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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Schauplatz des Kinderzechspiels. Von St. Georg tönen feierlich die Glocken; die graubärtigen Stadtsoldaten im rotweißen Schlitzwams salutieren, und schon im Banne der echt historischen Stimmung, die bald Aug’ und Ohr völlig gefangen nimmt, steigt man die Treppen zu dem mit Geschlechterwappen schön verzierten, braungetäfelten Saale hinan. Am Ende des in seiner ganzen Länge dichtbesetzten Raumes thut sich die Ratsstube auf. Pergamente mit mächtigen kaiserlichen Insiegeln bedecken den Tisch, massige, mit kunstreichen Eisenschmiedearbeiten beschlagene Truhen bergen wohl die Schlüssel und Schätze der Stadt, die breiten geschnitzten Lederarmstühle sind für den „fürsichtigen, wohlweisen Rat“ bestimmt. Ehe wir noch sattsam den stattlichen Urväterhausrat betrachtet, öffnet sich die Thüre im Hintergrunde und, aufeinander gestützt, treten die beiden ersten Bürgermeister Wigerlein (Lehrer Braun) und Abelin (Kantor Strehl) ein. Sie beklagen die Not der Stadt, die, im Innern durch Religionszwist gespalten, aus eigener Kraft dem übergewaltig heranziehenden Schweden nicht zu trotzen vermag, wenn der um kaiserlichen Entsatz nach Regensburg geeilte Stadtsyndikus Memminger keine Hilfe bringt. Wigerlein wäre der friedlichen Uebergabe geneigt, doch der mittlerweile erschienene Kleine Rat zaudert, selbst als Memminger (Kaufmann Kühl) völlig erschöpft in Bauernverkleidung hereinwankt und bekümmerten Herzens die Erfolglosigkeit seiner Sendung meldet.

Der Aufmarsch der Kinder vor der Schranne und der Spruch des kleinen Obristen.

Der Stadthauptmann (Lehrer Jungmeier) erklärt, Widerstand wäre Selbstvernichtung. Ein schwedischer Hauptmann (Gerichtsvollzieher Faber) heischt und erhält im Namen des Obristen Sperreut Gehör und fordert unbedingte Uebergabe auf Gnade und Ungnade. Die Lage ist verzweifelt. „Engel müßten niedersteigen, soll Dinkelsbühl errettet werden,“ spricht drohend der Schwede. Dies Wort erlauscht, im Begriff Botschaft zu bringen, des Rothenburger Thorwärters Töchterlein, die „Kinderlore“ genannt, weil, von ihrer Herzensfreundlichkeit angezogen, auf Schritt und Tritt alle Kinder der Stadt, arm und reich, sich ihr gesellen. „Engel?“ überlegt sie und gedenkt ihrer kleinen Lieblinge. „Hat nicht der feindliche Offizier berichtet, daß der Schwedenobrist in tiefer Betrübnis ob seines einzigen Söhnleins jähen Todes sei – und er sollte sich der Milde verschließen beim Anblick hilfloser, flehender Kinder?“ Wie von Gott erleuchtet, sammelt sie rasch die Kinder von der Straße und tritt mit ihnen vor den Rat und die Bürgermeister, um voll Demut und Mut zugleich ihren Entschluß kund zu geben. Laßt mich

„Mit ihnen flehend vor den Sieger treten ….
Ob jedem dieser Häuptlein schwebt ein Engel,
Der es bewahrt vor Unglimpf und Gefahr.
Sind sie beschirmt, so sind’s auch wir ….“

Bittend falten die Kleinen, wie unser Bild auf S. 540 in anmutiger Gruppe es veranschaulicht, die Hände, und als die Kinderstimmlein melodisch in dem Choral zusammenklingen: „Ach, bleib mit Deiner Gnade,“ vertraut, innig bewegt, der erste Bürgermeister das Geschick der Stadt den Kindern und ihrer heldenhaften Führerin an. Lore und ihr kleines Gefolge wenden sich zum Gehen, wozu auch der Rat sich anschickt.

Da erst kommt den Zuschauern, die in atemloser Ergriffenheit fortgerissen lauschten, zum Bewußtsein, daß das alles nur Spiel gewesen und sie nicht Zeuge eines wahrhaften, thatsächlichen Vorgangs waren. So ganz und gar bei der Sache waren die Mitwirkenden samt und sonders, vom ersten Bürgermeister bis zum winzigen Büblein an Lorens (Frl. Lina Pickel) Hand, so vorzüglich, typisch geradezu, paßte jede einzelne Erscheinung in die ihr zugeteilte Tracht und Rolle, daß bei absoluter Vermeidung alles Theatralischen und Unechten der Eindruck vollkommener Wahrheit erreicht wurde.

Während der Pause eilt alles durch die mit Flaggen und Gewinden geschmückten malerischen Gassen zum Wörnitzthor, wo unter freiem Himmel das Nachspiel sich entwickelt.

Auf gebieterische Trompetenstöße von außen öffnet sich das Thor und läßt die Schweden ein. Den wallenden Federhut auf dem energisch geschnittenen, bärtigen Blondkopf, den flatternden weißen Mantel auf den breiten stattlichen Schultern, reitet finsteren Blickes Klaus Sperreut (Lehrer Gebhardt), der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0541.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2022)