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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Sie bringen die Kinder zu Bett? Gut. Sie haben wohl nichts dagegen, wenn ich den Baum da zu uns hinüber schaffe? Haben Sie noch Wachsstock genug, um neue Lichter aufzustecken?“

„Gerne, gnädiger Herr – ich bitte, hier ist der Wachsstock …“

„Warten Sie, ich hebe ihn herunter … so; vielleicht besorgen Sie das Lichteraufstecken, bis ich wiederkomme. Sagen Sie mal, Sie können wohl rasch heiß Wasser machen – schön, schön, bringen Sie nur erst die Kinder unter – und: ist das Wirtshaus leicht aufzufinden?“

„Der gnädige Herr brauchen nur gerade zum Dorfe zu gehen, das dritte Haus links ist das Wirtshaus. Aber bei dem Wetter – wenn ich vielleicht etwas besorgen soll …“

„Das will ich schon lieber selber besorgen.“

Er ist fort. Sabine sitzt einsam bei dem Oefchen, in dem der Zug faucht und die Glut schürt. Eine wunderliche Lage, in die sie gekommen: sie wird mit diesem unsympathischen Vetter, der so häßliche Augen und eine so brutale Männlichkeit an sich hat, eine Weihnachtsfeier halten! Sie haßt ihn, wenn sie an alle die Qualen denkt, die sie ihm verdankt – o, er ist so ruhig bei diesem Prozeß, er hat nichts zu verlieren. Da giebt es einen ganz anderen Mann, einen Edelmann durch und durch – wie schön und warm leuchtend die braunen Augen, wie klug und liebenswürdig das Lächeln … ja, mit dem allein so Weihnachten feiern! … Ach, dieser unselige Prozeß ist schuld; sie muß, sie muß ihn gewinnen … oder davon befreit werden! … Vielleicht daß es gelingt, diesen Abend noch; es ist nicht aussichtslos … gar nicht unmöglich …

Und sie nimmt ein Knie über das andere und schlingt die Hände drum, und die klugen grauen Augen gehen unruhig, wie ihre Gedanken.

Nein, dies Grübeln führt doch zu nichts – sie hat genug davon; sie wird aufstehen, der Frau drüben helfen.

Die Kinderköpfe fahren bei ihrem Eintritt neugierig herum, je zwei und zwei in einem Bette; die plappernden Stimmchen schweigen. In der Küche knistert und klirrt es, und die Frau ruft: „Ich komme gleich, gnädiges Fräulein!“ Sabine nickt den Kindern zu, indes sie zum Tische geht, zu den schon vom Wachsstock abgeschnittenen Stücken.

„Hat euch denn der Weihnachtsmann Schönes gebracht?“ Erst Stillschweigen; dann sagt der größte Junge: „Ja, mir eine Trommel und viele Hefte, alle mit Schildern drauf.“ Sabine fragt ihn weiter, was die Geschwister bekommen haben, während sie die Wachslichter am Baum zu befestigen beginnt; mitten in der Aufzählung erscheint die Mutter und will ihr wehren, aber, Sabine läßt sich nicht stören, und die Redselige bleibt bei ihr und hilft. Draußen saust der Wind, und ein paarmal rutscht es auf dem Dache und klatscht unter dem Fenster auf.

Dann geht plötzlich die Hausthür auf – Vetter Hans Jochen klopft den Schnee ab und tritt mit einem Jungen herein, der einen Korb trägt. „So, hier sind Viktualien, und ich komme auch zu meinem Punsch. Mit der Qualität müssen wir wohl Nachsicht haben. Das Wetter ist rein des Teufels! Kocht das Wasser?“

„Jawohl, gnädiger Herr.“

Sie packen aus. Sabine arrangiert den Tisch, Vetter Hans Jochen braut Punsch, trägt den Baum auf den Tisch der guten Stube. Nun wird gespeist: kalte Dorfküche.

Zehn Minuten später sitzt Sabine wieder mit dem Vetter in der guten Stube am Ofen, und sie haben einen Holzstuhl zwischen sich, auf dem ein großer dampfender Topf und zwei Gläser stehen. Die Wachslichter an dem kleinen struppigen Christbaum brennen; ein starker Würzduft durchzieht den engen Raum, der außer der Polstergarnitur, etlichen Rohrstühlen und einem Glasschrank mit Porzellan und Nippsachen weiße Fenstergardinen und an den schablonierten Wänden reichlich billige Bilder und Photographien aufzuweisen hat.

