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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

schüttelte er die Träumerei ab und richtete sich halb empor, aber er verharrte wie gebannt in dieser Stellung. Durch den frühlingslichten Wald, der noch einen vollen Einblick gestattete, kam eine Dame, ganz allein. Sie war noch in ziemlicher Entfernung, aber dem einsamen Manne stockte doch der Atem beim Anblick der schlanken Gestalt in dem grauen Reisekleide. Sein starres, ungläubiges Staunen hielt eine Weile an, dann blieb ihm kein Zweifel: es war Elfriede von Wilkow.

Sie kam rasch näher, ohne auf ihre Umgebung zu achten. Die Augen zu Boden gesenkt, eilte sie vorwärts, wie gejagt von einer inneren Angst. Jetzt betrat sie den kleinen Seitenpfad, der, eine Windung des größeren Weges abschneidend, zum Waldbrunnen führte, jetzt erreichte sie diesen, da sprang Robert auf und trat ihr entgegen.

Ein Aufschrei rang sich von den Lippen der jungen Frau, totenbleich, bebend an allen Gliedern, blickte sie auf den Mann, den sie tödlich verwundet, sterbend glaubte und der nun hier mitten im Walde ihr gegenüber stand. Das war zu viel für ihre schon durch die Angst erschöpfte Kraft, sie schwankte und griff nach den Holunderzweigen, als suchte sie einen Halt. In demselben Augenblick war Robert aber auch schon an ihrer Seite und stützte sie.

„Um Gottes willen, was ist Ihnen? – Habe ich Sie erschreckt? – Elfriede!“

Erst seine Stimme, seine unmittelbare Nähe schienen die junge Frau zu überzeugen, daß diese Erscheinung Wirklichkeit sei. Ihr Blick glitt scheu und fragend über ihn hin, er war wohl bleicher als sonst, aber doch unverändert; jetzt sah sie auch die Binde um seine Stirn, ein wirkliches Zeichen des Unfalls, und mit der Erkenntnis seiner Rettung kam ihr auch die Besinnung zurück. Mit einer raschen, beinahe heftigen Bewegung machte sie sich los von dem stützenden Arme.

„Mir ist nichts, gar nichts!“ sagte sie, mit einem vergeblichen Versuche, sich zu fassen. „Sie traten nur so plötzlich hervor – ich war in der That erschrocken.“

Sie ließ sich auf einem der moosbewachsenen Steine nieder, notgedrungen, denn ihre Füße trugen sie nicht mehr. Adlau war zurückgetreten, die alte Gereiztheit erwachte wieder in ihm bei der fluchtähnlichen Bewegung, mit der Elfriede sich ihm entzog. Er ahnte ja nicht, daß sie von seinem Unfall etwas wußte, konnte nicht erraten, was sie hergeführt hatte. Aber sie war so bleich, sie zitterte noch immer, und dann ihr Aufschrei, als sie ihn erblickte; schwankend zwischen Unwillen und aufflammender Hoffnung, stand er vor ihr, aber seine Lippen waren fest zusammengepreßt. Die junge Frau brach endlich das beklemmende Schweigen.

„Ich bin auf dem Wege nach Lindenhof,“ erklärte sie leise. „Ich will zu meinem Vater.“

„Und ich komme eben von ihm,“ fiel Robert ein. „Er ahnt noch nichts von Ihrer Ankunft, Sie wollen ihn vermutlich überraschen.“

In das bleiche Gesicht Elfriedens stieg eine helle Glut bei dem Gedanken an die Veranlassung ihrer Reise. Sie hatte in besinnungsloser Angst zu dem Vater gewollt, um mit ihm nach Brankenberg zu eilen – der Todesgefahr gegenüber fielen ja alle Schranken, alle Rücksichten. Aber jetzt stand Robert lebend vor ihr, jetzt durfte er nicht ahnen, was sie hergetrieben hatte, um keinen Preis!

„Es gilt allerdings eine Ueberraschung,“ bestätigte sie, und es gelang ihr wenigstens einigermaßen, das Beben ihrer Stimme zu beherrschen. „Ich weiß ja, wie schwer es meinem Vater wird, sein geliebtes Lindenhof zu verlassen, ich wollte ihm das ersparen, und dann – dann hatte ich auch Sehnsucht nach unserem Rhein.“

„Nach unserem Rhein! Gilt er Ihnen wirklich noch dafür?“

„Wie vorwurfsvoll das klingt! Trauen Sie mir denn gar kein Heimatsgefühl zu?“

„Für den kalten grauen Norden? Für die Enge der deutschen Verhältnisse? Damals in Korfu hatten Sie nur Spott dafür.“

„Nun, dann bin ich wohl dafür bestraft,“ versuchte Elfriede zu scherzen. „Ich habe diesmal im Orient thatsächlich Heimweh gehabt, Sehnsucht nach einem deutschen Frühling.“

„Wirklich? Und findet er noch Gnade vor Ihren Augen?“

Die junge Frau schwieg. Sie hatte ja nichts gesehen von all der Frühlingspracht ringsum, nicht auf ihrer Fahrt durch Deutschland, nicht auf dem Wege hierher. Vor ihrer Seele stand nur das Eine, Furchtbare: die Todesgefahr des Mannes, den sie liebte – wie sehr, das hatte ihr die Stunde gezeigt, in der sie jene Nachricht empfing. Jetzt hob sie das Auge zu ihm empor, mit einem tiefen Atemzuge der Erlösung, und dann floh es doch wieder scheu das seinige und schweifte hinaus in den sonnigen Forst, jetzt erst sah sie, daß es Lenz geworden war in der Welt.

