Seite:Die Gartenlaube (1899) 0787.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Die Laune des Königs verbesserte sich in den nächsten Tagen nicht; er blieb mißmutig und mißtrauisch, besonders dem Dessauer und dem Grumbkow gegenüber, die ihm am nächsten standen. Wieder traf ein geheimes Schreiben ein, wie Eversmann mitteilte, und wieder waltete darüber das tiefste Geheimnis. Der Domprediger Jablonski, zugleich der Bischof der Reformierten in Böhmen und Ungarn, hatte es in geheimer Audienz überreicht, doch es war gewiß nicht geistlichen Inhalts. Seit Empfang dieses Briefes mischte sich in den Ernst des Königs unverhohlene Aufgeregtheit.

Am Tage darauf fuhr er mit dem General Forçade und zwei Pagen spazieren; zuerst in der Neustadt „Unter den Linden“; dann ließ er nach dem Weidendamm umlenken, stieg aus und ging allein in einen der benachbarten Gärten. Es war nicht die Zeit der Rosen und der Nachtigallen, auch ging der König nicht auf geheime Liebesabenteuer aus.

General von Forçade war nicht ohne Neugier; doch aus der Kutsche konnte er das Terrain nicht übersehen. Der Weg machte weiterhin eine Biegung und die Eingänge zu den Gärten waren dadurch verdeckt.

Der König fand sich zurecht, die Thüre war ihm genau bezeichnet worden. Er trat in den Garten, wo er den Domprediger Jablonski traf, der mit ehrfurchtsvoller Verbeugung ihn fragte, ob er den angemeldeten Fremden zu sprechen wünsche. Auf ein ärgerliches „Ja, was frägt Er denn?“ ging der Prediger nach dem benachbarten Pavillon und holte einen jungen Kavalier herbei, den der König soldatisch kurz begrüßte. Er wollte nicht neugierig scheinen, nicht den Anschein erwecken, als ob er irgend welches Gewicht lege auf diese Begegnung; darum beachtete er ihn zunächst nicht weiter, sondern wandte sich dem Domprediger zu.

„Hat Er meine Ordre erhalten?“

„Erhalten und pünktlich befolgt! Ich selbst habe ihn in meinem Wagen auf der nächsten Post abgeholt und insgeheim zur Nachtzeit in meine Wohnung gebracht.“

„Daß Er mir ihn dort wohl verwahrt und nicht etwa den Leuten zeigt! Ich werde über ihn befinden, wenn ich ihn gesprochen habe. Darauf hat Er weitere Ordre zu erwarten und zu respektieren. Und jetzt laß’ Er uns allein!“

Der Domprediger trat zurück und spazierte in den abgelegenen Gängen des Gartens auf und ab.

Jetzt faßte der König den jungen Mann ins Auge: dieser hatte etwas Sympathisches in seinem Wesen, angenehme Züge, feurige Augen, eine schlanke, biegsame Gestalt. Seine Stirn war wie von Gedanken herausgemeißelt, um seine Lippen spielte ein feines Lächeln.

„Wie heißt Er?“ fragte der König.

„Johann Michael von Clement.“

„Wie alt ist Er?“

„Neunundzwanzig Jahre.“

„Und wo geboren?“

„In Ungarn, in dem Flecken Neusohl.“

„Er hat mir Briefe zugeschickt, lebensgefährliche, halsbrecherische Briefe. Doch der Inhalt ist von äußerster Wichtigkeit. Wie kommt Er dazu, solche Dinge zu wissen?“

„Durch meine ganze bisherige Laufbahn, Sire.“

„Erzähl’ Er!“

„Ich begann meine diplomatische Thätigkeit im Kabinett des Fürsten Ragoczy von Siebenbürgen und war im Kriege gegen Oesterreich stets an seiner Seite. Als er, besiegt, die Amnestie verschmähte, folgte ich ihm nach Frankreich.“

„Zuviel Feuer! Doch in Seinem Land wächst ja der edle Tokayer. Was wurde dann aus Ihm?“

„Beim Frieden von Utrecht war ich der Abgesandte meines Fürsten, doch da endeten alle seine Hoffnungen. Auch die meinigen; ich hatte indes Glück, der österreichische Resident im Haag nahm sich meiner an und vermittelte meine straffreie Rückkehr nach dem Vaterlande, wo ich noch einiges Vermögen zu erwarten hatte. Er hatte mich brauchbar gefunden und empfahl mich dem Prinzen Eugen, den ich durch allerlei Schriftstücke von den Intriguen seiner Feinde unterrichten konnte: ich stieg in seiner Gunst, und er vertraute mir alle seine Geheimnisse an.“

„Kein Diplomat der Prinz,“ sagte der König, „der mußte dergleichen im Verschluß halten!“

