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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Sie sich am Ende um den Oberamtmann und die schöne Frau von Zeuthern, die übrigens gar nicht so sehr glücklich mit ihrem durch Sie Seligen gewesen sein soll! Lassen Sie die Familie zehnmal Nein sagen! Sie sind unabhängig! Nehmen Sie Ihre Braut und machen allem, was Zeuthern, Osterroth und Deuben heißt, Ihr ergebenes Kompliment. Ich will nicht noch derber werden. Also: am liebsten heut’ noch die Annonce ins Kreisblatt!“

Achim war unter dieser eiligen, langen Flüsterrede ganz fahl geworden. Der Schreck lähmte seine Gedanken.

„Na ja,“ fuhr Bläser fort, ihm teilnehmend in das entstellte Gesicht blickend, „ich habe mir’s gedacht, daß Sie wütend werden würden. Die paar Stunden, die ich heut’ überhaupt im Bett lag, bin ich nicht zur Ruhe gekommen wegen der Geschichte. Das kann ich wohl sagen. Ich stand vor der Frage: teil’ ich Ihnen den Klatsch mit oder nicht? Aber am Ende dachte ich dann: Ja! Meine herzliche Ergebenheit für Sie, meine Verehrung für das charmante Fräulein, und schließlich auch die Thatsache, daß ich gleichsam eingeweiht bin, machen es mir zur Pflicht, zu sprechen.“

Achim drückte ihm heftig die Hand. „Gewiß,“ sprach er heiser, „ganz gewiß. Ich danke Ihnen, lieber Freund!“

„Je schneller Sie handeln, um so besser wird es sein.“

„Selbstverständlich!“ sagte Achim.

„Da kommt der Hauptmann!“ raunte Bläser.

Herr von Hallendorf, lang und dünn mit seinem etwas stelzenden Gang, kam neben dem breitschultrigen Feldwebel über den Kasernenhof. Sofort trat Achim mit dienstlichem Gruß an ihn heran und bat in einer unaufschiebbaren Ehren- und Familiensache um Dispens vom Dienst für diesen Vormittag.

Im Dienstverkehr hatte Hallendorf immer eine etwas gnädige Note im Wesen. Leutselig gewährte er seinem Premier die Bitte. Achim ging zurück in seine Wohnung, die er eben in einer so innerlichst heiteren Stimmung verlassen hatte – ein geschlagener Mann.

Allmählich kam das Leben in ihn zurück – er hatte in der letzten halben Stunde wie ein Automat sich bewegt.

Zorn und Bitterkeit übermannten ihn.

Sie, die ihm die Verkörperung von Reinheit, von Seelenklarheit schien – sie war in eine solche peinliche, zweideutige Lage gekommen! Ihr Ruf wurde in diesem Augenblick in allen Häusern der Stadt und Umgegend zerfetzt oder doch wenigstens angezweifelt. Es war empörend!

Und neben dem Zorn empfand er einen tiefen, schneidenden Schmerz. Ihm war, als hätten da rohe Fäuste zarte, verborgen sproßende Keime ans Tageslicht gezerrt, das sie noch nicht vertrugen, und als sei nun ihre Lebensfähigkeit für immer vernichtet.

Eine Hoffnung, die so fern, so licht an seinem Horizont sich erhoben, daß er selbst sich noch kaum getraut, ihr recht in die glückverheißenden Augen zu sehen, war verscheucht.

Bitter dachte er: Ich habe kein Glück in der Liebe. Erst kommt sie mir mit rasenden Blitzen, wie ein Gewitter, und braust vorüber, daß mir um meine Ehre und das Leben einer anderen Angst werden konnte. Und nun seh’ ich von fern ein himmlisches Licht, wie Trost, wie Friede … und der schändlichste Mund, den es giebt – der Mund des „lieben Nächsten“ bläst es mir aus.

Darüber, was er zu thun hatte, war er keinen Augenblick im Zweifel.

Zunächst schrieb er an den alten Herrn in Berlin. Seine Feder flog nur so über das Papier. Er schrieb:

 „Hochgeehrter Herr Osterroth!
Das Herz von Kummer und Zorn schwer, trete ich vor Sie hin mit einer Beichte. Ich nehme ohne weiteres an, daß Ihnen die schmerzlichen Ereignisse bekannt sind, welche mein Dasein und das Frau Sabinens durchstürmten, und daß Sie wissen, wie ich aus tiefster Erkenntnis, einer wilden Leidenschaft nicht das Opfer meines Lebens bringen zu dürfen, mich befreite. Vielleicht haben Sie mich verdammt, vielleicht verstanden. Ich weiß es nicht.

Aber jene unselige Leidenschaft ist nicht verhallt und vergrollt, ohne ein anderes Ereignis sehr peinvoller Art nach sich gezogen zu haben.