„Ihr Wohl, Cousine! … aber Sie nippen, als hätten Sie Angst vor dem Punsch. Ist er zu schlecht? Zu stark ist er nicht, wenigstens bekommt er vorzüglich.“

Sie lächelt, mit einer Liebenswürdigkeit, deren Absichtlichkeit sie nicht ganz verbergen kann – oder will. „Er ist mir nur zu heiß.“

„Also warten Sie noch. Ich bin dran gewöhnt.“

Sie plaudern, über die Familie, über Bekannte, über allerlei sonst; er in seiner harten, roh zugreifenden Art, aber mit wachsender Vertraulichkeit und mit Augen, die sie halb mit Besorgnis, halb mit Befriedigung studiert. Sie hat Herzklopfen, und ihr ist gar nicht wohl bei der Sache, ihre Nerven schwirren und zuweilen fliegt ihr die Hitze in das Gesicht. Dann sieht sie doppelt reizend aus. Manchmal hat sie Mühe, die Gedanken zusammenzunehmen, dann erscheint sie verwirrt, und er deutet das zu seinen Gunsten.

Sie trinkt tapfer; sie verträgt etwas, und ihr ist, als müsse sie sich Mut trinken. In der That: sie wird mit der Zeit innerlich freier und lebhafter, beinahe lustig, und läßt munter die Augen werben. Er erst recht. Er ist völlig verliebt, seiner Sache sicher und zu jeder Unvorsichtigkeit fähig, so viel Punsch wie er schon getrunken hat.

„Famos, Cousine!“ ruft er auf einmal polternd, da Sabine über einen Witz von ihm lacht. „Was? Zwei Feinde, die so vergnügt Weihnachten zusammen feiern! Na, ich will Ihnen das Herz ein bißchen erleichtern: mein Advokat ist auf einmal der Meinung, daß ich bei dem Prozeß hereinfalle. Wenn ein Advokat schon so denkt, bringt er nicht viel fertig. Schade, wir hätten uns früher kennen sollen, vielleicht wäre dann jeder Prozeß überflüssig gewesen – was, Cousine Sabine?“

Er reicht ihr die Hand hin, und sie setzt sich heroisch über ihren Schauder hinweg und legt flüchtig ihre Fingerspitzen hinein. Seine punschselige Beichte wegen des Advokaten … ein Glücksgefühl durchflutet sie! Nun versteht sie, weshalb er einen Vergleich angeboten hat; aber sie spricht nicht mehr davon.

„Wie kommen Sie eigentlich dazu, Vetter, zu behaupten, ich hätte Sie in Schlowitten schlecht behandelt? Sie sagten das vorhin. Ich habe keine Ahnung … habe Sie nie in Schlowitten gesehen …“

„Das ist’s ja, Verehrteste! Besinnen Sie sich gefälligst: ich mache Ihnen Visite und Sie geruhen, nicht zu Hause zu sein. War das etwa nett von Ihnen?“

Diesmal ist die Verblüfftheit von Sabine echt. „Bei Gott,“ sagt sie ehrlich, „das ist ein Mißverständnis. Ich war im Felde, als Sie kamen; ich fand nachher Ihre Karte.“

„Ah – wahrhaftig? Da muß ich abbitten, das ändert die Sache. Habe auf Ehre fest geglaubt, Sie hätten mich refüsiert. Dummkopf, der ich war! Darf ich nachholen, Cousinchen? Was? Komme morgen, wenn Sie gestatten – frage mal nach, wie Ihnen Heiligabend bekommen …“

Sabine fühlt, daß sie eiskalt wird. Sie zieht die Brauen hoch, lächelt mit Anstrengung, zuckt die Achseln: „Solange wir Feinde sind, Vetter Rassow …“

„Ach, der verfluchte Prozeß – ich verliere ihn doch …“ Er ist ganz aufgeregt, hat einen roten Kopf. „Wissen Sie was, Cousinchen? Ich schenke Ihnen die Sache. Famos, famos, wir legen uns Weihnachtsgeschenke auf den Tisch: Sie mir die Erlaubnis, nach Schlowitten zu kommen, ich Ihnen den ganzen Prozeß! Einverstanden?“

Sie legt wieder die Fingerspitzen in die dargebotene Hand,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0667.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2023)