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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Die wissenschaftliche Erforschung des Bodensees.

Von Professor Dr. Kurt Lampert.

Eine wundervolle Frühlingssonne leuchtete über dem Bodensee; glitzernd lag die weite Wasserfläche da, hier und da gefurcht von den großen Salondampfern, deren Rauchfahne in aufgelösten Fetzen über den See hinflatterte; zahlreiche Fischerboote belebten die Fläche, die Netze einziehend, in deren Maschen das Silberkleid des köstlichen Felchen glänzte, hier und da blinkte das weiße Segel eines hübschen Segelbootes. Das eigenartigste Thun aber entfaltete ein kleines etwa 10 Meter langes Boot. Kaum war es unter kräftigen Ruderschlägen ein paar hundert Meter gefahren, so lag es wieder mehrere Minuten still. Rasch sich folgende Flaggensignale wurden von dem etliche hundert Meter entfernten Ufer prompt erwidert; auf dem Schiff machte sich eine eifrige Thätigkeit bemerkbar, dann wurde wieder weitergefahren, aber in Kürze begann das Spiel von neuem.

Näherten wir uns dem Schiff, so sahen wir mit Erstaunen seinen 8 m hohen Mast in Meter und Decimeter eingeteilt, und an Bord fiel eine große mit mancherlei Rädern und Kurbeln versehene Maschine auf, deren Hauptbestandteil eine große Trommel bildete, auf welche Stahldraht aufgewickelt war. Der Name des merkwürdigen Schiffes lautete „Sondeur“. Es war das Vermessungsschiff der „Vollzugskommission für die Herstellung einer Bodenseekarte“.

In seiner Nähe kreuzten einige Boote. Die Insassen des einen sahen dem wechselnden Spiel der Sondiermaschine zu, wie am dünnen Draht die 6 kg schwere Kugel in die Tiefe sank, bis das Aufstoßen auf Grund durch sinnreiche Einrichtungen an der Sondiermaschine den automatisch wirkenden Zählapparat bremste; in einem andern Boot wurde ein Netz hereingezogen und zwei Köpfe beugten sich erwartungsvoll über den Bordrand: wieder in einem anderen erzählte der geschichtskundige Graf Eberhard Zeppelin, dessen Schloß am Ufer des Schwäbischen Meeres steht, dem Gast von der Vorgeschichte und Geschichte des Bodensees, von den Pfahlbaufunden und den Heidelöchern bei Sipplingen, von dem kupfernen Kessel in Bodman, in dem der Ahnherr des heute blühenden Geschlechts als einjähriges Kind gerettet wurde, als der Blitz 1307 das Stammschloß zerstörte und alle Glieder der Familie umkamen, oder von den Glanztagen der schönen Mainau, als Kaiser Wilhelm I so gern hier weilte.

Führte in jener Zeit der Zufall einen Besucher des Bodensees nach dem genannten Bodman, jenem idyllischen Ort am äußersten Ende des Ueberlingersees, so begegnete er auch hier der Thätigkeit der Bodenseekommission. Im Badehaus war ein Apparat aufgestellt mit Zählwerk und automatischer Schreibvorrichtung; mit südlicher Lebhaftigkeit bemühte sich ein Herr, ihn in Gang zu bringen, und bald waren in schönen Kurven auf endlosem Papier vom See selbst geschrieben die geheimnisvollen Atemzüge verzeichnet, welche das mächtige Wasserbecken in regelmäßigen Zwischenräumen sich leise heben und senken lassen.

Neun Jahre sind jetzt vergangen seit jenen sonnigen Maitagen und der Abschluß der großen langjährigen Forschungsarbeit, von der wir einige Momente zu skizzieren versuchten, steht bevor. Wenn auch noch nicht alle Resultate publiziert sind, so gilt dies doch von der Mehrzahl, und wir können es versuchen, einen Ueberblick über das ganze Unternehmen und seine Resultate zu geben.

Die von den fünf Uferstaaten des Bodensees durchgeführte wissenschaftliche Untersuchung des größten deutschen Sees bedeutet einen Merkstein in der Geschichte der wissenschaftlichen Seeforschung. Seenkunde, Limnologie nennt sich dieser jüngste Sproß an dem sich stetig mehr verzweigenden Baum der biologischen Wissenschaften.

Als ihren Vater dürfen wir Professor Forel in Morges am Genfer See nennen; er hat die Wege gezeigt, in denen die Seenkunde zu wandeln hat, und in der Erforschung des Genfer Sees ein Muster gegeben. Zum erstenmal aber fand die Seenforschung staatliche Anerkennung, wenn wir so sagen dürfen, in der Vereinigung der Bodenseestaaten zur Erforschung dieses Seebeckens.

