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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Ihr seid aber ein Trockener,“ spottete sie.

„Ja, das sind wir allesamt auf dem Suldenhof. Das Gewerbe und das Geldzählen verstehen wir, in Kisten und Kästen haben wir’s auch. Und eben deswegen habe ich eine Idee.“

Er blinzelte Cilgia so gütig, so wichtig und vielsagend an, daß sie unruhig wurde.

„Herr Gruber,“ sagte sie lachend, „es ist draußen Sonnenschein – gegessen und getrunken haben wir – möchten wir jetzt nicht ein wenig spazieren gehen? Ihr wißt es vielleicht, daß der junge Büchsenschmied, der Euern Sohn über das Sesvennagebirge geführt hat, auch hier im Dorf wohnt – wollen wir ihm nicht Grüß Gott! sagen?“

„Bin ich einmal in Pontresina, so gehört es wohl zum Anstand,“ erwiderte der alte Gruber kühl und kratzte sich im Haar.

Um einem zu vertraulich werdenden Gespräch die Spitze abzubrechen, war sie auf den Vorschlag verfallen, mit ihm den Besuch bei Paltram zu machen; vielleicht suchte sie auch selbst eine unverfängliche Gelegenheit, einmal einen Blick in die Werkstatt Paltrams zu werfen.

Auf der Straße legte sie zutraulich ihren Arm in den des Gastes.

Das gefiel dem Alten über die Maßen, und stolzer war er wohl noch nie mit seinem schweren, langsamen Bärenschritt durch ein Dorf gegangen, der gewaltige Mann mit dem silbernen Gurt und dem wallenden Bart.

„Habt Ihr etwas gegen Paltram, daß Ihr seiner noch mit keinem Wörtchen gedacht habt?“ fragte Cilgia.

„Das nicht,“ erwiderte Gruber gelassen. „Es kränkte mich nur, daß er damals nicht in unser Haus getreten ist, obgleich er vor der Thüre stand; er hätte nicht so stolz zu sein brauchen. Denkt, wir haben nicht einmal gewußt, wie er hieß, bis ich ins Engadin kam.“

Da begegnete ihnen der Tiroler Bursche, der gestern die Schar der Heuer und Heuerinnen angeführt hatte; er zog auf einem Schlitten, wie sie im Gebirgsland auch im Sommer als Lastfuhrwerke üblich sind, ein Fuder Heu und grüßte verlegen. Ebenso knapp war der Gruß Grubers.

„Der Mann sprach heute früh mit mir von Euch,“ versetzte Cilgia.

Da zuckte der alte Gruber merkbar zusammen – er faßte sich aber und sagte gleichgültig:

„Es ist ein von mir entlassener Knecht, den ich ein paar Jahre zu lange im Hause gehabt habe – man kennt ihn unter dem Namen des Langen Hitz weit und breit. Zur Arbeit ist er tüchtig wie kein anderer, sonst ein Erzgalgenvogel.“

Im Lederschurz und dunkel bestaubt von der Arbeit, trat ihnen Markus Paltram, der junge Handwerker, stolz und bescheiden zugleich entgegen.

Cilgia stand etwas abseits von den Sprechenden und beschaute eifrig eine Zeichnung des Büchsenschmieds.

„Was wird denn das, Paltram? Ich werde nicht klug aus dem Riß.“

„Es ist eine Erfindung eigner Hand, Fräulein – ein neues Doppelgewehrschloß – einfacher und zuverlässiger, als man es bis jetzt hat.“

Und er erklärte ihr den sinnreichen Mechanismus.

Lorenz Gruber horchte seinen Worten mit Spannung zu und erwärmte sich sichtlich für Markus Paltram.

„Hört,“ sagte er plötzlich, „verfertigt mir ein Gewehr nach diesem neuen Plan – es ist für die Franzosen, wenn sie wieder ins Tirol einbrechen!“

Und Cilgia half ihm, den mißtrauischen Schmied, der in dem Auftrag ein Dankgeschenk witterte, zu bestimmen, daß er an die Ausführung gehe.

Ihrer Ueberredung gelang es.

Nach dem Besuch schritt sie mit dem alten Gruber gegen Santa Maria empor.

Aber ihr Gast war auffällig still.

„Wie gefällt Euch Paltram?“ fragte sie.

„Das ist’s eben, worüber ich nachdenke. Er ist anders, als Sigismund ihn mir beschrieben hat – ich glaubte, sein Führer sei ein ganz geringer Vagabund – nun ist es ja einer, dem man es von weitem ansieht, daß er im Leben vorwärts kommen wird.“

„Glaubt Ihr das wirklich, Herr Gruber?“ fragte Cilgia, lebhaft über das Lob erfreut.

