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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Wandgemälde bringt die „Gartenlaube“ (vgl. S. 308 und 309) in Holzschnittwiedergabe. Das erste zeigt uns die Anfänge der Kunst in vorgeschichtlicher Zeit. Ein Bildhauer vollendet ein Götzenbild, indem er in den Stein eine Runenschrift meißelt. Voller Andacht betrachtet das Volk sein Werk. Auf dem anderen Bilde sehen wir, wie der Baumeister des Kolosseums das Modell dieses Riesenbaues dem Kaiser Vespasian erläutert.

Trotzdem Gehrts nicht nur bei dieser Konkurrenz, sondern auch bei einer zweiten, welche man von gewisser Seite durchsetzte, den ersten Preis erhielt, bedurfte es einer Petition fast der gesamten freien Künstlerschaft Düsseldorfs, dem Künstler das Werk zu sichern. Von den Professoren der Akademie hatte nur Wittig, der Schöpfer der Hagar in der Nationalgalerie, unterzeichnet, welcher Gehrts erst durch die Entwürfe kennenlernte, seither aber sein bester Freund wurde, um ihm mit dem ganzen Schatz seines Wissens eine bedeutende Stütze bei dem großen Werk zu werden. Es ist bezeichnend für Gehrts’ Charakter, daß er letzteres stets gern aussprach. Auch gewann er durch sein Werk die wertvolle Freundschaft der Frau Sophie Hasenclever, der Tochter Schadows, welche bis zu ihrem Tode als die interessanteste Erscheinung in Düsseldorf galt. Die in hohem Alter stehende, immer noch schöne, stets thätige und einflußreiche Dame übersetzte Dante und die Gedichte Michelangelos. Sie war eine feine Kennerin der altitalienischen Zustände, dabei von bezaubernder Liebenswürdigkeit und hochverehrt in ihrem großen Kreise.

Trug dem Künstler auf diese Art sein Werk plötzlich die Verehrung und Freundschaft bedeutender Menschen ein, so war doch durch die entsetzliche Aufregung zwischen Hoffnung und Entsagung, besonders aber durch die unliebsame Bereicherung seiner Menschenkenntnis, die Gesundheit des Künstlers derartig erschüttert, daß er in Melancholie verfiel und es eines Jahres bedurfte, bis er völlig genesen in sein Heim zurückkehren konnte. Nachdem er nun den Auftrag erhalten hatte, folgte abermals eine lange Kette von Unannehmlichkeiten, so daß die Freunde mehrfach in der größten Sorge waren. Ein Glück war, daß Gehrts alles immer wieder vergaß, sobald er an der Arbeit saß, und so schuf er denn jenes schöne Werk, welches das Entzücken so vieler Menschen geworden ist, die es sahen. Die Ausführung hatte wesentlich im Sinne der ersten Konkurrenz stattgefunden; die zweite, welche beinahe des Künstlers ganze geistige Kraft ruiniert hatte, war also völlig überflüssig gewesen. Nur eine Aenderung, welche man, nicht zum Vorteil, verlangt hatte, daß nämlich die Kirche im Renaissancebild als Person auftrete, war notgedrungen beibehalten mit den daraus folgenden Konsequenzen. Der ganze Raum ist in geradezu vollendeter Harmonie so fein abgestimmt, als wäre das Ganze nur ein Bild.

Carl Gehrts.
Nach einer Photographie von Constantin Luck in Düsseldorf.

