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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Weißt du,“ sagte sie, „das ist eine schreckliche Dame ….! Und deine Mutter ist auch so kolossal verändert, gar nicht mehr so freundlich wie früher; ich weiß gar nicht, was sie auf einmal gegen mich hat …. Neulich trafen sie mich in der Konditorei, ich hatte mir bloß etwas Vanilleeis geben lassen – da sieht mich das Fräulein ordentlich traurig an und sagt: ‚Sie sind wohl sehr für Süßigkeiten, liebes Kind? Ach ja, ich hatte auch einmal eine Freundin in meinen jungen Jahren, die liebte die Näschereien sehr – ein armes Wesen. Sie hat so ein trauriges Ende genommen.‘ Nun bitte ich dich, was geht mich ihre Freundin an? Ich kenne sie selber ja kaum. Und deine Mutter nickt dazu und sagt ganz streng: ‚Sie sollten sich diese Neigung beizeiten abgewöhnen, liebe Thea. Ich bin froh, daß ich als junges Mädchen nie Eis und dergleichen gegessen habe!‘ Kolossal, was? Wo sie mir doch hier immer zuredet, daß ich noch mehr von ihren leckeren Sachen versuchen soll! So etwas kann einen kränken!“

Sie sah wirklich sehr gekränkt und angegriffen aus. „Ach ja,“ erwiderte sie auf eine teilnehmende Frage Gertruds, „ich habe auch viel durchgemacht in der letzten Zeit. Du erinnerst dich wohl, daß ich dir von einem gewissen Herrn Adolf Schräger erzählte – einem jungen Menschen, den ich auf einem Ball bei meinem Onkel kennenlernte?“

„Ich glaube, ja,“ sagte Gertrud. „Es war doch der junge Kaufmann, mit dem du so viel über Poesie gesprochen hast und der so gut Walzer tanzte, nicht wahr? Du schwärmtest ja ordentlich für ihn.“

„Erlaube,“ warf Thea ganz zornig ein, „da irrst du dich doch kolossal! Ich und für diesen Menschen schwärmen – lächerlich! Er kam mir ja gleich widerwärtig vor. Und siehst du, wie richtig ich ihn erkannt habe! Es war derselbe, der mir als Marquis Posa das dumme Zeug geschrieben hat.“

„Um Gottes willen,“ rief Gertrud erschreckt. „Weiß er denn, daß die Briefe an ihn von dir waren? Du hast sie doch hoffentlich alle wieder?“

„Nein,“ versetzte Thea, „daß ich die Briefschreiberin bin, weiß er zum Glück nicht; sonst könnte ich ja keine ruhige Stunde mehr haben. Und die Briefe habe ich wieder! Mühe hat’s freilich gekostet. Man hat sie ihm ordentlich abtrotzen müssen.“

„Man? Wer ist das? Dein Vater?“

„Behüte,“ lachte Thea, „das fehlte gerade noch. Nein, das hat Herr Meißner besorgt – ein Kaufmann aus derselben Stadt – ein reizender Mensch.“

„Woher kennst du denn den wieder?“

„Ach, weißt du, man hat so seine Verbindungen,“ erwiderte Thea ausweichend. „Er reist übrigens in Wein, ich habe ihm gesagt, daß er nächstens auch ’mal bei euch anfragen soll. Du darfst ihn aber nicht merken lassen, daß ich dir von der Sache gesprochen habe! Adieu, Herzenstrudchen, grüß deine liebe Mutter von mir! Aber das sag’ ich dir, das habe ich jetzt heraus: nimm dich vor heimlichen Briefen in acht, es ist eine kolossale Dummheit, und es kommt nichts dabei heraus als lauter Aerger und Verdruß!“

Gertrud blickte ihr lächelnd nach und stieg wieder die Treppe hinauf zu Hartwigs Zimmer, um dort noch einmal heimlich zum dritten- oder viertenmal seinen Brief zu lesen, den sie am Morgen dem Briefträger abgelauert hatte. Es war voraussichtlich der letzte; denn zugleich mit ihm war eine Karte von Hartwig an Frau Swarteborn gekommen, worin er ihr ankündigte, daß er in den nächsten Tagen zurückkehren werde, und Fräulein Alma Hoven war bereits darauf gefaßt, ihre Residenz nach dem Fremdenstübchen, einen Stock höher, zu verlegen. Sie wollte lieber für den Rest ihres Aufenthalts in der Stadt dort oben in der Enge unter dem Dach hausen, als Frau Mariens freundlichen Gutnachtgruß mit den gefühllosen Verbeugungen eines Oberkellners vertauschen. Selbst an Gertruds stilles und bescheiden schweigsames Wesen hatte sie sich gewöhnt und begegnete ihr mit einer aufrichtigen Freundlichkeit, deren sich junge Mädchen sonst nicht leicht von ihr erfreuten.

