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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

zu suchen. Der Jäger flüsterte ihnen eine Frage zu – sie schüttelten den Kopf, schrieen durcheinander und eilten weiter.

Eine erregte Stimme rief durch das Thal herauf: „Heinz? Heinz? Bist du’s?“ Dort unten im Latschenfeld erschien Graf Sternfeldt mit dem Förster.

„Ja, Goni!“ gab Ettingen mit lautem Ruf zur Antwort. „Wir kommen!“

Sternfeldt eilte den beiden entgegen, während der Förster seinem Herrn ein „Gott sei Dank!“ zuschrie und wieder thalwärts rannte. Er war nicht weit gekommen, als ihn Praxmaler einholte, keuchend vom überstürzten Lauf.

„Herr Förstner … der Toni geht ab.“

„Der Mazegger?“ stotterte der Förster. „War der im Sebenwald? Heut’ nacht?“

Der Jäger erzählte, was er von Lo’ gehört hatte.

„Der? Und ’s Fräul’n warnen?“ Der Förster schüttelte ernst den Kopf, als wäre eine böse Ahnung in ihm aufgestiegen. „Komm, Bub! Ich fürcht’, da hat einer d’ Höll’ versucht, und der Himmel hat ihn g’straft! Aber sei’s, wie’s mag … jetzt müssen wir thun, was g’schehen kann! D’Holzknecht’ schaffen schon bei der Brandstatt’ … jetzt müssen wir helfen! Komm!“

Sie eilten thalwärts, und Praxmaler begann zu rennen, daß der Förster weit hinter ihm zurückblieb.

Drunten im Waldthal begegneten ihm Sennleute, die zur Brandstätte liefen, und hinter ihnen kam ein Mädel gerannt, atemlos und bleich vor Angst – die Tillfußer Sennerin. Sie haschte den Förster an der Joppe.

„Mein Pepperl … is mei’m Pepperl nix g’schehen?“

Dein Pepperl! Ah, da schau her!“

„Is ihm nix g’schehen? Jesus Maria! Lebt er denn noch?“

„Ja, ja, ja … um Gottswillen! Der Schnurrbart is ihm net weg’brennt! Den hat er schon noch!“

Burgi drückte die Fäuste auf ihre Brust. „O du heilige Mutter im Himmel, ich sag’ dir Vergeltsgott … und ein Kerzl sollst kriegen!“ Dann fing sie wieder zu laufen an, und die grundlose Angst, die sie ausgestanden hatte, löste sich in ein Schluchzen der Freude. –

Die Stimmen und Schritte verhallten. Stille lag wieder im Tillfußer Wald. Kein Windhauch regte sich, kein Wipfel schwankte. Grau und unbewegt hing die glatte Nebeldecke über den Bäumen, die Felswände verhüllend. Gegen Westen lag es wie schwarzes Sturmgewölk über den Ehrwalder Bergen – gegen Osten aber schimmerte es zuweilen mit weißlichem Glanz durch die trüben Dünste, als wäre dort irgendwo die Sonne, die den grauen Schleier durchbrechen wollte.

Manchmal tönten im Schweigen des Waldes verworrene Menschenrufe aus weiter Ferne. Dann war’s wieder still.

Sichernd zog ein Rudel Hochwild über den Weg, scheu hinauswindend gegen den Sebenwald. Und lautlos trat es wieder in den stillen Forst.

Hoch in den Wipfeln schlug eine Ringdrossel. Schnalzend kam sie auf den Weg geflogen und begann ihre Käferjagd im feuchten Gras. Aber jählings hob sie das Köpfchen und flatterte davon.

Langsamen Schrittes kamen Heinz und Lo’ durch den Wald einhergegangen. Wo die Drossel aufgeflogen, blieben sie stehen, als hätte der gleiche Gedanke ihren Fuß gebannt – die Erinnerung an jenen Abend, an dem sie sich zum erstenmal im schweigenden Walde begegnet waren.

„Sieh, Lo’ … dort oben war’s!“

Sie nickte und schmiegte sich enger an ihn. So standen sie lange und blickten hinein in die blaue Dämmerung, die trotz der Mittagsstunde zwischen den stillen Bäumen lag.

Die Drossel schlug.

Sie lauschten ihr, bis sie fern im Wald verstummte, und dann schritten sie weiter.

Als sie, schon nahe der Tillfußer Alm, die Lichtung erreichten, auf welcher die von Leutasch kommende Fahrstraße zum Jagdhaus hinaufbog, rasselten zwei Leiterwagen mit galoppierenden Pferden aus dem Wald heraus. Auf jedem Wagen saßen an die dreißig Männer, dichtgedrängt, mit Aexten, Feuerhaken und schweren Seilrollen.