Frau Sabine wünschte ihre Briefe zurück und wünschte mir sagen zu lassen, daß ich fort von Mühlau müsse. Mit der Unvorsichtigkeit, die nur holdeste Reinheit und verblendete Leidenschaft haben konnten, beschlossen die beiden Damen, daß Fräulein Susanne zu mir gehen solle.

Sie that es vor einigen Tagen in einer Nachmittagsstunde. Zehnmal bin ich gerade um jene Zeit mutterseelenallein. Aber Sie kennen das: wo keine Zeugen gewünscht werden, stellen sie sich unfehlbar ein. Mein Kamerad Bläser kam. Meine Wirtin war auf dem Flur gewesen.

Bläser faßte die Situation ritterlich auf. Er sah, ich merkte es, Susannen für meine heimliche Braut an.

Die Wirtin aber schwatzte.

In zwei Tagen war Mühlau voll davon. Da traf ich, noch ahnungslos über den Klatsch, Fräulein Susanne auf dem Ressourcenball und widmete mich ihr in der unverhohlenen Verehrung, welche ich für dieses holde anbetungswürdige Geschöpf empfinde.

Nun ist der Klatsch zum Skandal geworden; mein treuer Kamerad Bläser berichtet ihn mir eben.

Daß ich sehr eilig handeln muß, Fräulein Susannens Ruf zu schützen, versteht sich von selbst.

Diese Zeilen an Sie werden noch nicht auf der Post sein und man wird mich schon unterwegs sehen nach dem Hause des Oberamtmanns Deuben. Was ich dort will? Das einzige, was ein Ehrenmann kann, der nicht gesonnen ist, eine junge Dame, die denn doch thatsächlich und unleugbar in seiner Wohnung war, schutzlos zu lassen!

Ich werde um die Hand von Fräulein Susanne anhalten!

Ich werde einen Korb bekommen! Mit schmerzlicher Bitterkeit gestehe ich es mir. Aber lassen Sie mich Ihnen, teurer, hochverehrter Freund, in dieser Stunde gestehen, daß ich vielleicht später, wenn die Zeit mir gestattet hätte, mir Ihr Vertrauen und dasjenige Fräulein Susannens zu erwerben – daß ich dann vielleicht den Mut gehabt haben würde, um ihr Herz zu werben.

Es hat nicht sein sollen. Dieser brutale Zwischenfall vernichtet alles.

Ich habe mich gefragt: welche Genugthuung kann ich Fräulein Susanne geben? Wie ihre Ehre wiederherstellen? Die Wahrheit kann ich nicht sagen – Sie wissen es. Lieber sterben!

Es ist ja kein schuldvolles Geheimnis das, was zwischen mir und Sabine vorging. Aber die Geschichte dieser unglücklichen Leidenschaft ist nur von feinen und reifen Seelen zu verstehen und zu verzeihen. Es ist keine Geschichte für den Marktplatz.

Und mich muß noch die Furcht peinigen, daß Sabine, in Großmutsekstase, in Raserei unerloschener Liebe, aus ihrem ganzen kühnen Temperament heraus, selbst die Wahrheit sagt, ohne zu bedenken, daß in der Folge ihr Leben noch schwieriger werden würde, als es ohnehin schon ist. Sabine wird sich ja, ebenso wie ich es thue, sagen, daß wir allein die Ursache dieses Vorkommnisses sind. Sie wird, sich selber preisgebend, die Freundin verteidigen wollen.

Aber Sie werden mir beistimmen, daß es meine Pflicht ist, sowohl zu verhüten, daß Sabine sich anschuldige, als auch, daß auf Susannen ein häßlicher Verdacht ruhen bleibt. Der einzige Weg dazu scheint mir aber, Fräulein Susanne einen förmlichen Antrag zu machen, ihr freizustellen, mein Vermögen, meine Stellung zu teilen. Eindringlicher kann man der Welt doch nicht darthun, daß man eine Dame hochachtet. Und die Welt – diese enge kleine Mühlauer, wird das ja schleunigst erfahren, und wenn sie zugleich erfährt, ich sei abgewiesen, so wird sie immerhin vielleicht von ernsthaften Konflikten phantasieren, aber sie wird Susannen nicht mehr für leichtfertig halten.

Vielleicht mache ich da ganz falsche Schlüsse. Dann haben Sie Nachsicht mit einem Mann, der sich in sehr verwickelter Lage befindet und zugleich nach zwei Seiten hin den Schützer spielen möchte und muß.

Entrüstet Susanne sich vielleicht gar darüber, daß ich, ein Mann, den sie noch vor kaum drei Monaten für eine andere entbrannt sah, es wagte, ihr meine Hand anzutragen, so nur der Form halber, dann, ich flehe Sie an, sprechen Sie ein wenig für mich. Erklären Sie ihr meine guten Absichten, wie ich versucht habe, diese Ihnen zu erklären.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0527.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2021)