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sich auf 265 000 Mark, die Gesamtkosten der Montierung, der Drehkuppel etc. erreichen etwa 700000 Mark. Das ist nun das größte und mächtigste Fernrohr, welches zur Zeit auf der Erde existiert, und es bezeichnet sehr nahe auch die Grenze des für unsere Hilfsmittel zur Zeit Erreichbaren. Als Georg Clark, der nach dem Tode seines Vaters Alvan Clark (1887) das Objektiv herstellte, dasselbe vollendet hatte, sagte er, jetzt sei er von einer drückenden Last befreit. Ein Jahr darauf erlag er einem Schlaganfalle; der letzte seines Stammes. Kurz vor seinem Tode erklärte er indessen dem berühmten Astronomen Barnard, er sei bereit, auch ein Objektiv von 60 Zoll Durchmesser herzustellen, falls das Rohglas dafür zu haben wäre.

Für das Riesenteleskop der Pariser Weltausstellung ist ein Fernrohr von etwa 200 Fuß Länge und beinahe 50 Zoll Objektivdurchmesser in Aussicht genommen und der Schliff der Linsen hat bereits begonnen. Es ist indessen ganz unmöglich, ein Rohr von solcher Länge an einer Säule zu befestigen, so daß es nach allen Richtungen gedreht werden kann. Man ist deshalb auf folgende Anordnung gekommen, die durch unsere Abbildung auf Seite 222 veranschaulicht wird. Das große Rohr liegt horizontal und unbeweglich auf einer Reihe von niedrigen Steinpfeilern; vor dem Objektiv aber befindet sich ein großer völlig ebener Spiegel, der nach allen Richtungen des Himmels gewendet und der Bewegung der Gestirne entsprechend durch ein Uhrwerk gedreht werden kann. Das auf diesen Spiegel fallende Licht der Sterne wird von hier auf das Objektiv des großen Fernrohres geworfen und geht durch dasselbe hindurch bis zum Beobachter, der am anderen Ende des Rohres sich befindet. Diese Anordnung ist äußerst sinnreich und hat sich bei kleineren Fernrohren gut bewährt.

Fragen wir nun nach den Leistungen solcher Riesenteleskope, so vernehmen wir, daß das Yerkes-Teleskop Vergrößerungen bis zu 3600fach gestattet. Das heißt, auf den Mond angewandt: es zeigt diesen so genau, als er dem besten unbewaffneten Auge erscheinen würde, wenn er uns 3600 mal näher stände als in Wirklichkeit. Nun kann uns der Mond bis auf etwa 48000 Meilen nahe kommen, in jenem Fernrohre wird er sich also bestenfalls so zeigen, wie dem bloßen Auge aus 131/3 Meilen Entfernung. Das ist noch sehr weit von den Leistungen, welche dem Publikum mit dem Fernrohre der Pariser Weltausstellung verheißen werden, und nun wird jedem Verständigen klar, daß diese Verheißungen maßlos übertrieben sind! In der That ist dies in so hohem Grade der Fall, daß man dreist voraussagen darf, eine große Enttäuschung werde den meisten zu teil, welche durch das große Fernrohr der Pariser Weltausstellung den Himmel betrachten werden.

Wenn der Leser aber denken sollte, daß überhaupt die Herstellung von Riesenteleskopen der wissenschaftlichen Erkenntnis nur verhältnismäßig wenig Nutzen bringe, so würde diese Meinung völlig irrig sein. Die großen Instrumente der Gegenwart haben vielmehr unter Zuhilfenahme des Spektroskops und der Photographie unsere Kenntnisse vom Bau des Weltalls und von den Zuständen der fernen Himmelskörper in geradezu wunderbarer Weise erweitert und stellen ferner große Ergebnisse in Aussicht.




Schill und seine Offiziere.

(Zu unserer Kunstbeilage.)

„Es zog aus Berlin ein tapferer Held,
Er fübrte sechshundert Reiter ins Feld,
Sechshundert Reiter mit redlichem Mut,
Sie dürsteten alle Franzosenblut!“

So beginnt das „Lied vom Schill“, das der wackere Ernst Moritz Arndt gedichtet, und noch andere dichterische Kränze, auf deren Schleifen Namen wie Max von Schenkendorf und Friedrich August Stägemann stehen, ruhen auf Schills Sarg. Die Sänger der Befreiungskriege haben den Vorläufer und Vorkämpfer derselben gefeiert, mehr sogar als die siegreichen Marschälle, welche Hunderttausende in den Kampf führten.