Hier freilich zeigte sich kein südliches Landschaftsbild mit Lorbeeren und Cypressen, keine mächtigen Berggipfel ragten auf, kein tiefblaues Meer wogte fern am Horizonte, aber hier rauschte ein deutscher Wald in seinem lichten Maiengewande. Durch die zartgrünen Schleier des jungen Laubes blickte der klare Frühlingshimmel mit den weißen Wolken, die hoch oben dahinschifften, und der Sonnenschein flutete herein und durchleuchtete den ganzen Wald mit goldigem Schimmer. Von allen Zweigen sang und klang es mit süßem Gezwitscher, mit hellem Lockruf, mit jubelndem Finkenschlag, und in den Gebüschen ringsum regte sich ein Wehen, ein Summen und Schwirren ohne Ende.

Und inmitten dieses Waldwebens rauschte und rieselte der einsame Quell, der da aus dem Gestein hervorbrach mit seinem hellen Wasserstrahl, überschattet von den blühenden Wildrosen. Es klang und flüsterte in diesem Rauschen geheimnisvoll aber deutlich vernehmbar für die beiden, die sich hier so nahe und doch so fern gegenüberstanden: Habt acht! Laßt die Schicksalsstunde nicht wieder entfliehen! Sonst ist’s vorbei – vorbei!

Robert harrte vergebens einer Antwort auf seine Frage, sein Blick ruhte mit schmerzlichem Ausdruck auf dem Antlitz der jungen Frau, als er fortfuhr: „Wie lange ist es denn her, daß wir zusammen einen deutschen Frühling erlebten? Wissen Sie es noch, Elfriede? Ich zog damals hinaus, um drüben jenseit des Oceans das Glück zu suchen, aber ich hatte mir die Sache doch allzuleicht gedacht. Der Kampf um das Glück wurde zunächst nur ein verzweifelter Kampf um das Dasein überhaupt. Oft genug war ich am Unterliegen, aber da war eines, was mich immer wieder emporriß, was mir Mut und Kraft gab zu neuem Ringen, eine Hoffnung, die Erinnerung an jene Abschiedsstunde, wo meine Braut an meiner Brust lag und mir unter Thränen gelobte: ,Was auch kommen mag, Robert, ich lasse nicht von dir!’“

„Robert, ich bitte Sie – nicht diese Erinnerungen!“ Die Stimme der jungen Frau klang halb erstickt, aber er beachtete die Bitte nicht, sondern fuhr mit steigender Bitterkeit fort:

„Zwei Jahre später freilich, da erhielt ich einen Brief, der ganz anders klang. Da wurde mir mitgeteilt, daß sich ein reicher vornehmer Freier gefunden habe, der alles das bieten konnte, was mir fehlte, daß die Eltern drängten, daß – kurz und gut, ich las es deutlich zwischen den Zeilen, daß man der ‚aussichtslosen Geschichte‘ müde war. Der Frau Mutter war sie ja stets ein Dorn im Auge gewesen; als sich nun vollends eine glänzende Partie fand, da war mein Urteil gesprochen. Und du, Elfriede – du gabst mich auf!“

„Nein, du warst es, der mich aufgab!“ fuhr Elfriede mit vollster Heftigkeit auf. „Ich stand allein, schutzlos, dem unermüdlichen Werben Wilkows, dem Drängen meiner Mutter gegenüber. Sie hielt es mir täglich vor, daß ich schon halb vergessen sei, deine Briefe würden ja immer kürzer, immer spärlicher – o, ich wußte das am besten! In meiner Angst, in meinem erwachenden Mißtrauen suchte ich bei dir Schutz. Ich schrieb dir alles, und was war die Antwort? Du sagtest dich los von mir mit den wildesten Anklagen gegen mich und meinen ‚Verrat‘, mit dem Ausbruch eines maßlosen Hasses gegen den Mann, der um mich warb, und den du nicht einmal kanntest. Du gabst mir nicht mein Wort zurück – vor die Füße hast du es mir geworfen!“

Der Vorwurf mochte wohl nicht ungerecht sein, denn Robert wies ihn nicht zurück und seine Stimme klang milder, als er erwiderte:

„Meine Briefe – nun ja, die mögen kurz und karg gewesen sein, weil ich nichts Gutes zu melden hatte. Ich war ausgezogen mit dem stolzen Versprechen, uns ein Vermögen zu erringen, und sollte nun eingestehen, daß ich tagtäglich mit der bittersten Not rang! Es wollte mir ja nichts, nichts glücken! Was ich begann, schlug fehl, was ich wirklich einmal gewann, das ging wieder verloren. Und mitten in diesem verzweifelten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0543.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2022)