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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Ueber das, was die Jungmannschast von St. Moritz in Gemeindeangelegenheiten gethan, stehen wir gerne Rechenschaft. Vor allem aber versichern wir Euch, daß wir eine Kränkung verdienter Mitbürger und Vorsteher nicht beabsichtigten, sondern nur von dem brennenden Wunsche geleitet waren; wieder etwas Leben und Verdienst ins Thal zu ziehen und dem Frieden zu dienen!“

Dann wandte er sich zu Melcher:

„Geehrter Mitbürger! – Ein ehemaliger Plan von Euch hat die Zustimmung der Gemeinde gefunden; wir bauen das Bad. Aber wir haben auch etwas, wogegen Ihr immer geeifert und die Mehrheit errungen habt, beschlossen: die alte Kirchenschuld muß abgetragen werden. Für das Recht, das Bad zu bauen, leihen wir der Gemeinde das Geld dazu und bitten Euch, daß Ihr die alte Gegnerschaft gegen die Regelung der Schuld aufgebt. Wir wollen Frieden!“

Jetzt horchte der Landammann auf: Melcher war von der Jungmannschaft getroffen wie er und die junge Partei zog der alten mit dem Beschluß, die Kirchenschuld zu ordnen, einen dreißigjährigen Pfahl aus dem Fleisch.

Das empfand der Landammann dankbar. Dazu: Wien wiedersehen!

„Zieht den Vorteil gegen Euch,“ flüsterte ihm Taß zu. Nur mit ein paar kühlen, grollenden Worten erwiderte der Landammann Fortunatus Lorsa, aber er sprach doch, und der äußere Friede war hergestellt.

Die versöhnliche, für den Landammann ehrenvolle Haltung des jungen Engadins nach der gelungenen Hintergehung brach dem bittersten Stachel die Spitze ab, die Mäßigung der Sieger gefiel manchem Alten. Man spürte es, die Jungmannschaft des Engadins war eine Macht, die man ernst nehmen mußte.

In St. Moritz aber zuckte und wühlte der Groll der Alten.

„Was wollen wir noch, die Jugend steht jetzt am Ambos!“ lachte Melcher.

Doch auch der alte Landammann wollte noch einmal Schmied werden. Die Gesandtschaft nach Wien, wo er einst glückliche Jugendjahre verlebt hatte, wo der Entscheid über die Zukunft des Landes lag, erfüllte sein Sinnen und Denken, und ob er der Jungmannschaft auch äußerlich immer kühl begegnete, war es ihm innerlich doch eine große Genugthuung, daß sie, die jetzt das Regiment an sich riß, ihn für den ehrenvollen Posten eines Gesandten erwählt hatte.

Die Hochzeit Konradins von Flugi mit Menja Melcher war ein Sonnenstrahl in das Leben des Engadins; in der langen Treue der beiden sah das Volk die alte Bündner Zähigkeit, die zum Siege führt. Ein unendliches Glück stand in den vergißmeinnichtblauen Augen Menjas, als sie im Brautkranz ging, und Konradin von Flugi wogte das Herz von Hoffnungen.

Nur eine fehlte dem Fest – Cilgia! Sie wollte den Landammann an dem festlichen Tage nicht an die Falle erinnern, in die sie ihn gelockt hatte. Aber ihre Hand erkannte man an dem Feste doch. Ueberall auf dem Weg, den der Hochzeitszug beschritt, lagen frische Rosen und Nelken, selbst beim Ausritt, der die Gesellschaft am Nachmittag nach Samaden führte.

„So viele und so schöne Blumen hat im Land nur sie!“

Und bald erfuhr man, daß ein ganzer Saumzug die Körbe mit den frischgeschnittenen Rosen und Nelken von Puschlav herbeigebracht hatte.--

Die Gesandtschaft war abgereist. In St. Moritz aber begann man, den Inn durch ein neues Bett in den See zu leiten und zwischen diesem und dem Berg Rosatsch die köstlichen altberühmten Sauerquellen zu fassen. – An Widrigkeiten und Kämpfen fehlte es nicht, und bei dem großen Mißtrauen gegen das Unternehmen, das viele Tausende von Gulden kostete, war das Geld dafür und für die Kirchenschuld schwer zu beschaffen. Das meiste stammte von Freunden im Ausland.

„Man baut Straßen, auf denen niemand fährt – man errichtet Bäder, in denen niemand badet!“ Das war der landläufige Spott und die Jungmannschaft von St. Moritz erhielt den Spottnamen: „Die Geldverlocher!“

Dafür vertraute das Volk auf die Erfolge der Gesandtschaft in Wien.

16.

