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sondern am leichtesten bei etwa 10° C Wärme. Die Gefrierpunktstemperatur erweckt das Tier sogar aus seinem Schlafe.

Interessante Beobachtungen hat man nun auch wieder über die Einwirkung von Kälte auf niedere Tiere machen können.

Man hat darüber gestritten, ob es möglich sei, daß Tiere, die gefroren sind, zu Eis erstarrt, nach dem Auftauen wieder zum Leben zurückkehren können. Früher hat man das allgemein behauptet, man sagte z. B., in Grönland frören die Fische in den bis auf den Grund gefrierenden Bächen mit ein und würden beim Auftauen im Sommer wieder lebendig; auch von den Karauschen in sibirischen Seen hat man das angegeben.

Entgegen diesen Angaben hat der Physiologe Kochs kürzlich allerdings bestritten, daß es überhaupt möglich sei, durch und durch gefrorene Tiere wieder zum Leben zu bringen. Er hat Frösche und Wasserkäfer, die im Wasser eingefroren waren, untersucht; solange die Tiere nur von Eis umgeben waren, konnten sie nach dem Schmelzen des Eises wieder lebendig werden; waren sie aber bis ins Innere gefroren, so waren und blieben sie tot.

In einem noch nicht aufgeklärten schroffen Gegensatze zu diesen Ergebnissen stehen die Resultate der Versuche Pictets, die in den letzten Jahren viel von sich reden machten. Nach diesen sollen hartgefrorene Fische, Frösche und einige andere niedere Tiere bei langsamer Erwärmung wieder aufleben können.

Zum Schlüsse möchte ich das Hauptergebnis der vorstehenden Betrachtungen nochmals in Kürze zusammenfassen: die Lebensvorgänge in einem Organismus können durch eine Zeit völligen Stillstandes unterbrochen werden, zwar nicht beim Menschen und den höchststehenden Tieren, wohl aber bei vielen niederen Tieren, bei den Eiern mancher Tiere und bei den Samen vieler Pflanzen.

Solch ein Stillstand des Lebens kann durch Austrocknung und große Kälte erzeugt werden. Während dieses Scheintodes fehlen alle Aeußerungen des (aktuellen) Lebens, und nur die Eigenschaft der Reizbarkeit bleibt immer bestehen. Für das eingetrocknete Tier ist es das Wasser, für das gefrorene die Wärme, die den Reiz zur Anabiose, zum Wiederaufleben, bildet. – Der Scheintod beim Menschen ist von ganz anderer Art, er stellt keine Unterbrechung, sondern nur eine zeitweilige Verminderung der Lebensvorgänge dar, und genaue Untersuchung wird ihn in allen Fällen vom wahren Tode unterscheiden lassen, auch durch andere Kennzeichen als das Fortbestehen der Reizbarkeit, nämlich durch Stoffwechselvorgänge, besonders aber auch durch Fortbestehen der wenngleich stark verminderten Atmung und Herzthätigkeit.




Ausgeglichen.

Novelle von Ernst Muellenbach (Ernst Lenbach).

Frau Marie Swarteborn saß in ihrem Wohnzimmer vor dem festlich geschmückten Frühstückstisch. Sie hielt eine schön gehäkelte Schlummerrolle in den Händen und strich mit den rundlichen Fingern sanft über die bunten, weichen Fäden. „Ich danke dir, Kind, daß du den Geburtstag deiner armen Mutter nicht vergessen hast,“ sagte sie zu ihrer Tochter. Dann legte sie das Geschenk hin, suchte ihr Taschentuch hervor, um sich damit über die Augen zu fahren, und fuhr in weinerlichem Tone fort: „Ich werde zwar wenig Freude an ihr haben, denn du sollst sehen, heute bekomme ich meine Kopfschmerzen nach Tisch wieder, und dann jeden Tag, wer weiß wie lange – wie jedesmal im Frühling; und sie sind immer am stärksten, wenn ich mit dem Nacken auf etwas Gehäkeltem liege. Ich bin eben eine unglückliche Frau; wenn mir einmal einer eine Freude machen will, geht es immer schief, und selbst an meinem Geburtstag fängt der Aerger gleich frühmorgens an. Die Milch ist sauer geworden, und die Brötchen sind alle angebrannt, da sieh nur! Nimm die Rolle nur weg, Gertrud, sonst kommt gewiß ein Butterfleck darauf.“

Das Mädchen erfüllte schweigend den Befehl. Es war an diese Aufnahme seiner Geschenke gewöhnt. Es wußte stets im voraus genau, was die Mutter sich zu Weihnachten und zum Geburtstag wünschte, und es wußte ebenso genau, daß sie das Gewünschte nur mit Klagen und Seufzen annehmen und als eine Bereicherung ihrer Leiden betrachten werde. Diese Aufnahme entsprang nicht etwa aus irgend einem mütterlichen Groll. Gertrud hatte sich nie etwas gegen die Mutter zu schulden kommen lassen, und Frau Marie war in ihrer Weise stets liebevoll und dankbar gegen sie; auch würde sie es noch viel schmerzlicher beklagt haben, wenn das Geschenk der Tochter einmal ausgeblieben oder anders ausgefallen wäre, als sie es sich bestellt hatte. Beklagen aber mußte sie es auf jeden Fall; denn das war ihr unerläßlich zum Leben. Seufzer und Klagen waren das Echo, mit dem ihre Seele wie eine Aeolsharfe auf jeden Hauch antwortete.

