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wieder mit einem Bleistift auf ein vollgekritzeltes Pergament. Er glaubte, in dem Holzblock den Runenstein vor sich zu haben.

Und weiter wird erzählt: Eines Tages war Pastor Runge aus dem Hildesheimer Irrenhause entwichen. Man suchte ihn vergebens, keine Spur war von ihm zu entdecken. Tage-, ja wochenlang setzte man die Nachforschungen fort, der unglückliche Irre war und blieb verschwunden.

Da wurde der neue Pfarrer zu Jesteburg an einem herrlichen Julimorgen durch die Kunde aufgeschreckt: draußen auf dem „Blutstein“ läge ein toter Mann, mit schneeweißem Haar. Und wirklich sah er, als er den Garten betrat, lang ausgestreckt über den Runenstein, die Leiche seines unglücklichen Amtsvorgängers, das abgeschossene Pistol noch krampfhaft in der Rechten haltend.

Die Todesart des bedauernswerten Mannes wurde verheimlicht. – In die Pfarrakten eingetragen findet sich nur die Nottz, daß der Pfarrer Johann Karl Gottlieb Runge am 5. Juli 1794 im Alter von 51 Jahren plötzlich verstorben sei.

Der „Jesteburger Runenstein“ hatte in ihm sein letztes Opfer gefunden. –

Schon früher war er von Menschenblut gefärbt worden, weshalb er ringsum von den Bewohnern der zerstreut liegenden Walddörfer der „Blutstein“ genannt wurde, unter welchem Namen er auch nach Jesteburg kam. Auch „Teufelsstein“ und „Hexenstein“ nannte ihn das Volk. Jedermann mied die Stelle, wo er lag.

Der „Blutstein“ sollte an einem bestimmten Tage im Monat August Blut schwitzen. „Teufelsstein“ wurde er geheißen, weil der Teufel mit seinen Knöcheln dem Steine die seltsamen Zeichen eingegraben haben sollte, und als „Hexenstein“ wurde er bezeichnet, weil eine junge Hexe, der Sage nach, mit ihrem Buhlen, dem Bösen selber, an dieser Stelle Zusammenkünfte gehabt hatte. Schweres Seufzen, wie von dem Stein ausgehend, vernahm man an dem Tage, an welchem die Hexe in Hamburg verbrannt worden war.

Wenngleich der „Runenstein zu Jesteburg“ in der alten Kriminalstatistik nur Bedeutung hat, weil er thatsächlich in einem Hexenprozeß des Jahres 1661 eine Rolle spielt, sind die Sagen über ihn doch gewiß interessant genug, um sie hier im Zusammenhang darzustellen.

Die älteste der drei Sagen erzählt, wie der Stein zu dem Namen „Teufelsstein“ kam. Seppensee ist ein auf dem Wege der Bahn von Harburg nach Celle gelegenes freundliches Dorf, das ehemals im Walde förmlich versteckt lag. Das mächtige Waldrevier stand unter Obhut des Jägers zu Lohbergen. Zwischen Seppensee und Lohbergen erhob sich abseits vom Wege eine Anhöhe, auf welcher sich ein von Moos und Kräutern umwachsener Stein befand. Dieser Stein war unser Runenstein, der aber zu jener Zeit von keinem Menschen als solcher erkannt ward.

Nun lebte damals in Seppensee ein Schneider, der zugleich Musikant war. Nebenbei betrieb unser Schneiderlein auch noch die Kunst, mit Spielkarten allerlei Hokuspokus zu machen, über die sein erstauntes Bauernauditorium sich jedesmal schier zu Tode lachen wollte. Zu verwundern war es da wohl nicht, daß unser Meister Zwirn mitunter die häuslichen Sorgen von sich warf und bei Spiel und Tanz, sowie bei den dann gewöhnlich folgenden Kartenkunststücklein einen Schluck über den Durst nahm und mit schwerem Kopf und schwachen Beinen mitten in der Nacht nach Hause wankte. –

In einer schönen Sommernacht kam der Schneider denn auch mal wieder von einer Kirchweih heim und wanderte, seine Fiedel über den Rücken gehängt, durch den Lohbergener Forst seinem Heimatsdorfe Seppensee zu.

Der Mond schien taghell. Der Weg war lang und einsam, mutterseelenallein schritt er den Waldpfad dahin, allmählich schwanden die Geister der genossenen Getränke aus seinem Gehirn und die Wehmut des beginnenden Katzenjammers überkam ihn. Er warf sich mitten im Walde nieder und rief: „Das Leben ist doch gar zu erbärmlich! Die Woche über muß ich nähen, daß mir die Augen blind und die Hände lahm werden, am Sonntag fiedle ich vom Nachmittag an bis in den helllichten Morgen hinein; dazu ein immer keifendes Weib, fünf nimmersatte junge Mäuler – wahrlich, das Leben möge der Teufel holen, wann er’s haben will!“

Plötzlich trat ein Mann in reicher Jägertracht hinter dem Hügel hervor und sagte: „Ist’s Euch so leid ums Leben? Irre ich nicht, so seid Ihr doch der lustige Schneider und Fiedler von Seppensee?“

