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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Und wann er net zahlt, so muß der Herr Fürst, ja, der Herr Fürst muß zahlen … der hat Geld!“

Pepperl ließ die Arme fallen, und in der Hütte war lautlose Stille, nur das Feuer knisterte. Der Jäger sah aus, als hätte man ihm Asche ins Gesicht geworfen. Mit zitternden Händen knöpfte er die Joppe zu und sagte: „Mir scheint, jetzt kenn’ ich mich aus! Jetzt … jetzt …“ Seine Stimme riß, und das helle Wasser schoß ihm vor Zorn in die Augen. „Des seids mir zwei saubere Leut’! Pfui Teufi miteinander!“ Er spuckte aus. „Da wär’ ich in eine schöne Verwandtschaft eini’kommen!“

Er wußte wohl nicht, was er redete. Denn der Zusammenhang dieses empörten Wortes mit der selbstlosen „Verantwortigung“, die der Praxmaler-Pepperl auf seine moralischen Schultern genommen hatte, war dunkel und völlig unbegreiflich.

Wütend packte er seinen Hut und verließ die Sennstube.

Mit verdutzten Augen sah ihm Brentlinger nach. „Wawas … was hat er denn? Sag’? Was hat er denn?“

Burgi vermochte nicht gleich zu sprechen. Ihr Gesicht war kreidebleich, als sie auf den Alten zu ging und ihn am Arm faßte.

„Vater! … Jetzt geh ins Kammerl ’nein! Und thu dich schlafen legen! Aber gleich! Denn daß d’ mir nüchtern solchene Sachen sagen könntst, das trau ich mir doch net z’glauben! Und wann dich ausg’schlafen hast … nachher reden wir weiter! Vorher kein Wörtl nimmer! Jetzt thu dich schlafen legen!“

„Schlafen? Ja warum denn schlafen? Wawas hast denn? Ich versteh schon, ja, versteh schon gar nix nimmer! Schlafen? Wo ich so viel munter bin, und … und thu mich so viel freuen mit, ja, mit dein Glück, ja …!“

„Vater! … Thu mir den G’fallen, Vater, und leg dich schlafen! Oder ich müßt’ dir harb sein! Leg dich schlafen, Vater!“

Er blickte zu ihr auf, und als er ihr Gesicht und ihre Augen sah, stotterte er erschrocken und begütigend: „Ja ja ja ja … sei sei nur z’frieden, Burgerl! Muß ich halt schlafen, ja! Ein Stünderl schlafen!“ Seufzend stolperte er über die Kammerschwelle.

Burgi wartete, bis sie hören konnte, wie er ins Heu fiel. Dann ging sie zum Herd, und auf die Steine niedersinkend, brach sie in bitterliches Schluchzen aus. –

Droben, im Försterhäuschen, saß der Praxmaler-Pepperl hinter dem Ofen, bürstete mit den Fäusten die Augen und würgte nach Luft. Die Selbsterkenntnis war erschreckend in ihm aufgegangen. „So ein Esel, wie ich einer bin! So ein’ giebt’s doch auf der ganzen Welt nimmer! Auf so ein Weibsleut ’reinfallen! Auf so ein Weibsleut! Mar’ und Josef! Mar’ un Josef!“

Lärm, Schritte und Stimmen weckten ihn aus diesem Jammer seiner Liebe – aus einem Katzenjammer, der das Merkwürdige hatte, daß ihm kein Rausch vorangegangen war.

Mit den Jägern und Treibern war der Förster gekommen, aufgeregt, fassungslos über den sonderbaren Ausfall der Jagd, die doch „wie am Schnürl“ gegangen war. Drei Hirsche waren sicher angesprungen, kein Schuß war gefallen, und auf dem Fürstenstand hatte man keinen Jäger gefunden, nur einen Wettermantel, den Feldstecher und die Büchse.

„Ja um Gotteswillen, was is denn da passiert?“

Als Pepperl mit zerknirschter Miene berichtete, was sich „da draußen“ ereignet hatte, und daß „die Fräul’n Lo’ mit ihrem Brüderl“ droben im Jagdhaus beim Herrn Fürsten wäre, klang in die Stille, mit der alle lauschten, ein schallendes Gelächter.

