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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

durchzusetzen wußte: ich trete am ersten Januar in mein altes Regiment zurück.“

„Wieder nach Berlin?“ rief Susanne in plötzlicher, freudiger Lebhaftigkeit aus.

„Ja. Nach Berlin. Freut es Sie ein wenig?“ fragte er glücklich lächelnd.

„Ja, o sehr, das heißt … ich meine, Onkel Fritz wird sich freuen. Er hat Sie so liebgewonnen. Sie werden ihn doch besuchen?“

Sie hatte Sabine und alle Ereignisse der letzten Zeit vergessen. Ihre Augen strahlten.

„Gewiß werde ich ihn besuchen, so oft er mir’s erlaubt.“

Herzlich nahm er Susannens Hand.

„Und nun schicke ich Sie fort. Gehen Sie gleich! Daß mich Ihre Gegenwart beglückt und ehrt, brauche ich nicht erst zu sagen. Aber Ihr Geschäft ist gethan. Mein Kamerad Bläser könnte kommen. Ich erwarte ihn.“

„O, ich kenne ja Bläser,“ sagte Susanne verwirrt.

Diese thörichte Antwort rührte ihn sehr. Er sah dem Mädchen innig in die blauen Augen.

„Er darf Sie aber doch nicht hier finden. Und ich, nicht wahr, ich darf nun sagen: Auf Wiedersehn in Berlin?“

„Ich habe aber noch gar nicht alles bestellt,“ brachte Susanne zögernd heraus.

Er ließ ihre Hand fahren.

„Was ist denn noch?“ fragte er unruhig.

„Sabine ängstigt sich … Sabine meint … sie wünscht … sie möchte … sie denkt oft an all die Briefe …“

Sie konnte es nicht herausbringen. Um keinen Preis. Sie fürchtete, er würde rasen und sich verschwören, die Briefe nie, um die Welt nicht, herauszugeben; er habe Sabine geliebt und wolle diese Beweise ihrer Liebe für immer als heiligen Besitz behalten.

Er sah sie erwartend an. Ein schon verstehendes, wehmütiges Lächeln spielte um seine Lippen.

„Sabine möchte ihre Briefe zurück?“ fragte er.

„Ja,“ sagte sie eifrig und erleichtert, daß er sie so schnell verstand, „das möchte sie. Sie denkt, wenn Sie einmal … einmal … heiraten, daß dann diese Briefe keinen Wert mehr …“

„Sie sollen diese Briefe mithaben,“ sprach er voll Haltung. „Wenn ein Weib von einem Mann, den es geliebt hat, ihre Briefe zurückfordert, verweigert der Mann nur in zwei Fällen die Hergabe. Er sagt Nein, wenn er ein Schuft ist, der einmal aus den Briefen Waffen zu schmieden denkt. Er sagt Nein, wenn er das Weib noch immer heiß liebt. Ich bin ein Ehrenmann. Und ich liebe Sabine nicht. Sie weiß es, daß nur eine vorübergehende Leidenschaft mich blendete. Darum gebe ich Ihnen die Briefe zurück. Aber ich bitte Sie, Sabinen zu sagen, daß sie mir immer wert, sehr wert geblieben wären, daß ich sie ihr mit schmerzlicher Bewegung zurückgäbe.“

Er ging an ein Cylinderbureau, das an der Wand neben dem Fenster stand.

Susanne hätte weinen mögen. Alles, was er gesagt, und besonders wie er es gesagt hatte, kam ihr so männlich und so herzvoll vor.

Während Achim aufschloß und drinnen abermals ein Schubfach mit einem Schlüssel öffnete, den er erst aus seiner Tasche holen mußte, erzählte Susanne ganz zutraulich:

„Seit zehn Tagen haben wir es jeden Tag vorgehabt, daß ich zu Ihnen gehen sollte. Die arme Sabine hatte keine Ruhe! Aber nun wird ihr wohl besser werden. Denken Sie sich, sogar auf den Ressourceball wäre ich gekommen, um Sie zu sprechen, wenn es vorher nicht geglückt wäre!“

Er sah auf.

„Und nun?“ fragte er.

„Thut’s nicht mehr nötig!“

„Kommen Sie doch! Ich würde mich freuen. Der Abend, der für mich sonst eine Strafe ist, hätte dann Inhalt,“ sagte er schnell.

Sie schwieg.

„Hier sind die Briefe … ich will sie Ihnen zusammen in einen großen Bogen einpacken … ich …“

Draußen schlug zweimal die Hausthürglocke an mit ihrem melodischen Bim–bam.

