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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Jablonski, der im Pavillon wartete, erschien auf einen Wink des Königs.

„Sorg’ Er aufs beste für Seinen Gast! Er bleibt noch einige Tage bei Ihm. Wenn er sich langweilt, mag er die Bibel lesen; das können wir alle brauchen, denn der Teufel streckt überall seine Krallen aus nach den Seelen!“

Der König fuhr diesmal in einer noch trüberen Stimmung als das letzte Mal in sein Schloß zurück. Das Stückchen blauer Himmel, das er noch in sich trug, verdunkelte sich immer mehr.

Die Hoffnung, es möchten Irrtümer, Mißverständnisse den Enthüllungen Clements zu Grunde liegen, auch der leise Zweifel, ob dieser die volle Wahrheit sage, schwanden immer mehr. Keiner hatte die ganze Weltlage so durchschaut wie dieser Fremde, keiner so einleuchtend den unheimlichen Zusammenhang der Vorgänge auf der Weltbühne ihm nachgewiesen.

Eversmann, der getreue Kammerdiener, erschrak aufs heftigste, als der König von ihm zwei Pistolen verlangte, die er unter sein Kopfkissen legen wollte – sonst könne er nicht ruhig schlafen! Zwei geladene Pistolen! Und doch schlief der König auch in dieser Nacht nicht. Oft stand er auf, trat wieder ans Fenster, blickte auf die Verstecke im Park, befühlte die Waffen.

Und wenn er dann einzuschlafen versuchte, so griff er danach zwischen Schlaf und Wachen, denn ihm war’s, als sähe er im Mondlicht Gestalten durch die Thür ins Zimmer huschen.

Am nächsten Tage aber begab sich das Unerhörte. Der König konnte sein Tabakskollegium nicht entbehren und doch wollte er nicht mit seinen Todfeinden zusammensitzen. Da wär’ er seines Mißmutes, seiner Erbitterung nicht Herr geworden! Und eine Maske vorzunehmen, das mochte sich für andere Leute passen, aber nicht für den König von Preußen! Als die Stunde schlug, wo die Tabakspfeifen im traulichen Kreise angezündet wurden, kam über ihn das Gefühl größter Vereinsamung. Schon einen Abend war das Kollegium ausgefallen; ihm war zu Mute, als ob ihm ein Glied amputiert worden wäre. Nachdenklich aus seiner Pfeife qualmend, schritt er in seinem Kabinett hin und her. Da kam er auf einen guten Gedanken: er brauchte ja nicht immer mit seinen alten Haudegen zusammenzusitzen, er konnte ja auch einmal ein behaglich Pfeifchen mit seinen guten Bürgern rauchen!

Er beriet sich mit Eversmann, wen man dazu einladen sollte. Die Liste wurde entworfen. Darauf standen einige Herren vom Rate der Stadt Berlin, der sonst unter dem neuen Steuerrat eine sehr gedrückte Stelle einnahm, einige Fabrikherren von Tuchmanufakturen, die Leiter des neueingerichteten Lagerhauses, ein früherer Minister, der Generalempfänger Kraut, ein Günstling des Königs, doch nicht zum Tabakskollegium gehörig, einige reiche Bürger – und auch Gundling durfte nicht fehlen, denn wie er, der König, den gelehrten Herrn aufziehen würde, das sollte auch den nicht hochgeborenen und nicht hochwohlgeborenen Herren von Berlin und Cölln Spaß machen! Pünktlich stellten sich die Gäste ein – die Lakaien machten große Augen, als sie dieser nicht hoffähigen Gesellschaft die Flügelthüren öffneten; es geschah mit ärgerlichen Mienen, als ob ihnen der Schmutz von der Straße ins Schloß gefegt worden wäre.

Doch nicht weniger erstaunte Gesichter machten die Gäste selbst, die sich in die Gebräuche der „Tabagie“ nicht finden konnten und nur zaghaft und ungeschickt ihren Fidibus und ihre Pfeifen anzündeten. Die Nähe des gefürchteten Königs machte auf sie einen beängstigenden Eindruck, und doch zwangen sie ihre Züge zu einem vergnügten Lächeln; sie wollten ihre Furcht nicht zeigen, sie dachten an die beherzigenswerte Lehre, die der König denen, die ihm auf der Straße ausweichen wollten, mit dem Stocke eingeprügelt hatte: „Lieben sollt ihr mich, nicht fürchten!“

