Seite:Die Gartenlaube (1899) 0711.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Er war so traurig,“ berichtete oer Pfarrer, „daß es ihm fast die Thränen aus den Augen preßte; besonders weil ich ihm dringend geraten habe, dich nicht sehen zu wollen, da er sich den Stachel nur tiefer treibe.“

„Onkel, es ist ein Elend, geliebt zu werden, ohne daß man wieder liebt,“ antwortete sie erregt. „Der junge Gruber erbarmt mich!“

„Die Gabelfanggeschichte ist das einzige, was gegen ihn vorliegt. Ist sie wahr, so ist sie ein schwerer Makel an seiner Ehre. Aber die große Frage ist noch: ‚Ist sie wahr?‘“

„Und wenn sie ganz erfunden wäre, würde ich ihn doch nie lieben!“ versetzte Cilgia bestimmt.

Der Pfarrer schaute sie fragend an.

„Onkel, ich liebe einen andern,“ sagte sie errötend und zögernd.

„Du Heimlichthuerin!“ Und nun war der Pfarrer in Spannung wie seit langem nicht mehr. „Konradin von Flugi? Sein Vater, der Landammann, hätte nichts dagegen, ich weiß es, er hält große Stücke auf dich.“

„Konradin von Flugi hat sein verliebtes Herz schon an jemand geschenkt,“ erwiderte Cilgia schalkhaft.

„Du weißt mehr Geheimnisse aus dem Engadin als ich – ist es der tüchtige Fortunatus Lorsa?“

In lebhafter Bewegung drängte der Pfarrer zur Antwort.

„Es ist nicht Lorsa, obgleich ich ihn unter den Freunden von Fetan am ehesten lieben könnte und er mir zehnmal willkommner wäre als Gruber. Es ist auch nicht Andreas Saratz, der mir zu langsam und froschblütig in Thun und Denken ist. Auch nicht Luzius von Planta, der mit seinen zwanzig Jahren schon so glatt wie ein Gesandter redet und so feine Unterschiede wie ein alter Richter macht. Ich habe sie als Freunde wohl alle gern – –“

Ungeduldig fragte der Pfarrer:

„Es wird doch nicht Paltram sein, dem hast du ja das Jagdstück nie verziehen?“

Cilgia zögerte.

„Sage mir, daß er es nicht ist – es thäte mir leid!“

Eine Ahnung ging durch den Kopf des Pfarrers – am Bette Pias hatten sich die beiden ja täglich gesehen.

„Doch, es ist Paltrmn,“ flüsterte Cilgia ernst und senkte das erglühende Haupt.

Der gemütliche Pfarrer stand hastig auf und maß mit schwerem Schritt das Zimmer.

Peinvolles Schweigen herrschte zwischen den beiden und man hörte die alte Wanduhr mit schwerem Schlage ticken.

„Onkel, sprecht doch,“ bat Cilgia inständig.

Da stand er vor ihr still.

„Weißt du, wie du mir vorkommst, Kind?“ sprach er mit rotem Kopf. „In Oesterreich unten hat man die Lotterie – tausend verlieren, damit zehn gewinnen – und einer gewinnt den großen Preis – du aber spielst ein gefährlicheres Lotto! – Du spielst nur auf den großen Preis und neben ihm liegen nur Nieten. – Niemand im Engadin zweifelt daran, daß Markus Paltram ein außerordentlicher Mann ist, er beschäftigt das Volk wie keiner, er kann, wenn er ganz erwacht ist, in Gutem oder Bösem ein Großer werden – aber was er ist, weiß zur Stunde niemand.“

„Ich weiß,“ erwiderte Cilgia sehr ernst, „ich spiele auf das große Los – aber mit reichen Hoffnungen!“

Sie schaute ihn mit der ganzen Wärme und Fülle ihrer großen schönen Augen an.

Da trat Pfarrer Taß, der sonst das Salbungsvolle nicht liebte, vor seine Nichte und legte die ausgestreckte Rechte auf ihren Scheitel.

„O Cilgia, Cilgia – möge deinem Haupt kein Leid widerfahren!“

Sie war in tiefer Bewegung verstummt.

„Das verstehe ich,“ sagte nach einer Weile der Pfarrer ruhiger, „wer sich an Paltram wagt, kann Sigismund Gruber, den trocknen, nicht lieben. Wenn man solch einen liebt, dann giebt es kein Zurück. Die Frage ist nur: Führt er dich zum höchsten Glück oder ins tiefste Leid? Ich fürchte die Camogaskersage – warum, das weißt du!“

Cilgia aber erzählte ihm, wie sich ihr gegenseitiges Geständnis bei Santa Maria zugetragen hatte.

