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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Dem allgemeinen Untergang hatte sich indes eine Abteilung der Schillschen unter Führung des Leutnants von Brünnow entzogen; es waren 150 Schillsche Husaren und 300 Mann Infanterie; die sich ihm anschlossen. Sie rückten gegen das Frankenthor an; alles, was ihnen in den Weg kam, wurde niedergehauen, die Passage durch das Frankenthor erzwungen.

Vor dem Thor nahm Brünnow Aufstellung; es befanden sich bei ihm einige zwanzig Offiziere; ein holländischer Parlamentär forderte sie zur Uebergabe auf. Brünnow erklärte, er würde sich unter keiner Bedingung ergeben; wenn man ihm nicht freien Abzug auf der Stelle mit Pferd und Waffen einräume, so werde er sich lieber bis auf den letzten Mann wehren und nach zehn Minuten zum Angriff auf Tod und Leben den Befehl erteilen. Gratien wollte sich auf den Kampf mit so entschlossenen kriegsgeübten Männern nicht einlassen, er bewilligte den verlangten Abzug und bestimmte, daß die Kavallerie auf Demmin, die Infanterie auf Greifswald marschieren solle. Ein dänischer Offizier wurde kommandiert, den Schillschen Truppen das Geleite bis zu jenen Städten zu geben. Außerdem wurde von den Schillschen Truppen noch eine Abteilung von etwa 500 Mann gerettet, die sich am 24. Mai nach Rügen eingeschifft hatte. Sie landete in Swinemünde und ergab sich General Blücher auf Gnade und Ungnade. Die Offiziere beider geretteter Abteilungen wurden vor ein preußisches Kriegsgericht gestellt und milde abgeurteilt. Der alte Blücher hatte sich ihrer angenommen; 900 Mann Infanterie und 240 Mann Kavallerie waren, wie er selbst schrieb, in seiner Verwahrung. Er habe an den König um ihre Begnadigung geschrieben, sie hätten „braff“ gethan; sowohl Offiziere wie Unteroffiziere und Gemeine seien schuldlos, da Schill ihnen gesagt, es geschehe mit königlicher Bewilligung, daß sie über die Elbe gingen.

Traurig gestaltete sich dagegen das Schicksal der Schillschen Krieger, welche in die Gewalt der Feinde geraten waren. Die gefangenen Soldaten wurden unter die französischen Galeerensklaven gesteckt. Die Offiziere schleppte man über Braunschweig und Kassel nach Thionville, von dort nach Wesel, wo sie in einer Kasematte der Citadelle eingesperrt und dann vor eine militärische Specialkommission gestellt wurden. Diese elf jungen Helden waren die Leutnants Jahn, von Keller, Gabain, von Flemming, von Keffenbrink, von Trachenberg, Albert von Wedell, Karl von Wedel! und Schmidt, sowie die zwei von Schill zu Volontäroffizieren ernannten Galle und Felgentreu. Zum Verteidiger war Jean Noel Perwez aus Lüttich ernannt worden, und er führte die Verteidigung mit Kraft und Unerschrockenheit; er hob hervor, daß die Angeklagten geglaubt hätten, Schill handelte auf Befehl des Königs, und daß die Bekanntmachung desselben, in welcher er das Schillsche Unternehmen mißbilligte, nicht zu ihrer Kenntnis gekommen sei. Der Major Schill sei kein brigand gewesen, noch weniger die Offiziere seines Regiments, die, nach den bestehenden Vorschriften, der militärischen Subordination verpflichtet gewesen seien, den Befehlen ihres Chefs Folge zu leisten; er berief sich darauf, daß man einem Teile des Schillschen Korps, welches in Stralsund gekämpft hatte, eine ehrenvolle Kapitulation zugestanden habe, die man ihnen nicht bewilligt haben würde, wenn man sie als brigands angesehen hätte. Perwez zog sich durch seine energische Verteidigung der Gefangenen den Zorn Napoleons zu; er wurde nach seiner Vaterstadt Lüttich verwiesen und dort unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Was aber konnte die wärmste, nicht auf Trugschlüssen, sondern auf Thatsachen gestützte Verteidigung nützen, wenn das Urteil schon von Haus aus feststand? Hatte man doch schon bei Anbruch des Tages, an welchem das Urteil gesprochen werden sollte, drei Gräber für die Schlachtopfer bereit gehalten. Nach einer kurzen Beratung von einer Viertelstunde wurde bereits sämtlichen Offizieren das Todesurteil verkündet.

Man gestattete ihnen noch, an ihre Angehörigen zu schreiben. Dann wurden sie auf den Richtplatz geführt, zwei und zwei mit Stricken aneinandergekettet. Mutig schritten, wie Georg Bärsch in seinem Buche „Ferdinand von Schills Zug und Tod“ berichtet, die tapferen Jünglinge auf die Richtstatt, wo 66 Musketiere ihrer harrten; für jeden von ihnen waren sechs Kugeln bestimmt. Sie baten um nochmalige Verlesung des Todesurteils und um die Vergünstigung, daß ihnen nicht die Augen verbunden würden. Das wurde ihnen auch gestattet. Auf dem Richtplatz umarmten sie sich noch einmal und riefen: „Es lebe unser König, Preußen hoch!“ Flemming warf seine Mütze in die Höhe; 66 Musketen krachten und getroffen sanken zehn von den elf zu Boden. Nur dem einen, Albert von Wedell, war bloß der Arm zerschmettert worden. Er richtete sich auf und rief den Musketieren zu, besser auf das preußische Herz zu zielen. Da trat eine neue Sektion vor, gab Feuer, und auch Albert von Wedell sank tödlich getroffen zu Boden. Von einigen dazu kommandierten Pionieren wurden die blutigen Leichname entkleidet und in die mit Wasser gefüllten drei Gruben geworfen.