Da stand er still und sagte mit großem Selbstgefühl:

„Ich schaue eine Tanne nur ein einziges Mal an, dann weiß ich, was sie wert ist, und anders halte ich es nicht mit den Leuten. Ein Blick, und sie sind abgeschätzt. Wartet, bis dieser Paltram Oberluft hat – der wird ein Mann, daß es eine Freude ist.“

Endlich ein gerechtes Urteil! dachte Cilgia und wurde vor Vergnügen rot.

Sie waren bei Santa Maria angekommen und setzten sich dort auf die Bank am Thor.

Der alte Gruber räusperte sich mehrmals, als steckte ihm etwas im Hals, dann sagte er ernst:

„Ich habe so eine Idee, Cilgia. Wenn meine Buben dazuschauen, so fehlt’s ihnen nicht an Geld und Gülten. Ich habe aber auf meinen vielen Reisen auch gemerkt, daß das noch nicht alles in der Welt ist, und darum thäte es mich halt gefreuen und wäre mein Ehrgeiz, wenn ich auf den alten kernhaften Gruberstamm ein frisches Zweiglein setzen könnte, so etwas Feines, Herrenmäßiges – so ein liebes Wesen wie Euch! Das gehört zum Geld und giebt dem Hause Ansehen.“

Cilgia brannten die Wangen – sie dachte an Flucht. Lorenz Gruber aber nahm ihre Hand.

„Der alte Gruber macht nicht wegen jeder eine so weite Reise, wie Euretwegen – – und Ihr dürft ihm schon Rede und Antwort stehen. – Mein Büberl ist vernarrt in Euch – der Vater ist’s auch – und weil der Herrgott es in Fetan so wunderbar gefügt hat und Ihr mir als kleines Mädchen schon so gut gefallen habt, sagt nicht Nein, Cilgia – werdet meine Schwiegertochter – wir werden Euch auf Händen tragen!“

Mühsam und bewegt sprach es der alte Mann.

Cilgia senkte zuerst die Augen, hob sie dann wieder und schaute ihm ruhig und fest ins Angesicht.

Ernst, doch freundlich sagte sie:

„Herr Gruber, ich danke Euch. Glaubt aber nicht, daß ich mich nur ziere, wenn ich Euch mit einem festen Nein antworte. Es ist mir ernst – ich bringe noch keine Heiratspläne in den Kopf.“

Sie sagte es halb verzweifelt, sie schaute ihn innig vertrauend und lieb an; ihre Augen baten, daß er sie verstehen möge.

Der alte Gruber aber schluckte und schluckte.

„Hat Euch der Lange Hitz etwas Nachteiliges von uns gesagt?“ grollte er halb zornig, halb gedrückt.

„Nein, gewiß nicht.“ Und Cilgia sah ihn erstaunt an.

Gruber fühlte es, daß seine Bemerkung eine Erklärung forderte.

„Mein Sigismund,“ sagte er, „ist ein braver und wackerer junger Mann, nicht gerade ein Stadtherr, aber doch sehr ansehnlich von Gestalt. Er ist tüchtig im Geschäft und trägt dem Gulden und dem Kreuzer Sorge, ohne ein Geizkragen zu sein. Ich habe aber den Fehler begangen, daß ich ihn zu früh unter die Knechte gab. Da hat ihn der Lange Hitz zu thörichten Jägergeschichten verführt, wie sie etwa unter Holzhackern gepflegt werden, wenn die Leute wochenlang sich selbst überlassen bleiben. Darauf jagte ich den Langen Hitz fort, und nun habe ich wohl nicht mit Unrecht den Verdacht, daß er mit seinem frechen Mundstück den Suldenhof nicht lobe.“

Nur mit Pein sagte es Gruber.

„Ich liebe die Jagd nicht,“ bemerkte Cilgia. „Das kommt von meinem Vater her.“

Da lächelte Gruber: „Sigismund habe ich die Lust dazu ausgetrieben – ich bin gegen meine Buben scharf wie ein Messer, wenn mir an ihnen etwas nicht gefällt.“

„Das glaube ich,“ erwiderte Cilgia, „aber lieb könnt Ihr gewiß auch mit ihnen sein.“

„Daß ich’s kann, Cilgia, da seid sicher! Ich möchte auch meinem Sigismund es von Herzen gönnen, wenn er ein feines, gutes Weib wie Euch bekäme. Und heute, als ich Euch sah, da war es mein höchster Wunsch, daß Ihr mir eine gütige Antwort gebt. Und nun lautet sie so!“

Der alte Gruber sagte es herzlich betrübt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0622.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2022)