„Der bin ich, Herr!“ entgegnete der Schneider, „aber hol’ mich der Teufel, es ist wahr, was ich sagte: es ist eine Schand’, wie wir armen Leute uns quälen müssen. Was hab’ ich von all meinem Arbeiten und Fiedeln? Nichts als das trockne Brot für mich und die Meinen.“

„Ihr sollt ja trefflich Karten spielen und Zauberstücklein mit Euren Karten machen können,“ sagte wieder der Fremde, „da geht auf Reisen! Eure Karten können Euch ein schön Stück Geld draußen im Lande, namentlich in den großen Städten, eintragen.“

„Und während dessen verhungern Weib und Kinder!“ meinte der Schneider.

„Mache Euch einen Vorschlag,“ erwiderte der Jäger und zog aus seiner Jagdtasche einen Beutel, den er von seiner Schnur befreite und aus dem nun blanke Goldstücke dem Schneider entgegenblinkten. „Hier, dieser Beutel voll Goldgulden ist Euer, wenn Ihr dreimal hintereinander im Kartenspiel mit mir gewinnt.“

Der Schneider blickte den Fremden groß an, betrachtete dann die rotglänzenden Goldstücke und fragte gedehnt: „Und wenn ich verspiele?“

„Dann seid Ihr der Meine, ich bin Euer Herr und Ihr folgt mir; aber das Gold hier könnt Ihr zuvor Eurer Familie geben.“

Der Schneider that einen Luftsprung, der Handel war gar zu verlockend.

„Nun, wollt Ihr?“ fragte der Jäger. „Könnt es getrost mit mir wagen.“

„GutI“ rief der Schneider, seiner Spiel- und Kartenkunst vertrauend. „Aber – soll’s gleich sein? Wir haben ja keinen Tisch?“

Der Jäger zeigte nach der Anhöhe hinauf.

„Dort oben liegt ein Heidenstein,“ bestimmte er, „an dem spielt sich’s vortrefflich.“

Die beiden erstiegen die Anhöhe und lagerten sich zu Füßen des Steins. Der Schneider nahm seine Karten, die er allzeit bei sich trug, ließ den Fremden mischen und das Spiel begann.

„Ein wenig rasch, seid so gut!“ befahl der Fremde, „möchte vor dem ersten Hahnenschrei zu Hause sein, der Mond wird bleicher, und es beginnt schon zu dämmern.“

Stich um Stich wurde nun gethan; mit dem Beginn des Spiels hatte der Schneider seine ganze Denkkraft wieder gewonnen, um so mehr, als ein wahrer Goldschatz für ihn zu gewinnen war. Das erste Spiel war zu Ende, der Schneider hatte gewonnen.

„Verflucht!“ rief der Fremde und seine Stimme klang krächzend wie die einer Nachteule.

Sie spielten weiter. Stich um Stich siegte wieder der Schneider, während dessen Gegner bei jeder neuen Karte mit seinen Handknöcheln auf die Steinfläche schlug, daß ein harter, schriller Laut ertönte. Zugleich gewahrte der Schneider, daß mit jedem Schlag, den sein Mitspieler auf den Stein that, dieser tiefer in den Erdboden sank. – Auch das zweite Spiel war zu Gunsten des Schneiders entschieden.

Der Mond schien mehr und mehr zu erbleichen, sein Licht wich der Morgendämmerung, die den Osten zu erhellen begann. Der Jäger that einen neuen gotteslästerlichen Fluch und streckte, wohl um bequemer zu lagern, seine Beine lang aus.

Da erschrak der ungläubige Schneider bis ins Herz hinein. War ihm schon das Schlagen des Fremden mit seinen Handknöcheln auf den harten Stein, das Einsinken des Steines gar unheimlich erschienen, jetzt erblickte er mit Grausen, daß des Jägers linker Fuß einem Klump- oder Pferdefuß glich. Mit einem Male war es ihm klar: er hatte den Teufel gerufen, und dieser war gekommen!

Jetzt galt es Fassung, sollte nicht alles verloren sein. – Ein Spiel war noch übrig! Wer konnte wissen, welche Teufelskniffe der Satan anwenden würde, dies zu gewinnen. Aber der Schneider von Seppensee verlor nicht die Courage.

„Seid nicht unwirsch, Herr!“ rief er, „will Euch zur Kurzweil erst mal ein Kunststücklein zeigen, dann werdet Ihr freundlich gestimmt und wir spielen weiter.“

Und im selben Augenblick hielt er dem Jäger die Karten hin und sagte: „Zieht eine Karte und behaltet sie in der Hand.“

Der Jäger that, wie der Schneider wollte. Dann forderte dieser ihn auf, die Karte, welche er in der Hand hielt, in seinen Hut zu legen und diesen wieder auf den Kopf zu setzen. – Auch dies that der Jäger. Der Schneider mischte nun wieder die Karten, nahm die oberste davon und reichte sie dem Fremden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0658.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2023)