So starben die Jünglinge, deren Namen in der deutschen Ruhmeshalle aufgezeichnet bleiben. Noch wenige Jahre, und ihre Rächer waren erstanden und in der Völkerschlacht bei Leipzig wurde das Joch der blutigen Fremdherrschaft zerbrochen.

Rudolf von Gottschall.     




Heinrich Schaumberger.


Vor fünfundzwanzig Jahren, am 16. März, verstarb im Alpenkurort Davos, kaum dreißig Jahre alt, einer der liebenswürdigsten Dichter, die deutsches Volks- und Landleben mit treuem Erfassen geschildert haben, der thüringer Volksschullehrer Heinrich Schaumberger. Nur fünf Jahre waren ihm zum Schaffen vergönnt; in diesem kurzen Zeitraum sind „Vater und Sohn“, „Im Hirtenhaus“, „Zu spät“, „Fritz Reinhardt“, die „Bergheimer Musikantengeschichten“ entstanden. Als Schaumberger starb, waren seine Werke nur teilweise und nur in engeren Kreisen bekannt; Friedrich Hofmann, als er 1876 in der „Gartenlaube“ dem verstorbenen Landsmann den warmempfundenen Aufsatz „Der nordfränkische Zschokke“ widmete, war einer der ersten, die seiner Dichtung ihrem vollen Wert nach gerecht wurden. Seitdem ist die Gemeinde Schaumbergers immer mehr angewachsen, und am 16. März d. J. ist in seiner Vaterstadt Neustadt, im Herzogtum Koburg, der Grundstein zu seinem Denkmal gelegt worden, das zu Pfingsten feierlich enthüllt werden soll. Dem Komitee, das sich dort unter dem Vorsitz von Rektor Lange gebildet hat, haben sich zahlreiche Männer aus allen deutschen Gauen angeschlossen; möge der Aufruf desselben, welcher um Beiträge bittet, bei den Lesern der „Gartenlaube“ wärmste Teilnahme finden! In den Dienst des Unternehmens tritt auch eine Gedächtnisschrift, verfaßt von Dr. W. Rullmann in Graz, der das große Verdienst hat, den Dichter auf dem dornenvollen ersten Weg an die Oeffentlichkeit einst wesentlich gefördert zu haben. Dieser als Beitrag zur Enthüllungsfeier geplanten Festschrift können wir schon heute im Auszug den folgenden treuen Bericht über Schaumbergers schlichten und doch so ergreifenden Lebensgang entnehmen, welch letzterer von Hugo Möbius in einer umfangreicheren Biographie eingehend geschildert worden ist.

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In einem Dachstübchen des Schulhauses von Neustadt im Herzogtum Koburg hat Heinrich Schaumberger am 16. Dezember 1843 das Licht der Welt erblickt. Der Vater, Fritz Schaumberger, bekleidete dort die Stelle eines Kantors und Lehrers, die Mutter Margarete war die Tochter eines Grundbesitzers von Weißenbrunn vorm Walde. Der junge Heinrich war sechs Jahre alt, als sein Vater nach Weißenbrunn versetzt ward, und dies Heimatsdorf der Mutter wurde nun seine zweite Heimat und später der Schauplatz verschiedener seiner Erzählungen.

Der Knabe war zehn Jahr alt, als sein Inneres von dem ersten großen Schmerz berührt wurde. Er verlor die gute Mutter, die leider das Halsleiden, an dem sie starb, dem Sohn vererbte. Später hat Schaumberger schöne Worte gefunden, um das Glück der Kindheit zu schildern; daß auch damals schon dunkle Schatten in das sonnige Glück seiner Kinderjahre fielen, zeigen die nachfolgenden Aufzeichnungen seines Tagebuchs: „Der Vater kümmerte sich wenig um mich und die Großeltern verzogen mich. Oft wochenlang sah der Vater nicht nach mir und fragte nie, ob ich etwas lerne oder was ich sonst treibe. War er dann einmal übelgelaunt, großer Gott! wie ging mir’s! Der Vater und die Großeitern lebten nicht gut zusammen und all ihren wechselseitigen Zorn mußte ich erfahren.“

Nach seiner Konfirmation blieb der Knabe noch drei Jahre, in denen er sich häuslichen Beschäftigungen und der Arbeit auf dem Felde widmen mußte, in dem Hause des Vaters, der zum zweiten Male geheiratet hatte. Endlich ging ihm der Wunsch seines Herzens in Erfüllung: im Mai des Jahres 1861 bezog er das Seminar in Koburg, um sich dem Lehrerberufe zu widmen. Am Schlusse der Seminarzelt erteilte er einige Monate hindurch Unterricht an der Mädchenschule in Koburg; im Frühjahr 1864 bestand er das Examen und Ende desselben Jahres finden wir ihn als Lehrer in dem kleinen Orte Einberg thätig. Im Sommer 1866 machte der junge Lehrer von hier einen Ausflug nach Seidmannsdorf, um seinen Kollegen Bauer zu besuchen, und dort lernte er dessen achtzehnjähriges Töchterchen Klara kennen. Die Schönheit und der Liebreiz des jungen Mädchens machen einen tiefen Eindruck

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0226.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2020)