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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

In diesen Worten liegt das Programm für das damals neue Unternehmen. Wie das deutsche Volk denkt und glaubt und fühlt und spricht und singt und tanzt, das hat die germanistische Wissenschaft so ziemlich festgestellt. Aber wie die Gegenstände aussehen, welche es geschaffen hat, wie es seine Häuser fügt und aufbaut, wie es seine Höfe und Dörfer, Gärten und Fluren angelegt hat, wie es in Stube, Küche und Keller wirtschaftet, und wie der Hausrat beschaffen ist, wie es sich ankleidet, in welcher Weise es Viehzucht, Ackerbau, Jagd und Fischfang betreibt, wie die kunstvolle Hand- und Hausarbeit des Bauern, der Bäuerin gefertigt wird, welcher Fahrzeuge es sich in Handel und Verkehr bedient, welche Dinge uraltem Herkommen nach bei Geburt, Hochzeit, Tod und Begräbnis, bei Aussaat und Ernte, bei den verschiedenen Jahresfesten, im Gemeindeleben und in der Volksmedizin üblich sind – das ist den meisten zum größten Teil noch verborgen. Es ans Licht zu ziehen und der Allgemeinheit zugänglich zu machen, war das Ziel der Männer, die sich damals zusammenthaten. Dabei strebte man nicht etwas völlig Unerprobtes an. In Stockholm war durch Hazelius eine geradezu mustergiltige Sammlung dieser Art für alles, was die nordischen Völker angeht, zusammengebracht worden. Auch in Moskau und Amsterdam sind ähnliche Einrichtungen vorhanden. Wollte man auch für Deutschland Wertvolles schaffen, so galt es, keine Zeit zu verlieren, denn von Jahr zu Jahr, ja von Tag zu Tag verschwinden in unserer Zeit der fabrikmäßigen Herstellung die Erzeugnisse alter Hausindustrie.

So bildete sich denn ein Komitee, in dem Rudolf Virchow von Anfang an bis heute den Vorsitz geführt hat. Vor zehn Jahren war es eine dankenswerte Unterstützung, daß der preußische Kultusminister, Herr v. Goßler, die bescheidenen Räume in der gerade leerstehenden Gewerbeakademie zur Verfügung stellte. Daß aber das neue Unternehmen gleich bei seiner Eröffnung in würdiger Weise vor das Publikum trat, dafür sorgte in erster Linie die liberale Freigebigkeit einer großen Anzahl von Freunden desselben aus allen Gegenden Deutschlands.

Am 27. Oktober 1889 waren die Vorarbeiten so weit gefördert, daß das Museum durch eine Feierlichkeit vor eingeladenen Gästen würdig eingeweiht werden konnte. Dem Publikum wurde es am 10. November 1889 geöffnet. Anfänglich war der Besuch sehr stark, aber die erste Liebe erkaltete bald, als die erste Neugier befriedigt war. Die Unterhaltung des Museums wurde zunächst durch größere Zuschüsse einiger Freunde und durch einen jährlichen Beitrag von seiten des Museumskomitees gedeckt. Aber bald erwiesen sich diese Einkünfte als ebenso ungenügend wie das bescheidene Eintrittsgeld von 50 Pfg., das von den Besuchern erhoben wurde. So wurde denn im Jahre 1891 ein besonderer Museumsverein gegründet, der seinen Sitz in Berlin hat. In den Statuten wird als sein Zweck angegeben: die Eigentümlichkeiten der Bevölkerung Deutschlands in Trachten, Hausanlagen und Erzeugnissen des Hausgewerbes zu sammeln und zur Anschauung zu bringen. Es wäre wohl zu wünschen, daß der Verein, der neue Mitglieder auch jetzt noch recht gut gebrauchen kann, solche in reicher Anzahl finden möchte. Der jährliche Beitrag von zehn Mark, der auch durch eine einmalige Zahlung von mindestens 250 Mark abgelöst werden kann, ist wahrhaft gering in Anbetracht der großen, idealen Ziele. Augenblicklich ist Sekretär des Vereins Herr Sökeland, nicht nur bekannt durch die Pumpernickel, die aus seiner Bäckerei hervorgehen, sondern auch als Sammler geschätzt, dessen Sachkunde und Geschäftsklugheit das Museum manche wertvolle Erwerbung verdankt. Seine Erfahrung wurde auch diesem Aufsatze nützlich.

Bei der durch die engen Räumlichkeiten bedingten mangelhaften Aufstellung der Sammlung ist es schwer, ja fast unmöglich, sie gründlich zu beschreiben. Tausende von Einzelheiten, nicht systematisch geordnet, sondern meist nur nach dem Ort ihrer Herkunft zusammengestellt, liegen in buntem Gemisch durcheinander. Und das will etwas heißen! Denn der Katalog umfaßt gegen 7500 Nummern, darunter 6 Stubeneinrichtungen, 8 Hausmodelle und annähernd 200 vollständige Trachten, von denen aber mehr als 70 eingepackt in den Truhen liegen, weil kein Platz da ist, um sie auszustellen. Neuerdings hat man auf Sökelands Anregung wenigstens versucht, Zusammengehöriges auch wirklich zusammenzubringen. So ist die instruktiv eingerichtete Sammlung aller Geräte entstanden, welche zur Flachsbereitung und Flachsbearbeitung gehören, so auch die Sammlung aller Gerätschaften zur Herstellung von Holzschuhen mit Beigabe von Holzschuhen in allen Herstellungsformen vom einfachen Holzklotz bis zum vollendeten Stück. Aehnlich ist auch die häusliche Cichorienfabrikation veranschaulicht. Dies sind aber nur schwache Anfänge. Das erstrebenswerte Prinzip, die gleichartigen Gegenstände verschiedener Gegenden, die nicht besonders zur Charakteristik einer Gegend gehören, zu Gesamtbildern instruktiv zusammenzustellen, ließ sich leider bis jetzt noch nicht durchführen.

Die bunte Gesamtheit, welche die engen Zimmer füllt, besteht aus verschiedenen größeren Unterabteilungen. Zu dem ursprünglich vom Komitee gesammelten Stamm kam zunächst eine schleswig-holsteinische Sammlung, die allerdings bis auf einige Stücke dem Museum wieder entzogen und von dem Besitzer nach Kopenhagen verkauft wurde. Die Direktion des Kunstgewerbemuseums überwies eine Sammlung von Trachten, Schmuckgegenständen, Geräten, Fayencen etc. der Siebenbürgener Sachsen und der Esthen. Im allgemeinen werden zwar nur Sachen aus dem Deutschen Reich, allenfalls auch noch aus den angrenzenden deutschen Ländern gesammelt; aber man nahm die Zuwendung der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0369.jpg&oldid=- (Version vom 20.5.2020)