Der Pfarrer traute seinen Ohren nicht. „Paltram geht sein Leben lang nicht mehr auf die Jagd?“

„Es ist sein heiliger, großer Eid,“ bekräftigte Cilgia, und der Pfarrer schritt im Gemach auf und ab.

„Ein Eid – es ist ein Eid, den nur ein Uebermensch halten kann! Ich fand mit dir auch schon, daß die Jagd sich nicht recht zum Pfarramt reimt, denn jeder Jäger ist ein Stück Paltram, aber Paltram ist der leidenschaftlichste Jäger, den ich je gesehen habe. Hält er sein Versprechen sechs Wochen, so ist er der stärkste Mann des Engadins. Drum sage ich: Cilgia, baue dein Glück auf diesen Fels – sechs Wochen nur noch, Cilgia, sei vorsichtig gegen ihn!“

„Er wird es halten,“ versetzte Cilgia gläubig, „und ich werde es ihm leicht und süß machen. Glaubt mir, Onkel, er ist kein Statzersee, er ist nur eine Seele, die Sonne braucht – ich will sie ihm geben.“

Cilgia sagte es mit einem Antlitz, in dem das Vertrauen zu Himmel und Erde stand.

Als sie aber dem Pfarrer auch noch den Reiseplan darlegte, da schüttelte er den Kopf.

„Uebe Geduld, Kind – es gefällt mir gar nicht, dich mit ihm einsam auf der Berninahöhe zu denken.“

Vorsichtig und gelassen sprach er.

Cilgia aber schwieg einen Augenblick, ein Ton seiner Rede hatte sie da getroffen, wo ihr Gemüt am empfindlichsten war.

Dann flammten ihre Augen auf.

„Was haltet Ihr von mir, Onkel? Bin ich nicht Cilgia Premont? – Paltram ist eine Feuerseele – aber Ihr hättet ihn bei Pia sehen sollen – er war wie der Tag! Und ich habe es ihm schon versprochen und kann nicht zurück.“

Es war etwas in ihrer Rede, was den Pfarrer schlug – aber ruhig wurde er nicht.

„So geh in Gottes Namen!“ sagte er und brütete vor sich hin, was sonst nicht seine Gewohnheit war. –

Und es kam der Wandertag.

Die Morgennebel lagen schwer und dicht zwischen den Bergen, so daß man die Hand vor Augen nicht sah und nur die das Grau durchdringenden Töne der Saumglocken es verkündeten, daß doch etwas Leben auf dem rauhen, holprigen Wege herrschte.

Markus Paltram trug seinen einfachen, sauberen Sonntagsstaat, dazu den halbhohen steifen Hut; Cilgia hatte einen leichten hellbraunen Pelzmantel umgeschlagen und ein gleiches Mützchen auf die Zöpfe gesetzt, was ihr lieblich und vornehm stand.

So schritten sie durch das stumme, frostige Grau, in dem nichts die Gedanken vom nächsten abzog.

Er sprach von seinen großen Erfolgen als Gewehrschmied.

„Wie bist du eigentlich darauf gekommen, Büchsenmacher zu werden, Markus?“ fragte sie plaudernd.

„Das ist mir angeboren,“ erwiderte er. „Ich glaube, als ich die ersten Höschen trug, baumelten mir auch schon die erste Gewehrschnalle und die ersten Flintenschloßstücke in der Tasche.“

„Bitte, Markus, erzähle mir einmal deine Jugend,“ bat Cilgia.

Und siehe, der sonst so verschlossene junge Mann, aus dem über seine Vergangenheit nichts herauszubringen war, sprach gegen sie mit offener Freude, ja wie aus innerem Drang. Sie lohnte seine Bereitwilligkeit mit einem süßen Blick.

Er erzählte von seiner schönen, doch verbitterten Mutter, deren hohen Sinn weder der Vater, noch sonst jemand im Dorfe verstand und nur ihr ahnungsreicher Aeltester erfaßte.

„Sie nahm mich,“ berichtete er, „oft mit beiden Händen am dunklen lockigen Kopf und vergrub ihre Augen in die meinen und lachte mit ihren blanken Zähnen: ‚Märklein – Märklein, geh nicht in die Stuben und horche, was die Leute reden – geh du lieber an die Wasser und in den Wald!‘

Und da mir niemand so klug wie meine Mutter schien, ging ich. Doch nie am Morgen, ehe sie sich die Wangen rot

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0711.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2023)