„Heinz!“ stammelte Lo’. „Sie wissen es schon im Dorf! Ach, meine Mutter! Und der Bub!“ Thränen schössen ihr in die Augen.

Er drückte ihren Arm an seine Brust. „Sei ruhig, Lo’! Die Sorge, die sie haben, wird sich in Freude lösen!“

Die Leute waren abgesprungen, da die Wagen auf dem schmalen Waldweg nicht weiterfahren konnten. Die jungen Bursche schleppten die schweren Seile und begannen zu rennen, dann kamen die älteren Männer mit den Aexten und Hacken. So eilig sie es alle hatten, jeder zog vor Lo’ sein Hütlein und bot ihr einen Gruß. Und ein graubärtiger Alter rief ihr zu: „Heut’, Fräul’n, heut’ sollten wir halt Enkern Herrn Vatern wieder haben … da thäten wir bald Herr sein übers Fuier da draußt!“

Lächelnd, mit nassen Augen, dankte sie dem Alten für dieses Wort, das ihr mit warmer Freude ins Herz geklungen.

„Siehst du, Lo’, wie dein Vater noch lebt für diese Menschen, denen er Gutes that!“ sagte Ettingen bewegt. „Und wie dieser Bauer an ihm die Kraft des Mannes schätzt, so wird ihn die Welt als Künstler ehren. Seine Blumen da draußen, die sind heute nacht in Asche gefallen – aber was in seiner Seele Wurzel hatte, das wird blühen für die Menschen, schön und dauernd!“

„Ja!“

Sie blieben seitwärts vom Wege stehen, um zu warten, bis die Leute vorüber wären. Als einer der letzten kam der Bauer, dessen Anwesen in Leutasch draußen an den Garten des Malerhauses grenzte.

„Nachbar!“ Ihren Arm lösend, eilte Lo’ auf den Bauern zu. „Nachbar! Weiß meine Mutter schon von dem Brand?“

„Ja, Fräul’n, ja! Und das arme Weiberl, o mein, o mein … die hat sich anders g’sorgt! No, Gott sei Lob und Dank, weil S’ nur da sind! D’ Frau Mutter wird gleich kommen mit’m Wagerl, nimmer derlitten hat sie’s daheim!“ Eine schrillende Knabenstimme klang aus dem Wald. „Da … hören S’ Ihr Brüderl!“

Die kleine Kutsche erschien am Waldsaum und mußte halten, da ihr die anderen Wagen den Weg verstellten.

„Lo’! Lo’!“ gellte die Stimme des Knaben. Und da kam er auch schon gerannt. Aber heute, mit seinem bandagierten Fuß, den er nur mit den Zehen aufsetzen konnte, da ging’s nicht so flink wie damals, als er von Innsbruck gekommen. Und Lo’, als hätte sie sich in ihre Mutter verwandelt, rief in Sorge: „Bubi! Aber Bubi! Ich bitte dich, lauf nicht so!“ Sie eilte auf ihn zu und fing ihn mit den Armen auf. Wortlos hielt sie ihn umschlungen, dann ließ sie ihn wieder und eilte der alten Frau entgegen. „Mutter! Mutter!“

Den kranken Fuß an der Wade des gesunden reibend, stand Gustl zwischen den niederen Fichten und balancierte mit den Armen. Stramm aber richtete er sich auf und zog mit einem Kompliment sein Hütlein, als Ettingen auf ihn zutrat.

„Guten Tag, Herr Fürst!“

„Grüß dich Gott, Bubi! Wie geht’s mit deinem kranken Fuß?“

„Danke, Herr Fürst, ganz gut!“

Ettingen zog den Knaben an sich. „Hast du dich gesorgt um deine Lo’?“

„Die Mama … ach, Gott! Aber ich? O nein! Ich kenn’ doch unsere Lo’ … und hab’s auch der Mama gleich gesagt: unsere Lo’, die weiß sich schon zu helfen! Und dann, ich war doch überzeugt, daß Sie bei ihr sind!“

„Wirklich?“ Ettingen küßte den Knaben auf die glühende Wange. „Davon warst du überzeugt?“

„Natürlich! Wenn ein Wald brennt, und jemand ist drin, den man lieb hat, da geht man doch gleich hin und hilft ihm.“

„Daß ich deine Schwester lieb habe … das weißt du?“

„Freilich!“ Mit strahlenden Augen blickte der Knabe an Ettingen hinauf. „Ich hab’s doch neulich schon gemerkt, viel früher als die Lo’ … der hab’s doch ich erst sagen müssen!“ Da sah er Lo’ mit der Mutter kommen und rief: „Gelt, Mutterl, gelt, ich hab’ recht gehabt!“

Lo’ mußte der Mutter schon von ihrem Glück gesagt haben. Denn in tiefer Bewegung, scheu und verlegen, mit Freude und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0382.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2019)