„Bläser!“ sagte Achim, und der Schreck fuhr ihm durch den ganzen Körper.

Nein? Er schien es nicht, denn niemand klopfte. Aber gleich danach hörte man Stimmen draußen – die Bläsers, der mit Achims Hauswirtin sprach. Die war also auch auf dem Flur?

Achim trat der Schweiß auf die Stirn. Mit unsicheren Händen packte er die Briefe in einen Bogen.

Gerade war er fertig.

Da klopfte es kurz, und ohne ein Herein abzuwarten, trat Bläser ein. – – –

Eine schwüle Pause entstand.

Bläser, mit einem verlegenen, beinah’ dummen Lächeln auf seinem hübschen Leutnantsgesicht, sah Achim an.

Der biß sich auf die Lippen und atmete kurz.

Susanne war etwas verlegen, ja sie war sogar in Sabinens Seele hinein schuldbewußt. Wenn Bläser nun erriete, daß sie hier war, um Sabinens Briefe zu holen!

Was werde ich ihm sagen? dachte Achim verzweifelt.

Die Wahrheit sagen, hieße Sabinen kompromittieren – sie verschweigen, Susannen bloßstellen.

Inzwischen wunderte Susanne sich doch, daß Bläser so an ihr vorbeisah.

„Kennen Sie mich nicht mehr?“ fragte sie; „wir haben uns doch Ende August im Manöver gesehen, als ich mit Onkel Fritz reiste.“

„Aber gnädiges Fräulein – aber selbstverständlich,“ sprach Bläser und schlug die Hacken zusammen und dienerte wohl sechsmal, „darf ich fragen, wie sich der charmante alte Herr befindet?“

„Danke. Sehr gut. Sind Sie fertig, Herr von Körlegg?“ fragte sie ruhig.

Achim konnte ihre Ruhe nicht fassen.

Aber in Susannens Gemüt war es in der That ganz klar geworden. Die kurze Angst war ganz überwunden. Zuversichtlich dachte sie: Er wird Bläser schon nachher irgend etwas Verständiges sagen und es zu verhüten wissen, daß der die Wahrheit errät.

„Hier, mein gnädiges Fräulein!“ sagte Achim sehr zeremoniös.

„Ich danke Ihnen.“

Sie neigte das Haupt gegen Bläser.

Achim riß die Thür auf. Er konnte nun nicht anders, und wenn zehnmal Frau Leermann etwa auf dem Flur an ihren Leinenschränken herumkramte – er mußte Susannen bis an die Hausthür begleiten wie einen feierlichen offiziellen Besuch. Bläsers wegen konnte er sie nicht eilig entwischen lassen, ihr nicht raten, das Gesicht zu verstecken.

Und Frau Leermann auf dem Flur, einen Tisch mit der Dielenlampe darauf vor den offenen Schrankthüren neben sich, machte Augen und dachte: Ist das nicht das Fräulein, welches bei Oberamtmanns zum Besuch ist?

Als Achim sein Zimmer wieder betrat, fand er Bläser rittlings auf einem Stuhl sitzend, die Hände an der Lehne und ihn mit einem spitzbübischen Lächeln erwartend.

„Sag’n Sie mal, Körlegg,“ begann er, seine Beine weit von sich streckend, „da wir doch in ein und derselben Stunde die Bekanntschaft des reizenden Fräuleins gemacht haben – stehen wir so, daß ich Sie fragen kann: darf man gratulieren?“

Achim stemmte die Faust auf den Tisch und sah auf den andern herab.

„Wenn ich nun sagte, lieber Bläser: Nein, so stehen wir nicht? Aber Sie wissen ganz gut, daß die Situation mich nötigt, Ihnen irgend etwas zu sagen. Einen Glückwunsch darf ich aber nicht annehmen.“

Bläser sprang auf. Er wurde mit einem Male ernst und herzlich.

„Hörn Sie mal – als Ihr Kamerad und als Ihr Freund gewissermaßen, muß ich’s sagen: es ist doch nicht denkbar, daß Ihnen die Familie Schwierigkeiten macht, weil Sie damals die Geschichte mit dem Zeuthern hatten?!“

„Schwierigkeiten,“ murmelte Achim, „wieso meinen Sie?“

„Na,“ sagte Bläser, „daß man sich daran stößt. Zeuthern war doch immer ein Vetter von Fräulein Osterroth. Und Sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0522.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2021)