„Toni?“ fuhr der Förster auf. „Ja bist denn überg’schnappt?“

Mazegger gab keine Antwort – er lüftete nur den Hut. Und während er hinunterschritt zu seiner Hütte, sahen ihm all die anderen verwundert nach.

(Fortsetzung folgt.)




Müthchen.
Bilder aus dem Kinderleben. Von Anna Ritter.
I.

Die bösen alten Nerven hatten mich wieder einmal um den größten Teil meiner Nachtruhe gebracht, und es dämmerte schon, als jener traumselige Zustand über mich kam, der dem Einschlafen voranzugehen pflegt.

Behaglich drückte ich mich in den Kissen zurecht mit dem Entschluß, den versäumten Schlummer in den Morgenstunden nachzuholen.

An Müthchen hatte ich dabei freilich nicht gedacht.

Kaum eine Stunde mochte ich geschlafen haben, da fuhr ich mit dem unklaren Empfinden, daß jemand meinen Namen gerufen habe, in die Höhe.

„Mutter … Mutter!“

Kein Zweifel – Müthchen ist schon wach! Durch die blinzelnden Augenlider sehe ich deutlich seine kleine Gestalt, wie er im roten Nachtkittelchen hoch im Bette steht und mich mit gespanntem Ausdruck beobachtet.

Ich stelle mich schlafend.

„Mutter!“ ruft er, schon erheblich lauter.

Elschen, die im anderen Bette schläft, versucht, ihn zu beschwichtigen:

„Sei doch nur still, du siehst doch, daß die Mutter noch schläft!“

„Vorhin war sie aber wach,“ behauptet Müthchen, „ich hab’s deutlich gesehen, wie sie die Augen aufgemacht hat.“

„Zum Aufstehen ist’s noch viel zu früh,“ redet Elschen von neuem zu.

Müthchen hat aber an allerlei Geräuschen auf dem Hofe bemerkt, daß es sechs Uhr vorüber sein muß, er läßt sich nicht irre machen.

Seufzend ergebe ich mich darein, für heute endgültig auf den Schlaf zu verzichten.

„Leg’ dich noch ein Weilchen unter, Müthchen,“ sage ich in energischem Ton, „du erkältest dich sonst.“

„Ich habe aber Hunger,“ erklärt Müthchen weinerlich.

„Die Brötchenfrau ist noch gar nicht da!“

„Dann habe ich eben Durst.“

„Das Milchmädchen kommt auch erst um Sieben.“

Einen Augenblick giebt er Ruhe – da klinkt draußen die Hausthür.

„Die Brötchenfrau!“ schreit Müthchen jubelnd. „Mutter, kann ich’s Ida’n sagen, daß sie mir eine Wuchtel[1] bringt?“

„Meinetwegen,“ gebe ich nach, in der Hoffnung, ihn zum Schweigen zu bringen.

Mit einem Satz ist er aus dem Bett und reißt die Thür auf:

„Ida, bring’ mir ’ne Wuchtel!“

Ida ist etwas schwerhörig und kommt immer erst auf den fünften, sechsten Ruf.

In der Angst, daß Müthchen sich unterdes an der offenen Thür wirklich eine Erkältung holen könne, stehe ich selbst auf und rufe das Mädchen.

Die Brötchenfrau hat heute keine Wuchteln gehabt, Ida bringt also statt dessen zwei „Maulschellen“, bei deren Anblick Müthchen in Wut gerät.

„Ich wollte doch aber Wuchteln!“

„Wenn du jetzt noch einen Ton sagst, giebt’s ein paar Wuchteln hinten drauf,“ sage ich böse.

Da entschließt er sich, die Maulschellen zu essen.

Das arme Elschen muß aufstehen, weil die Schule um sieben Uhr beginnt. Mit verschlafenem Gesichtchen hantiert sie im Zimmer herum, indessen Müthchen befriedigt kaut.

Ich dusele langsam wieder ein.

„Mutter! … Kann Ida mich anziehen?“

Müthchen scheint mit essen fertig zu sein.

„Nein!“ sage ich streng. „Das Kinderzimmer ist noch gar nicht fertig aufgeräumt.“

„Kann ich mir dann so lange ein ‚Buch der Erfindungen‘ angucken?“

Ich erlaube es in der Hoffnung, daß Müthchens unruhiger Geist durch das Buch vielleicht wohlthätig gefesselt wird.

  1. Wuchtel, ein thüringer Gebäck.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0242.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2024)