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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

bekannt gewordenen, sind zu ungenau, als daß sie im wissenschaftlichen Sinne beweisend wären. Das schließt nicht aus, daß sie trotzdem ein gewisses Interesse bieten, denn um einfachen groben Betrug scheint es sich doch in vielen von diesen Fällen nicht zu handeln, etwas Auffallendes muß vielmehr in den Lebensfunktionen jener Leute immerhin angenommen werden.

Von den verschiedenen Berichten, die uns vorliegen, hat einer den Vorzug, von einem Arzt herzurühren, von einem Dr. Cheyne aus Dublin, der mit zwei Kollegen den Scheintod eines Oberst Townsend beobachtete und folgendermaßen beschrieb (ich citiere aus Verworns „Allgemeiner Physiologie“):

„Oberst Townsend konnte nach Belieben sterben, d. h. aufhören zu atmen, und durch bloße Willensanstrengung oder sonstwie wieder ins Leben zurückkommen. Er drang so sehr in uns, den Versuch einmal anzusehen, daß wir schließlich nachgeben mußten. Alle drei fühlten wir erst den Puls; er war deutlich fühlbar, obwohl schwach und fadenförmig, und sein Herz schlug normal. Er legte sich auf den Rücken zurecht und verharrte einige Zeit regungslos in dieser Lage. Ich hielt die Hand, Dr. Baynard legte seine Hand aufs Herz und Herr Skrine hielt ihm einen reinen Spiegel vor den Mund. Ich fand, daß die Spannung des Pulses allmählich abnahm, bis ich schließlich auch bei sorgfältigster Prüfung und bei vorsichtigstem Tasten keinen mehr fühlte. Dr. Baynard konnte nicht die geringste Herzkontraktion fühlen und Herr Skrine sah keine Spur von Atemzügen auf dem breiten Spiegel, den er ihm vor den Mund hielt. Dann untersuchte jeder von uns nacheinander Arm, Herz und Atem, konnte aber selbst bei der sorgfältigsten Untersuchung auch nicht das leiseste Lebenszeichen an ihm finden. Wir diskutierten lange, so gut wir es vermochten, diese überraschende Erscheinung. Als wir aber fanden, daß er immer noch in demselben Zustande verharrte, schlossen wir, daß er doch den Versuch zu weit geführt habe, und waren schließlich überzeugt, daß er wirklich tot sei, und wollten ihn nun verlassen. So verging eine halbe Stunde. Gegen neun Uhr früh (es war im Herbst), als wir weggehen wollten, bemerkten wir einige Bewegungen an der Leiche und fanden bei genauerer Beobachtung, daß Puls- und Herzbewegung allmählich zurückkehrten. Er begann zu atmen und leise zu sprechen. – Wir waren alle auf das Aeußerste über diesen unerwarteten Wechsel erstaunt und gingen nach einiger Unterhaltung mit ihm und untereinander von dannen, von allen Einzelheiten des Vorganges zwar völlig überzeugt, aber ganz erstaunt und überrascht und nicht imstande, eine vernünftige Erklärung zu geben.“

So lautet der Bericht – ein nicht sehr vertrauenerweckender Bericht! Man erfährt aus demselben nicht einmal, wie lange der Scheintod dauerte, denn die Zeitangabe „eine halbe Stunde“ scheint eher die Zeit zu bedeuten, welche die Herren zu ihrer Diskussion nach beendigter Untersuchung brauchten. Dagegen ist gesagt, daß es neun Uhr früh und daß es Herbst war, was für die Sache ganz bedeutungslos ist. Es ist ferner über die Temperatur nichts gesagt, nichts gesagt, ob die Haut des „Scheintoten“ während des Versuches etwa kühl oder blaß wurde, auch nicht, ob etwa noch die sogenannten Reflexbewegungen vorhanden waren, ob also z. B. die Pupille des Auges sich noch bei Belichtung verengerte oder nicht. Das alles wäre für die Beurteilung des Falles von größter Wichtigkeit.

Recht auffallend ist es auch, daß diese Herren Aerzte, als sie glaubten, der Oberst habe den Versuch zu weit getrieben, ruhig von dannen gehen wollten, ohne den geringsten Versuch, ihn wieder aus seinem Totenschlaf zu erwecken, und andrerseits, daß der tote Oberst gerade den Augenblick zu treffen wußte, wo jene weggehen wollten, und ihnen so noch sein Erwachen zeigen konnte.

Offenbar hatte der Oberst die Fähigkeit, auffallend lange die Atmung anzuhalten; auch manchen Tauchern gelingt das ja bekanntlich in erstaunlicher Weise. Thatsächlich vermögen manche Menschen die Geschwindigkeit des Herzschlages willkürlich zu verändern, und daß man die Stärke des Pulses durch Veränderung der Atmung beeinflussen kann, ist jedem Physiologen bekannt. Freilich gelingt derartiges in der Regel nur für kurze Zeit, und etwas Ungewöhnliches müßte in der Organisation des Oberst Townsend doch wohl gelegen haben.

