nicht ganz aus der Luft gegriffen, aber er hatte gelegentliche Aeußerungen der Gegner des preußischen Königs in nachgemachten Schriftstücken festgehalten und dunkle Absichten, welche in den Köpfen seiner nächsten Umgebung spukten, zu verraten gesucht. Und wenn er mit einer ruchlosen Doppelzüngigkeit in Wien und Dresden gegen Preußen hetzte, während er in Preußen wiederum durch halb erdichtete Enthüllungen die Feindseligkeit gegen Sachsen und Oesterreich schürte, so that er dies nicht bloß aus Großmannssucht und Freude an diplomatischen Verwicklungen, deren Fäden er in der Hand hielt. Er stand im Dienste einer weitschauenden Politik seines ersten Brotherrn, des Fürsten Ragoczy, und des spanischen Ministers Alberoni, und wünschte Oesterreich in Zwiespalt zu setzen mit Preußen, wenn es ging, diese ganz zu entzweien, damit die Pläne jener beiden in Italien desto ungestörter zum Siege geführt würden.


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Das Baumschütteln am Andreasabend.
Ein Bild aus dem vogtländischen Volksleben von L. Riedel.
Mit Illustrationen von Fritz Bergen.

Bei der Annemarie, einer alten Witfrau, ist Hutzenstube.[1] Schon seit zwei Stunden sitzen vier Mädchen, die Jda, die Mine, die Christel und die Rieke, an ihren Spinnrädern und lassen die Spindeln schnurren. Manch lustiges Runda, manch ernstes Lied haben sie schon gesungen, manch Herzensgeheimnis ausgetauscht – und das allergeheimste dabei doch verschwiegen. Jetzt schaut bald die eine, bald die andere verstohlen nach den Fenstern. Nun müssen sie doch bald kommen? Eben stimmt die Jda wieder an:

„Mädchen, wenn ich dich erblicke,
Find ich keine Ruh nicht mehr,
Jeder Tag und jede Stunde
Ist für mich keine Freud’ nicht mehr –.“

Da fallen von außen kräftige, wenn auch etwas rauhe Männerstimmen in den Gesang ein, und bald treten fünf Burschen in Werktagskleidern, nur ein reines Strickkoller über die Hemdärmel gezogen und eine neuwaschene blaue Schürze umgebunden, mit freundlichem „Guten Omd b’samm!“ zur Thür herein.

Es ist der Lieb[2], der Franz, der Friedrich, der Wilhelm und der Hansehret[3]

Die drei erstgenannten sind einheimische Bauernsöhne, der Wilhelm ein ebensolcher aus einem Nachbardorfe, der aber hier im Orte als Knecht dient. Der Hansehret jedoch hat eine eigene kleine Wirtschaft und betreibt, soweit ihm Zeit dazu bleibt, das Wagnerhandwerk. Er hat schon die Dreißig hinter sich. Seiner alten Mutter zulieb ist er bis jetzt unverheiratet geblieben. Nachdem aber durch deren Tod der Platz für eine junge Frau im Hause frei geworden, macht er der Christel, die er schon lange vorher in sein Herz geschlossen hat, ernsthaft den Hof. Freilich kann er sich vorläufig großer Erfolge seines Liebeswerbens nicht rühmen. Der Lieb ist der erklärte Schatz der Jda, während zwischen Friedrich und Franz einer- und den beiden Mädchen Mine und Rieke anderseits noch kein festes Verhältnis besteht, aber wohl bald bestehen wird. Wilhelm ist nur mitgegangen, weil er nichts anderes vor hat. Er bläst meisterhaft die Mundharmonika und ist als Musikant immer und überall willkommen.

Mit der Arbeit ist’s in der Hutzenstube vorbei, sobald die Burschen eingetreten sind. Es wird geneckt herüber und hinüber, es werden Neuigkeiten erzählt, und bald stimmt Wilhelm ein lustiges Runda an:

„Mei Voter hots g’sogt
Und mei Mutter sogt’s aa,
Ich söll noch naht heiern[4],
Ich wär’ noch ze klaa.“

Alle wiederholen trällernd die Melodie unter Musikbegleitung Wilhelms, und dann singt der Franz:

„Wenns deine Leit net leiden wölln
Und meine wöllns net hom, net hom,
Do muß ich dich üm Mitternacht
Vun’ Buden runtertroong![5]

Und bei der Wiederholung der Melodie faßt der Lieb seine Jda um den Leib und tanzt mit ihr durch die Stube. Die übrigen Burschen und Mädchen ordnen sich ebenfalls rasch zu Paaren, der Wilhelm bläst, und so wird der schönste Rutscher „heruntergerissen“. In dieser Weise geht die Unterhaltung fort, bis die Geisterstunde anhebt und die alte Annemarie sich einmischt: „Vergeßt’s fei net, ihr gunge Leit’, heit is Andreasomd; wu is denn’s Blei?“

Freilich, freilich haben sie das mitgebracht. Annemarie bringt den schon bereit gelegten alten Blechlöffel herbei, und nun nehmen die geheimnisvollen Fragen ans Schicksal ihren Anfang und die ebenso geheimnisvollen Antworten in Form wunderlicher Figuren erfahren die sonderbarsten Auslegungen.

Die Christel hat ein Ding gegossen, das man mit einiger Phantasie wohl für ein Rad ansehen kann; jawohl ein Rad! Aufmerksam betrachten es alle, Jda stößt Christel bedeutungsvoll mit dem Finger an und deutet stumm auf Hansehret, der die Figur ebenfalls mit freundlich blinzelnden Augen betrachtet, während Rieke ihr leise, doch so, daß alle es hören können, in die Ohren wispert: „Es werd doch net epper an’n Schmied bedeiten!“

Christel erglüht wie eine Pfingstrose und über Hansehrets ehrliches Gesicht zieht ein Schatten.

  1. Spinnstube, Rockenstube.
  2. Gottlieb
  3. Johann Ehrhard.
  4. noch nicht heiraten.
  5. vom Boden heruntertragen.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 829. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0829.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2023)