Die Befreiungskriege sind ein großes welthistorisches Heldengedicht; der Zug Schills und der Seinen ist ein Trauerspiel der Geschichte, und wenn wir hier auf unserem Bilde die tapfern Jünglinge sehen, welche dem Kriegsgericht zum Opfer fielen und von den Kugeln der Franzosen vor den Thoren von Wesel erschossen wurden, so weht uns aus der Begeisterung für das Vaterland, die bei dem schönen Opfertod aus ihren Zügen spricht, bereits der Geist entgegen, der später auf den Schlachtfeldern siegreich die Adler des Cäsars daniederwarf und auf allen deutschen Bergen die Siegesfeuer entzünden konnte.

Und die Gestalt dieses wackern Offiziers, der in seinem heißen Zorn über die Fremdherrschaft zum Bruch der Disciplin und zu seiner verwegenen That verleitet wurde, taucht wieder vor uns auf.

Der vielbesungene Held jenes ruhmvollen Freischarenzugs, der allerdings mit Truppen des Königs unternommen wurde, Ferdinand von Schill, war 1776 auf dem väterlichen Gute Wilmsdorf bei Dresden geboren. Sein Vater war ein tapferer Veteran, der in österreichischen und sächsischen Diensten gestanden hatte, ehe er in die preußischen übertrat. Noch 1806, in hohem Alter, sammelte er bei dem Ausbruch des Krieges gegen Napoleon ein Korps von Förstern und Jägern, das aber durch den dirigierenden Minister der Provinz, den Grafen Hoym, wieder aufgelöst wurde. Der alte Schill ließ es sich jedoch nicht nehmen, seinen tapfern Sohn in Pommern zu besuchen, wo dieser den französischen Heerscharen zähen Widerstand leistete.

Schon früh hatte sich der junge Schill dem Waffenhandwerk zugewendet und war bei der leichten Reiterei eingetreten; später nahm ihn General Graf Kalckreuth in sein eigenes Dragonerregiment Anspach-Bayreuth auf. Doch zeigte Schill keine großen militärischen Talente; er war nach einer siebzehnjährigen Dienstzeit noch Sekondelieutenant. Ein Offizier der alten Schule, der ihm früher nähergestanden hatte, rief später, als der Ruhm des kühnen Soldaten sich in weiten Kreisen verbreitet hatte: „Ei, wer hätte das gedacht! Wie hat doch aus dem Schill noch etwas werden können, der nicht einmal verstand, einen Zug gehörig anzuführen.“

In der Schlacht von Auerstädt 1806 wurde er nach tapferer Gegenwehr schwer verwundet. Er schleppte sich nach Kolberg und nahm, dort wieder genesen, einen regen Anteil an der Verteidigung der Festung. In kurzer Zeit sammelte er in der Umgebung ein Freikorps von 1000 Mann zu Fuß und zu Pferde. Durch eine Reihe kühner Streifzüge wurde sein Name berühmt.

Nach dem Frieden zu Tilsit im Jahre 1807 wurde den Schillschen Truppen die ehrenvolle Auszeichnung zu teil, die ersten unter den vaterländischen Kriegsvölkern zu sein, welche in die Hauptstadt zurückkehren und einen Teil der Garnison derselben bilden sollten. Die ganze Bevölkerung Berlins jubelte den Einziehenden entgegen. Schill war der Held des Tages, der Liebling des Volkes; auch im Theater wurde er mit stürmischem Beifall begrüßt.

Diese Huldigungen berauschten den kühnen Reiterführer, so daß er die richtige Schätzung seiner eigenen Bedeutung und der Weltlage verlor, und sie trugen nicht wenig bei zu dem verhängnisvollen Entschluß, den er später faßte und der die kühnen Offiziere und braven Truppen dem sicheren Verderben weihte.

Als im Jahre 1809 die Oesterreicher gegen Napoleon ins Feld rückten, als in Hessen unter dem Obristen von Doerenberg aufrührerische Bewegungen das Schattenkönigtum Jérômes bedrohten, da glaubte er den Zeitpunkt gekommen, der zögernden preußischen Kabinettspolitik einen mächtigen Impuls zu geben. Er übernahm es, auf eigene Hand Napoleon den Krieg zu erklären als ein bahnbrechender Vorläufer, dem die preußische Armee nachfolgen würde; er glaubte, es bedürfte nur eines mutigen Vorgehens, um den überall angehäuften Zündstoff der nationalen Erbitterung in lichten Flammen auflodern zu lassen. Sein Feuergeist, von der einen Idee beherrscht, reich an genialen Gedankenblitzen, aber wenig geneigt zu ruhiger Erwägung der thatsächlichen Verhältnisse, hatte die gleichgesinnten Gemüter der jungen Kameraden mitentzündet, und er durfte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0223.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2020)