Daß sein Herz während des Versuches wirklich stillgestanden habe, geht aus dem Berichte nicht hervor und ist auch im höchsten Grade unwahrscheinlich. Durch Befühlen des Pulses und Auflegen der Hand auf die Herzgegend bekommt man kein sicheres Urteil darüber, ob das Herz noch schlägt oder nicht.

Das beste Untersuchungsmittel, das wir dafür haben, das Auflegen des Ohres, kann auch nur unter günstigen Bedingungen als sicher gelten, d. h. wenn die Brustwand nicht zu dick ist, im Zimmer absolute Stille herrscht und der Untersucher ein feines Gehör hat. Ist eine von diesen Bedingungen nicht erfüllt, dann kann ein recht leiser Herzschlag wohl verborgen bleiben. Es können noch besondere Umstände hinzukommen: es braucht z. B. nur bei einem Scheintoten das Herz, statt wie gewöhnlich links, einmal rechts zu liegen, wie es ab und zu vorkommt, dann wird dem untersuchenden Arzte, der an diese Möglichkeit nicht immer denken wird und links nach den Herztönen horcht, selbst ein nicht allzuschwacher Herzschlag entgehen können.

Um auf den Oberst Townsend zurückzukommen, so fragt sich, was wir uns hinsichtlich seiner Atmung für eine Vorstellung machen sollen. Daß der vorgehaltene Spiegel sich nicht sichtbar beschlug, beweist nicht allzuviel. Vor allem ist es nicht ausgeschlossen, daß der Oberst von seiner Fähigkeit, den Atem lange anzuhalten, den Gebrauch machte, daß er die Beobachter auf die Meinung brachte, er könne stundenlang in diesem Zustande verharren, während er dies in Wahrheit gar nicht that, sondern die Gelegenheit, wo die Herren Aerzte ihrer naiv kritiklosen Verwunderung über das seltsame Phänomen gegeneinander Ausdruck gaben, vielleicht dazu benutzte, um sich zwischenein wieder einmal einen Atemzug zu gönnen. Sicheres läßt sich nachträglich darüber nicht sagen, aber es wäre das erste und einzige Mal nicht gewesen, daß Aerzte auf ihrem eigenen Thätigkeitsgebiete Opfer einer Täuschung geworden sind. Ich erinnere nur an manche Affairen aus der Geschichte des Hypnotismus einerseits und des Spiritistenschwindels andrerseits.

Gegen das Verhalten des Herrn Townsend erweckt am meisten Verdacht die Angabe, daß er „durch bloße Willensanstrengung oder sonstwie“ habe wieder zu sich kommen können. Das macht die ganze Sache unglaubwürdig. Menschen, deren Atmung lange stillsteht, machen keine „Willensanstrengung“. In dieser Hinsicht steht die Sache bei den indischen Fakiren besser, die sich, den Berichten zufolge, durch allerlei Manipulationen von anderen erwecken lassen.

Fakir ist ein arabisches Wort und bedeutet einen „Armen“; es wird aber in Europa speciell für die Asketen oder Büßer mohammedanischer und buddhistischer Religion angewandt, die sich selbst die härtesten Quälereien auferlegen, zum Teil wohl wirklich in religiös fanatischer Geistesstörung, zum andern Teil wohl aber auch mit der Absicht, aus diesen Schaustellungen Kapital zu schlagen und damit ihr Ansehen und ihren Einfluß zu heben und zu erhalten. Gerade bei den Fakiren der letzteren Art mag denn auch viel Lug und Trug mit unterlaufen.

Am besten werden wir auch hier an einen speciellen Bericht anknüpfen (den ich ebenfalls nach Verworn citiere):

„Am Hofe des Runjeet Singh war in einem viereckigen Gebäude, das in der Mitte einen ringsherum geschlossenen Raum besaß, ein Fakir, der sich willkürlich in den leblosen Zustand versetzt hatte, in einen Sack eingenäht und eingemauert worden, wobei die einzige Thür des Raumes mit dem Privatsiegel des Fürsten versiegelt worden war. Runjeet Singh, der selbst nicht an die wunderbare Fähigkeit der Fakire glaubte, hatte, um jeden Betrug auszuschließen, außerdem noch einen Kordon seiner eigenen Leibwache um das Gebäude gelegt, vor dem vier Posten aufgestellt waren, die zweistündlich abgelöst und fortwährend revidiert wurden. Unter diesen Bedingungen blieb der Fakir sechs Wochen in seinem Grabe.

Ein Engländer, der als Augenzeuge dem ganzen Vorgange beiwohnte, berichtet über die nach sechs Wochen erfolgte Ausgrabung folgendes: Als man das Gebäude in Gegenwart des Runjeet Singh eröffnete, zeigte sich, daß das Siegel und die ganze Vermauerung unversehrt war. In dem dunklen Raum des Gebäudes, der bei Lichtschein untersucht wurde, lag in einem ebenfalls versiegelten Kasten der Sack mit dem Fakir. Der Sack, der ein verschimmeltes

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0411.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2021)