Eine solche Vollendung in der Trauerseligkeit erwirbt man sich erst allmählich, wie jede Virtuosität. Als Herr Swarteborn um seine Liebste freite, trug ihr Wesen nur erst einen sanften Hauch von Schwermut, der den Liebreiz des hübschen Mädchens noch erhöhte – wenigstens in den Augen des Liebhabers. In dem stillen Klima einer gesicherten, von wirklichen Sorgen ungetrübten Häuslichkeit hatte sich der Nebelhauch dann nach und nach zu einem dauerhaften Landregen verdichtet. Etwas Selbstgerechtigkeit war wohl auch dabei. Frau Marie war eine gute Hausfrau, sie war so sehr Hausfrau, daß sie sich in ihrem wohlgeordneten häuslichen Kleinstaat allmählich gegen die Außenwelt ab- und einspann wie eine fleißige Spinne, und so empfand sie es als ein unverdientes Unglück, wenn doch einmal ein Fädchen riß, bis sie zuletzt zu der Ueberzeugung kam, daß sie nun einmal bestimmt sei, unverdient zu leiden.

Die Beweise für diese Ueberzeugung suchte sie sich, auch in diesem Punkte ganz die ordnungsliebende und emsige Hausfrau, unermüdlich und mit einem gewissen Behagen zusammen; wenn es ihr einmal glückte, an einem Tage eine ganze Summe verdrießlicher Zwischenfälle und kleiner Mißgeschicke zu erleben, dergleichen eine heitere Frau mit einem Scherz oder einem Liebesgedanken übergeht, so fühlte sie sich fast so wohlig, wie wenn sie am letzten Tage eines großen Hausputzens todmüde und im doppelten Sinne „fertig“ durch ihre Wohnung wandelte. Der Gatte ergab sich in ihr Wesen, nach mehreren ungeschickten Versuchen, es zu ändern; er fuhr fort, mit der vielen Männern eigenen Eitelkeit, seine Frau vor anderen und zumal vor unverheirateten jüngeren Freunden als Vorbild eines wahrhaft häuslichen Weibes zu preisen, und suchte für die edlere Geselligkeit, die sie ihm versagte, Ersatz in ruheloser kaufmännischer Arbeit. Er rechnete und spekulierte, bald gut, bald schlecht; als ihn, noch in besten Jahren, ein schneller Tod am Schreibtisch überraschte, hinterließ er immerhin genug, daß seine Witwe und sein einziges Kind davon anständig und sorgenfrei leben konnten.

Seitdem waren fünfzehn Jahre verflossen. Gertrud hatte sich in dieser Frist zu einem schönen, großen Mädchen entwickelt, und Frau Marie hatte unablässig an ihrem grauen Gespinst weitergesponnen, sie empfand sich vollkommen als Märtyrerin. Sie gedieh aber dabei zu einer behäbigen Rundung, da sie sich und ihren Hausgenossen nichts abgehen ließ. Lange hielt es gleichwohl keiner bei ihr aus; ihre Dienstboten wechselten wie die Gäste in einer Bahnhofwirtschaft, ihre Freundinnen hatten sich mehr und mehr von ihr zurückgezogen, da es keiner erträglich schien, auf die Dauer mit einer Frau zu verkehren, die sämtliches Hausfrauenelend für sich beanspruchte und teilnahmesuchende Klagen stets mit einem „Ach, wenn Sie erst an meiner Stelle wären“ – ablehnte. Auch die Mieter, für welche Frau Marie einige hübsch ausgestattete Zimmer zu billigem Preise offen hielt, blieben selten lange, denn die schönste Gegend wird unleidlich, wenn es in ihr immer regnet, und es gab unter ihnen einige – besonders jüngere Herren – die das kühle, zurückhaltende Benehmen der schönen Tochter mit dem Groll enttäuschter Eitelkeit nur für einen Vorzustand der mütterlichen Trauerseligkeit nahmen und ihren Bekannten versicherten: „Passen Sie auf, die wird gerade so!“

Weit besser gefiel diesen Menschenkennern eine Freundin der Haustochter, ein Fräulein Siebold, das am meisten von allen früheren Schulschwestern Gertruds in dem Swartebornschen Hause verkehrte. Diese junge Dame war stets geneigt, etwas länger zu bleiben, wenn sie bei ihren Besuchen mit einem neuen Mietsherrn zusammentraf; sie lehnte auch eine im Hinblick auf die abendliche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0414.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2021)