Nachdem Gertrud den Brief nochmals durchstudiert hatte, legte sie ihn vor sich auf den Tisch, um sich noch eine Weile an seinem Anblick und besonders an der Adresse zu ergötzen, während drunten im Garten die Finken zwitscherten und der Sand zuweilen leise unter den Füßen der auf- und abwandelnden Damen knirschte. Hartwigs und Gertruds Gedankenaustausch war von Brief zu Brief vertraulicher geworden, in den Formalien aber hatte sich wenigstens von ihrer Seite nichts geändert und auch er unterzeichnete nach wie vor mit seinem vollen Namen. Sie fand, daß es ein sehr schöner Name sei und daß er ihn sehr schön schreibe; wie sie ihn nun wieder vor sich sah, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, zu versuchen, ob sie ihn wohl so schön nachmalen könne. Da sie es aber zum dritten- oder viertenmal versuchte, merkte sie plötzlich, daß sie sich zuletzt verschrieben und statt seines Vornamens ihren eigenen vorangesetzt hatte. Sie errötete sehr und konnte sich doch nicht enthalten, die verschriebene Zeile halblaut nachzusprechen.

In diesem Augenblicke hörte sie unten ein Geräusch im Hausflur ünd gleich darauf einen leisen Schritt auf der Treppe. Erschrocken fuhr sie auf und wußte in der ersten Bestürzung den Brief nur mit ihren Händen zu decken. Bereits aber öffnete sich die Thür und Hartwig Hoven sah sie mit glückseligem Staunen an. Sie that unwillkürlich einen Schritt zu ihm hin und streckte ihm die Rechte grüßend entgegen; da trat er nahe, legte den Arm um sie und küßte sie auf den Mund. Sie bog sich zur Seite und schüttelte das Haupt, ohne ihn anzusehen, er aber zwang sie mit leiser Gewalt, aufzusehen, blickte ihr lächelnd in das erglühende Antlitz und sagte, auf ihre Schreibübung deutend: „Doch, Gertrud!“ Da nickte sie verschämt und erwiderte seinen Kuß.

Sie hatten sich viel zu sagen. Gertrud bedeutete ihn aber, leise zu sprechen, indem sie mit der Hand nach dem Garten hinunterwies. Die beiden alten Damen hatten sich inzwischen an dem Tischchen unterhalb des Fensters niedergelassen, deutlich klang jetzt ihr lebhaftes Plaudern herauf. „Das geht ja herrlich,“ flüsterte Hartwig, „was haben sie denn nur?“ Er faßte Gertrud bei der Hand und stellte sich mit ihr leise hinter den Vorhang …

„ … Darin haben Sie leider recht, meine Liebe,“ ließ sich unten die Stimme des Fräuleins vernehmen. „Wenn ich bloß bedenke, wie viel Sorgen und Befürchtungen ich mir früher immer um meinen Neffen gemacht habe – wenn er es auch jetzt nicht mehr recht Wort haben will! Nun, es ist ja gottlob nicht vergebens gewesen – er ist ein tüchtiger Mann geworden, und ich darf sagen, er schlägt nicht aus der Art – Sie kennen ihn ja! Aber nun erst ein junges Mädchen, und heutzutage – ach ja, das glaub’ ich Ihnen schon, das wird Ihnen viel Sorge gemacht haben, so brav Ihre Gertrud auch ist. Und was haben Sie schließlich davon? Ueber kurz oder lang kommt doch so ein Freiersmann, dann haben Sie später das Elend mit dem Schwiegersohn, und wenn er schlechte Geschäfte macht, oder er ist Doktor und bekommt keine Praxis, wie das jetzt meist ist, denn, ich bitte Sie, wo sollen alle die Kranken herkommen? – trotz der Menge neuer Bacillen – ja, dann haben Sie als Mutter den ganzen Jammer mitzutragen! Ich meine, Sie müssen sich am Ende noch glücklich schätzen, wenn das liebe Kind bei Ihnen bleibt und in Ehren allein alt wird. ‚Alte Jungfer‘ – du lieber Gott, die Leute schwatzen viel davon; aber ich versichere Sie, es hat auch seine Vorzüge.“

Auf diese Worte folgte ein etwas ärgerliches Räuspern, und dann erwiderte die Stimme der Hausfrau:

„Meine Teuere, sollten Sie da nicht doch etwas zu schwarz sehen? Was die Leute so von den alten Jungfern reden – mein Gott, ich weiß nicht, wie viel daran wahr ist; ich bin eine Witwe und habe in der Ehe mein Häufchen Kummer gehabt wie jede, aber auch viel Glück! Und mit den jungen Männern von heutzutage – das wird auch nicht so schlimm sein. Es braucht ja kein Arzt oder Kaufmann zu sein, und wenn er es ist, so braucht er ja nicht notwendig ohne Praxis zu bleiben oder Bankrott zu machen. Mein Seliger hat’s nicht gethan … Und ich versichere Sie, wenn ein ordentlicher, solider junger Mann ’mal käme – geangelt wird nicht! – aber wenn er käme, und das Mädchen hätte ihn lieb und er hätte sein Auskommen – na, dann mag er sie nehmen! Denn dazu hat der liebe Gott sie gemacht… Und vor mir braucht er nicht bange zu sein; wenn er sich die Schwiegermutter genau anschaut, guckt doch allemal die Mutter heraus.“

„Nun, Sie werden ja sehen,“ erwiderte Fräulein Alma. – „Was war denn das da oben am Fenster?“

„Ich weiß nicht,“ antwortete Frau Marie, „es wird meine Tochter sein. – Aber mir scheint, da ist Besuch im Flur, haben Sie denn die Hausklingel gehört?“ Sie stand auf, wäre aber im

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