Die erste Veranlassung dazu war praktischer Art; auf Einladung Württembergs wurde eine Kommission eingesetzt, um Beratung zu pflegen über „Umfang und Methode von Bodenseetiefenmessungen und -Untersuchungen, sowie Herstellung einer Bodenseekarte.“ Bald aber erweiterte sich das Programm, und neben der „Kartenkommission“ entstand eine „wissenschaftliche Kommission“, welcher die Lösung der rein wissenschaftlichen Aufgaben zufiel. Nicht nur die für Herstellung einer Karte nötigen Vermessungen und Lotungen sollten vorgenommen werden, sondern auch die Physik des Bodensees, seine Wärme- und Lichtverhältnisse studiert werden, seine Pflanzen- und Tierwelt eingehende Untersuchung finden. Aus der ursprünglichen Kommission entwickelte sich durch Neuwahlen und Beiwahlen ein stattlicher Stab von Gelehrten; die ganze Leitung lag in der Hand des württembergischen Bevollmächtigten, als welcher zunächst der Vorstand des Statistischen Landesamts aufgestellt war, dem sodann Graf Eberhard von Zeppelin folgte, jüngst durch Verleihung des Doktortitels von der Universität Tübingen ausgezeichnet, ein Bruder des Grafen Ferdinand Zeppelin, der seine Theorie von der Lenkbarkeit der Luftschiffe nach der Erbauung eines Luftschiffes auf einem Floß im Bodensee in die Praxis umzusetzen im Begriff ist. Dem Ersteren verdankt die Wissenschaft auch die Redaktion der „Bodenseeforschungen“, in denen die Resultate dieses großen Unternehmens festgelegt sind; sie sind in den Schriften des „Vereins für Geschichte des Bodensees und seine Umgebung“ publiziert und auch als Sonderabdruck erschienen. Die Geschichte des Bodensees, seine topographischen und hydrographischen Verhältnisse sind vom Grafen E. Zeppelin selbst eingehend geschildert, die Temperatur-, Farben- und Lichtverhältnisse haben in Forel ihren Bearbeiter gefunden, dessen Aufsätze von Graf E. Zeppelin übersetzt sind, die Pflanzenwelt des Bodensees hat in lichtvoller Weise Kirchner geschildert, von Hofer stammt die Bearbeitung der Tierwelt, und in kleinen Mitteilungen hat noch der eine oder andere der Mitarbeiter im Gesamtwerk das Wort ergriffen. Zu diesem stattlichen Band der wissenschaftlichen Ergebnisse kommt noch als Hauptresultat die neue, aufs genaueste ausgearbeitete Bodenseekarte.

Es ist nicht leicht, aus der Fülle des Stoffes das Wichtigste herauszugreifen und ein gedrängtes Gesamtbild der in jahrelanger Arbeit gewonnenen Resultate zu geben. – Werfen wir zuerst einen Blick auf die geographische Lage des gewaltigen Beckens am Fuße der Alpen; im Norden schließt sich die charakteristische Moränelandschaft mit ihren schönen buchenbestandenen ovalen Hügelkuppen, ihren Rieden, Mooren, Weihern und kleinen Seen an; am Ostende des Sees erheben sich die Nagelfluhwände des Pfänders bei Bregenz; südöstlich öffnet sich in einer Breite von 8 bis 10 Kilometer die weite Ebene des oberen Rheinthales, im Süden schiebt sich zwischen dem Seeufer und dem Thurthal ein aus der Tertiärzeit stammender Rücken ein, der zum Teil sanftere Abdachungen, wie zwischen Romanshorn und Konstanz, zeigt, am Untersee aber in steilen Hängen unmittelbar aus den grün-blauen Fluten aufsteigt. Im Westen schließen die vulkanischen Höhen des Hegaus, der durch Scheffel unsterblich gewordene Hohentwiel mit seinen Genossen das nähere Landschaftsbild ab. In weiter Ferne aber grüßen von Süden und Osten die Alpen herein, Säntis und Scesaplana, die Höhen Vorarlbergs und die Allgäuer Alpen.

Es ist ein ungemein abwechslungsreiches Landschaftsbild, welches der Bodensee bietet, und früh schon mögen seine Ufer zur Besiedelung gelockt haben. Die Pfahlbaufunde, die bei Konstanz, bei Ueberlingen und an anderen Punkten des Bodensees gemacht wurden, lassen auch seine Geschichte im Dunkel der Prähistorie verschwinden.

Seine erste Erwähnung verdankt er den Römern; um das Jahr 40 n. Chr. spricht Pomponius Mela von zwei durch den Rhein unweit seines Ursprungs gebildeten Seen, dem lacus Venetus und lacus Acronius, womit jedenfalls die beiden Teile des Bodensees gemeint sind. In höherem Grade bürgerte sich nach Plinius’ Vorgang der Name lacus Brigantinus ein, gewählt nach der römischen Niederlassung Brigantium (Bregenz). Mit dem Sturz der Römerherrschaft wurde Brigantium in Schatten gestellt durch Konstanz, die Bischofsstadt, und durch die fränkische

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0702.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)