„Ich weiß viel, sehr viel, Majestät, von allem, was zwischen den Höfen verhandelt wurde, und auch ich selbst wußte von Ragoczys Plänen viel zu erzählen. Mein Gönner war der Sekretär des Prinzen, Langedel, doch der gab ihm selbst bisweilen die Richtung und ich mußte im Einverständnis mit ihm handeln.“

„Große Generale,“ brummte der König, „doch sonst wie die Kinder! Lassen sich am Leitseil führen – pah, das sollte einer wagen hier in Berlin oder Potsdam!“

„Doch es gab in Wien verschiedene Hofparteien, dem Prinzen feindlich; sie hatten ein Auge auf mich geworfen, machten allerlei Versuche der Annäherung. Der Prinz erfuhr davon, und als mein Gönner, Langedel, gestorben war, verlor ich das ganze Vertrauen des Prinzen und wurde beiseite geschoben. Meine Rechtfertigungen, meine Bitten, nichts fand mehr Gehör! Darauf gewann ich das Vertrauen des Grafen Flemming, des kursächsischen Ministers, und meine Mitteilungen über die Wiener Verhältnisse und aus dem Kabinett des Prinzen setzten ihn in stand, bei seinem Könige die Rolle eines kundigen, tiefeingeweihten Diplomaten zu spielen.“

„Und warum ist Er nicht bei Flemming geblieben?“

„Majestät, mein Gewissen regte sich. Die Ehrerbietung vor Ihnen, Sire, der Abscheu vor dem Verbrechen, das in Dresden und Wien angezettelt wurde, mein Widerwille gegen die römische Religion, welche siegreich aus diesen Händeln hervorgehen mußte – alles das bestimmte mich, das einzige zu thun, was einem Ehrenmann unter solchen Umständen übrig blieb, und den schändlichen Plan zu verraten!“

Dem König schoß die Glut ins Gesicht.

„Man dachte daran, man wagte daran zu denken! Sind gekrönte Häupter nicht mehr ihres Lebens sicher vor solchen Kanaillen in den Kabinetten? Doch red’ Er, red’ Er!“

„Zuvor geruhen Majestät mir die huldvolle Zusicherung zu geben, daß mein Aufenthalt hier geheim bleiben, daß ich einzig und allein mit Ihnen zu thun haben werde und daß es mir freisteht, jederzeit wieder abzureisen, sobald es mir nötig dünkt.“

„Das hab’ ich Ihm schon schriftlich zugestanden – es bleibt dabei!“

„In Wien und Dresden betrachtet man mit Neid den Aufschwung der preußischen Königsmacht, welche unter Eurer Majestät glanzvoller Regierung durch die Siege über Schweden und das Bündnis mit Rußland an Ansehen so gewachsen ist. Man weiß sehr wohl, daß Sie es selbst sind, Sire, mit dem Preußen steht und fällt! Und deshalb richtet sich eine verräterische Politik mit verbrecherischen Anschlägen gegen Ihre Person.“

Der König erblaßte; er ging unruhig hin und her. Clement machte eine Pause, um ihn nicht in seinen unheimlichen Gedanken zu stören. Friedrich Wilhelm warf einen mißtrauischen Blick auf den Unterhändler. „Mord also?“ – Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück.

Doch Clements Wesen hatte etwas freundlich Harmloses, sein Feuerauge einen sanften Glanz, und soweit sich ein zutraulicher Ton mit einer unterthänigen Haltung vertrug, wußte Clement ihn geschickt anzuschlagen. Der König blickte ihn beruhigter an; er wurde bestochen durch diese gewinnende Persönlichkeit, durch das Liebenswürdige und Ritterliche ihrer Erscheinung und die siegreiche Überredungskunst, mit der Clement ihm die bösen Pläne seiner Feinde auseinandersetzte.

„Nicht ans Leben will man Ihnen, Majestät; das würde doch die anderen Höfe zu sehr verstimmen.“

„Verstimmen – wenn man die Kugel im Leibe hat – das ist wohl Wiener Kanzleistil? Danke für die Bescherung!“

„Es sind die glatten diplomatischen Phrasen, die ich eben getreulich wiederhole, denn so spricht man in den Kabinetten. Man hat dort Pläne von der Umgegend von Berlin, von Wusterhausen, wo Euer Majestät oft sorglos ohne die nötige Schutzwache weilen, nur eine Meile von der sächsischen Grenze. Es ist die Absicht, Sie dort aufzuheben und in sicherem Gewahrsam festzuhalten, dann den Kronprinzen in Wien katholisch erziehen zu lassen und unter Vormundschaft des Kaisers auf den preußischen Thron zu setzen; man schwankt noch, ob man nicht dem Markgrafen von Schwedt Kurbrandenburg überlassen soll.“

„Schöne Dinge das! Sakramentsche Teufeleien! Man vergißt mein Heer, meine Generale!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0787.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)