Im Pfarrhaus zu Pontresina war lieber Besuch eingetroffen. - Cilgia Premont, wie sie von den Engadinern allgemein genannt wurde, war von Puschlav geritten gekommen, mit ihr ihr Knabe Lorenz und Ludwig Georgy, der Maler, der sich auf der Heimreise von Rom nach Deutschland befand.

Gemeinsam wollten sie morgen der Einweihung des Bades St. Moritz beiwohnen und Ludwig Georgy wollte, ehe er weiter zog, für Cilgia Premont das Kirchlein Santa Maria, für sich selber Markus Paltram, den König der Bernina, malen. Der Naturschwärmer trieb sich jetzt mit Pfarrer Taß irgendwo im Rosegthal herum, Cilgia aber war, von ihrem Ritt ermüdet, mit ihrem Knaben im Pfarrhaus geblieben, im Pfarrhaus, das so viele schöne und schmerzliche Erinnerungen aus ihrem Leben barg.

Da lockte sie der milde Frühsommerabend, der sein Licht über die Gletscher goß, doch noch ins Freie. Wie einst schritt sie gegen Santa Maria empor, grüßte sie die Dörfler; wie einst redeten die Leute hinter ihr und bewunderten die stolze Gestalt, die Augen wie zwei Sonnen. Wie einst setzte sie sich auf die Bank am alten Thor, an dem die Jahrzahl 1497 eingemeißelt ist, und träumte in den Frieden der Berge und horchte dem Rauschen des in Wald und Kluft verborgenen Berninabaches.

Nur eins war anders als ehemals: der Hammer Markus Paltrams klang nicht mehr in die Stille.

Und doch überkam sie der Geist der alten Zeit. Schmerzlich verträumt ließ sie auf der Bank am Thor die fernen Liebestage vorüberziehen.

Etwas verwundert betrachtete der Knabe Lorenz seine Mutter. Als sie ihm aber auf sein Geplauder nur zerstreut antwortete, da lief er an den lustigen Bach, der mit eiligen Wellen gegen Paltrams Hütte perlt, warf Hölzer, die er am Weg fand, hinein und freute sich, daß sie so munter auf den kleinen Wellen tanzten. Bis zu Paltrams Hütte lief er ihnen nach und beschaute sich das ruhig stehende, verwitterte, schwer mit Moos behangene Wasserrad.

Er versuchte, es in Gang zu bringen. Da gesellte sich zu ihm ein leichtes schmales Mädchen mit dunklen Augen und einem herben Mündchen, das ein wenig über seine vergeblichen Bemühungen lächelte.

„Das mußt du so machen,“ sagte sie, und mit einem behenden Ruck an einer Kette leitete sie das Wasser auf das Rad – es begann zu klappern und die beiden jubelten.

„Wie heißest du?“ fragte der Knabe das barfüßige, frische, saubere Kind, das kleiner und jünger war als er.

„Sage mir nur zuerst deinen Namen,“ erwiderte es etwas herb.

„Lorenz Gruber!“

Da antwortete es mit einem hübschen Lächeln:

„Und ich bin Landola Paltram.“

„Wie? Bist du das Kind des Königs der Bernina? – ist das euer Haus?“

„Ja,“ erwiderte sie stolz und mit glänzenden Augen.

„Deinen Vater möchte ich gern sehen.“

„Er kommt jetzt bald vom Piz Languard – wir wollen gegen das Kirchlein hinaufgehen und ihn abholen.“

Als die Kleine die verträumte Frauengestalt am Thor des Kirchleins sah, stutzte sie.

„Es ist meine Mutter!“ versetzte Lorenzlein beruhigend.

„Du hast aber eine schöne Mutter!“ erwiderte die Kleine mit eifersüchtigen Augen. Und ihr kluges Gesichtchen verdüsterte sich wie in einem heimlichen Schmerz.

In diesem Augenblick wandte Cilgia das stolze Haupt. Da zog Lorenz das widerstrebende Mädchen mit sich gegen sie.

„Sage ihr nur guten Abend!“ munterte er Landola auf.

Und die Kleine faßte Zutrauen zu der schönen fremden Frau, ein neugieriges, hoffnungsreiches Lächeln zitterte um Landolas Mund, es war wie stumme Bitte um eine Freundlichkeit.

Sonderbar! Cilgia hatte die Kleine gleich erkannt, ihr Bild gab ihr einen Stich durchs Herz - „Das Kind Pias!“ - sie wollte sich von ihm abwenden.

Aber das schöne hoffnungsreiche Lächeln des feingliedrigen Kindes besiegte die erste Abneigung, sie litt es, daß es sich mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0811.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)