Das in der alten Freskotechnik ausgeführte Werk wurde am 1. August 1897 nach siebenjähriger Arbeit des Künstlers der Oeffentlichkeit übergeben; ungefähr siebenhundert Studien dazu waren gleichzeitig ausgestellt. Die Düsseldorfer Künstlerschaft gab Gehrts im „Malkasten“ voller Jubel ein glänzendes Fest unter Teilnahme der ganzen Stadt. Alles war Lust ohne Ende und der Künstler, welcher mit dem Lorbeer gekrönt wurde, erlebte den glänzendsten Tag seines Lebens. Alle Freunde hofften, es sei dies nach aller Arbeit und allem Elend der schöne Abschluß der ersten Lebenshälfte des Künstlers – nur ein Gedanke drückte sie: Gehrts wurde unter glänzenden Bedingungen aufgefordert, mit Geselschap allein zur Ausmalung des Hamburger Rathaussaales zu konkurrieren. Die hohe Ehrung durch seine Vaterstadt barg in diesem Augenblick eine Gefahr, die dort niemand ahnen konnte. Gehrts hatte sein ganzes Künstlerleben hindurch mit unglaublicher Zähigkeit die Hoffnung genährt, dereinst seiner Vaterstadt das Beste seines Schaffens bieten zu können. Durch all sein Denken und Trachten zog sich diese eine Idee wie ein fortlaufender Faden hindurch. Nun schien dieser sein höchster Wunsch in Erfüllung zu gehen. Noch erschöpft von der großen Arbeit und den Quälereien, die er erduldet hatte, konnte Gehrts, von unbezwinglicher Sehnsucht zu diesem Werke gezogen, nicht Zeit und Ruhe finden, sich vorher gründlich zu erholen. Er gab sich sofort der neuen Aufgabe mit ganzer Seele hin, dachte und sah nichts anderes mehr. Die Geister, die er so oft zur Freude der Menschheit gerufen hatte, sie ließen den zarten Körper jetzt nicht mehr los. Stellte ihm ein Freund das Unrichtige vor, so sagte er: „Ich kann arbeiten so viel ich will, ich bin das gewohnt von Jugend auf; kam meine Mutter nach Hause, so gab es Mittagessen, kam sie nicht, so gab es keins, und nachts spielte ich die Fiedel, wenn die andern schliefen. Ihr dürft nicht vergessen, daß diese Arbeit der Wunsch meines ganzen Lebens seit dem 17. Jahre gewesen ist!“ So half alles Abmahnen nichts, und zwei Monate vor Ablauf der Konkurrenz, als die Entwürfe fast vollendet waren, versiegte mit einem Schlage die Kraft. Das Lebenslicht wurde trübe. Todmüde, fast wie im Traum, trotzdem immer im Geist mit seinen Arbeiten beschäftigt, lebte der erschöpfte Künstler noch ein halbes Jahr; dann war auch der letzte Rest der Kraft verzehrt, trotz aller Hoffnung auf Genesung, welche die Aerzte gaben, und sanft entschlief er hinüber in die seligen Gefilde, von denen er so oft geträumt. Sterbend hinterließ er seiner Vaterstadt das schönste Werk, das er im Leben geschaffen, leider nur im Entwurf.

Die Arbeit, welche die Geschichte Hamburgs in sieben Gemälden darstellt, von der Verkündigung des Christentums und der Gründung der Hammaburg an durch die bewegte Zeit des Mittelalters und der Reformation bis zu den Befreiungskriegen und der Gegenwart, bildete einen Hauptanziehungspunkt bei der Ausstellung von Gehrts’ Werken, welche vor kurzem in der Düsseldorfer Kunsthalle stattfand, einer Ausstellung, deren reiche Schätze nunmehr in Berlin zu sehen sind. Das letzte Bild, das Gehrts schuf, die Einsegnung der Freiwilligen von 1813, ist das ergreifendste Gemälde, das er in seinem Leben geschaffen hat; es ist, als hätte er alle künstlerische Kraft und sein ganzes edles Gemüt in diesem Werk wie in einem Testament dem deutschen Volke vererben wollen. Deutsch war ja überhaupt seine Kunst und deutsch wollte sie sein auch in den letzten Jahren, wo die Mode den Internationalismus verlangte. Deutsches Gemüt und deutscher Sinn sprechen namentlich auch aus den zahlreichen Illustrationen. Sein „Goldnes Märchenbuch“, „Reineke Fuchs“, „Demetrius“, die „lustigen Koboldgeschichten“, „Leben und Heimat in Gott“ und vieles andre werden dem deutschen Volk ein wahrer Schatz bleiben, und sein Wirken wird Segen bringen, solange es ein deutsches Gemüt giebt.

Das ist gewiß der schönste Lohn, der einem Künstler werden kann. Eine Ahnung davon verlieh wohl Gehrts jene unvergleichliche Heiterkeit und Seelenruhe, jene milde Beurteilung anderer, bei denen er stets das Gute zuerst sah, auch bei solchen, die ihm manch schwere Stunde bereitet hatten. Er war ein guter, edler Mensch, ohne Falsch und Bitterkeit, von echt deutschem Gemüt.




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