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nichtdeutschen Stücke dieser Sammlung dennoch gern entgegen. Zum siebzigsten Geburtstag Virchows stifteten ihm vierzig bis fünfzig Freunde aus dem Verein eine vollständige Stube, die nach dem Gelehrten benannt wurde und meist Sachen aus dem Altenlande in Hannover enthält. Eine ganz bedeutende Vergrößerung hat das Museum durch die Sammlung erhalten, welche zur Ausstattung des Deutschen Dorfes auf der Weltausstellung in Chicago diente und von da wieder in die Heimat zurückkehrte.

Diese in ihrer Art einzige Ausstellung, deren Wert auf 80 000 Mark geschätzt wird, wurde von der Nationalbank für Deutschland, welche das Unternehmen finanziert hatte, dem Museum gestiftet. Damit gelangten mehrere Stubeneinrichtungen, zweiundvierzig Kostüm-Wachsfiguren, eine Anzahl von Hausmodellen, eine prachtvolle Sammlung von Schmuckgegenständen u. a. m. unentgeltlich in den Besitz des Museums.

Aus der reichen Fülle der aufgestapelten Schätze hat unser Maler eine Reihe der interessantesten herausgegriffen. Der Giebel aus Oldenburg (S. 368) zeigt noch in den Pferdeköpfen, die ihn schmücken, Anklänge an altgermanisches Heidentum. Ein geschnitzter hölzerner Kaminvorsetzer (S. 368) diente zugleich dazu, die Kaffeekanne, die in ihn hineingestellt wurde, warm zu halten. Die darunter abgebildeten Stofjen wurden mit heißem Wasser gefüllt und zum Wärmen des Betts und der Füße benutzt. Ferner sind da Trachten aus Holstein, den Halligen, Nordfriesland, von dem Pyritzer Weizacker in Pommern und aus dem Chiemgau in Oberbayern. Zum oberbayrischen Hausrat gehören der Kleiderhaken aus Gamskrickeln und der Brautkrug, ein Bierseidel, mit seidenen Bändern umwunden, auf die allerhand schöne Sachen aufgestickt sind. Von dem Schmuck (S. 369) stammt die Miedernadel aus Dachau, die Brustspange aus Hannover und das Anhängsel aus Schleswig-Holstein. Die hübsch geschnitzten hölzernen Löffelkörbchen (S. 369), die noch Spuren bunter Bemalung zeigen, sind ebenso wie der Brautstuhl (S. 368) Erzeugnisse Hessens. Dagegen ist die Elle (S. 369) in der Niederung von Drömling an der Grenze von Braunschweig und Hannover hergestellt worden. Die höchst einfachen, aus Steinen und Hölzern zusammengefügten Anker (S. 369) sind heute noch bei den Fischern Rügens im Gebrauch. Nach dem Norden weisen auch die sog. Besmer oder Desmer (S. 369), merkwürdige Wiegestäbe, die in der Mitte aufgehängt wurden. Auf der einen Seite war ein Gewicht befestigt, auf der andern wurde der zu wägende Gegenstand angehängt, und der Handgriff so lange nach rechts oder links verschoben, bis der Stab balancierte. Aus einer an dem Stab verzeichneten Skala konnte ein Kundiger dann das Gewicht ablesen. Sehr spaßig sind die – man verzeihe das harte Wort – Kleikotzer aus Westdeutschland (S. 368), deren fratzenhaftes Aeußere zunächst an tolle Fastnachtsmasken erinnert. Sie wurden den Mahlgängen einer Mühle vorgeschraubt und spieen die Kleie aus.

Ein sogen. Milchstuhl für stillende Frauen und die Wiege auf S. 369 sind aus der Virchowstube.

Die Hindelopener Stube (S. 370) ist die neueste Erwerbung des Museums und sein besonderer Stolz. Sie ist erst kürzlich für die große Summe von annähernd 10000 Mark, welche ein verdienstvoller Gönner des Museums, Herr Meyer Cohn, gestiftet hat, durch Herrn Sökeland auf einer Auktion in Amsterdam erstanden worden. Es ist eine echte altholländische Stube aus dem kleinen Städtchen Hindelopen am Zuyder See, wie sie in dieser Zusammenstellung nur noch ganz selten erhalten ist. Die Familie ist in ihrer charakteristischen Tracht um den Tisch versammelt, auf dem allerhand Geschirr steht. Die Familienschlafstätte, welche hinter einem Verschlag eine ganze Schmalwand des Zimmers einnimmt, ist durch bunt bemalte Thüren zu verschließen. Blauweiße Kacheln ziehen sich in halber Höhe an den übrigen Wänden entlang. Der Ofen fehlt nicht und ebensowenig das Betpult mit einer mächtigen alten Bibel. Die Schränke sind schön im Stil der Renaissance geschnitzt.

Hindelopener Stube.

Dies sind natürlich nur Stichproben aus der großen Sammlung, die diese nicht erschöpfen können, aber doch vielleicht auf das Ganze neugierig machen. Der Gelehrte wird immer eine reiche Ausbeute im Museum finden. Für den jungen Germanisten liegen hier noch zahlreiche Themata zu Doktorarbeiten ungenutzt. Denn viele der aufgestellten Gegenstände sind wissenschaftlich noch nicht vollkommen sicher bestimmt und erfordern ein Spezialstudium. Aber auch für alle andern, die ein Interesse für unser Volkstum haben, ist der Besuch des Museums lehrreich und lohnend, obwohl noch nicht alles so ist, wie es die Gründer selbst wünschen.




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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0370.jpg&oldid=- (Version vom 20.5.2020)