Doch der König hatte sich geirrt, als er glaubte, er könne den Gundling diesen Gästen als ein leckeres Mahl servieren, an dem sie ihre helle Freude haben würden. Als dieser mit seiner Allongeperücke und in dem glänzenden Kostüm erschien, flößte er ihnen tiefen Respekt ein, und dieser Respekt wuchs, als er die neuesten Zeitungsnachrichten im Hinblick auf die Weltlage erläuterte. Sie vergaßen keinen Augenblick, daß sie einen der gelehrtesten Herren Preußens, den neuen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, vor sich hatten. Und als der König nach Art und Weise seiner Generale dem guten Gundling etwas am Zeug zu flicken suchte, da lachten sie wohl pflichtgemäß, weil sie den Gestrengen bei so guter Laune sahen; aber es war doch mehr ein gehorsames und verlegenes Lachen und ihrer Ehrerbietung vor Gundling that es kaum Eintrag. Der König merkte sogleich, daß diese Leute noch nicht reif seien für die Späße seiner täglichen schnauzbärtigen Genossen, und schlug bald einen anderen Tön an, der ein lebhaftes Echo erweckte; er sprach über seine Manufakturen, über die feinen und wohlfeilen Tuche, die jetzt erzeugt würden, über sein Verbot der ausländischen Baumwolle und die Kattunkleider, über das Verbot der Wollausfuhr, und da entwickelte sich ein lebhaftes, ernstes Gespräch, das den König von der Intelligenz seiner Unterthanen überzeugte. Sein landesväterliches Herz fühlte sich davon wohlthuend berührt; was er wollte, wurde verstanden und anerkannt.

Ihm wurde so behaglich zu Mute, daß er in dieser bürgerlichen Tabakswolke auf einige Zeit das Unwetter vergaß, das sich für ihn in der Welt draußen zusammenzog. Erst als er in sein Schlafgemach zurückgekehrt war und die auf dem Nachttisch liegenden Pistolen erblickte, da stieß er wieder einen Seufzer aus und dachte der kommenden schlaflosen Nacht.


Clement saß am Schreibtische des Dompredigers, welcher in der Regel gegen Abend zu Sitzungen mit seinen Amtsbrüdern ausging. Auf dem Tische und auf den Stühlen umher lag eine große Zahl von Aktenstücken und Briefen. Clement selbst aber konnte die Gänsefeder nicht rasch genug ins Tintenfaß tauchen, so eilig war er bei der Arbeit. Und er legte bald dieses bald jenes vollgeschriebene Blatt Papier beiseite, unter andern auch ein zierliches Blättchen, wie es in die Boudoirs der Damen zu flattern pflegt. Wer aber näher hingesehen und diese Schreiben geprüft hätte, der würde über die Unähnlichkeit der Schriftzüge auf den verschiedenen Blättern gestaunt haben – es waren fast so viele Handschriften wie Briefe! Das mußte eine wunderbare Gänsefeder sein, welche von der niedlichen Perlschrift bis zur breitspurigen Kanzlei- und Frakturschrift Buchstaben in jeder Größe und Gestalt aus dem Tintenfaß hervorzuholen wußte!

Clement schrieb Adressen mit ebenso voneinander abweichenden Handschriften und stempelte mit mehreren verschiedenen Petschaften.

Dann klingelte er. Sebaldus erschien, schwarz und geistlich von Kopf zu Fuß, Haus- und Kirchendiener zugleich, des Dompredigers Faktotum, von oft erprobter Treue, aber nicht unempfänglich für eine Vermehrung seiner Bezüge und eine Ergänzung seiner frommen Groschen mit fremdartigen Goldmünzen, deren aufgeprägte Souveraine sehr verschiedene Gesichter hatten; derartiges Gold, gut und echt, erhielt Sebaldus von dem Gast des Hauses, und zwar in reichem Maße. Er sollte ja dafür keine Unthat begehen, seinen Herrn weder berauben noch töten, nicht seine Kirche anzünden, nicht Landesverräter in der Krypta verbergen; er sollte nur ganz harmlose Dinge thun: die Briefe auf die Post besorgen, ohne daß sie jemand anders sah, auch selber nicht ihre Adressen lesen. Und harmlos war ja auch das andere, was er zu besorgen hatte, mußte er dabei auch ein Geheimnis wahren! Doch was ging es die Leute an, was Herr von Clement that? Seinen Brotherrn freilich, und – das war ein kleiner Stachel in seinem Gewissen – auch ihm mußt’ er’s verschweigen, daß er mit dem in seiner Hand befindlichen Schlüssel das kleine Gartenpförtchen öffnete, welches hinten auf einen schmalen, sich zwischen zwei Gartenmauern hinschlängelnden Weg führte, und daß er das Pförtchen offen ließ, bis Herr von Clement zurückgekehrt war! Das war immer nach einer Stunde und noch ehe der Domprediger von der Sitzung kam. Ein Geheimnis war das allerdings, aber ein ganz unschuldiges! Daß auch die anderen Hausbewohner nichts davon erfahren durften, war ganz in der Ordnung und gab Sebaldus ein besonderes Gefühl seiner Wichtigkeit. Wenn aber dennoch sein Gewissen ein wenig unruhig war – nun, für jedes Oeffnen des Thürchens erhielt er ein blankes Goldstück, und damit konnte er schon einige nicht allzu lebhafte Gewissensbisse besänftigen.

Heute machte Clement sehr sorgfältig Toilette – und Sebaldus bewunderte das ritterliche Aussehen des jungen Mannes, der mit seinem bräunlichen Teint und seinen Feueraugen etwas Zigeunerhaftes hatte, aber doch den Eindruck eines hochstehenden Kavaliers machte. Mit einem tiefen Bückling schloß er dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0790.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)