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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

zum Erben eingesetzt hatte, Brief um Brief, um ihn zu bestimmen, daß er den bunten Rock ausziehe und zu ihm auf sein Gut komme, wo er beizeiten lernen könne, den Herrn zu spielen. Ein solches ihm zugefallenes Erbe gut zu bewirtschaften, sei auch eine Lebensaufgabe, und sein Vater habe immer gewünscht, ihn als Landwirt zu sehen. Detlev war auch nicht abgeneigt, den Wunsch des Onkels zu erfüllen, doch schob er es immer noch hinaus, einen entscheidenden Schritt zu thun. Litt er auch an seiner aussichtslosen Liebe, so waren ihm doch seine Leiden lieb. Metz verlassen hieß, sich auf ewig von Marguerite trennen. Und sie war ja noch nicht verheiratet, noch war der letzte Hoffnungsfunken nicht erloschen. Aber im April, als die weitläufigen Alleen um Metz sich grün umkleideten und die Büsche längs der Mosel im Blütenschauer standen, erlitt der alte Herr auf Rheinfeld einen leichten Schlaganfall, den Frau von Bode ihrem Sohn meldete. Zugleich bat sie ihn dringend, doch jetzt den Wunsch des Oheims zu erfüllen: das Gut brauche einen Herrn … Bald schrieb der Oheim einen Brief voll wehmütiger Todesahnungen. Er wollte noch gern selbst seinen Neffen in den neuen Wirkungskreis einführen und seine letzten Lebenstage durch seine Gegenwart erheitert sehen. Nun stand Detlev am Wendepunkte. Er nahm vorläufig einen längeren Osterurlaub und reichte zugleich sein Abschiedsgesuch ein. So bereitete er sich zur Abreise mit dem Bewußtsein vor, daß er nicht mehr nach Metz und zum Regiment zurückkehren würde … An einem laulichen Apriltage, der die Stadt in ein wahres Bad von Frühlingslicht tauchte, von dem seine Seele aber nichts wahrnahm, ging er in der Stadt umher, bei Vorgesetzten, Kameraden und deren Familien Abschiedsbesuche zu machen.

Den Weg zu Major Pröhl hatte er sich bis zuletzt aufgespart, denn er wollte nachher auch zu ihr gehen. Ein Abschiedsbesuch mußte ihm doch gegönnt werden. Er hatte bis zu ihrer Hochzeit in Metz ausharren wollen, um den letzten Schimmer von Hoffnung festzuhalten, bis sie unwiderruflich gebunden war, aber die Qual dauerte zu lange. Die letzten Monate waren unerträglich gewesen. Es war unmännlich, sich dieser hoffnungslosen Pein länger hinzugeben, und er ging dorthin, wohin ihn die Pflicht rief.

Der Major besprach eingehend seine Verhältnisse und Lebensaussichten mit ihm und gab ihm recht, daß er seinem Oheim willfahrte. „Wenn es zum Dreinschlagen kommt, sind Sie doch wieder da! Wollte, ich hätte vor zwanzig Jahren einen Onkel gehabt, der mir das Seinige hätte angedeihen lassen wollen!“

Dann kamen Regimentsnachrichten, und schließlich sprach der Major wie gewöhnlich auch von seiner jungen Wirtin. „Kirche und Friedhof: schöne Abwechslung für leuchtende Frühlingstage! Heut’ mag sie noch eine besonders böse Viertelstunde gehabt haben, das arme Ding!“

„Warum?“ Detlev fragte es ein wenig zu heftig.

„Stellen Sie sich vor,“ begann der Major mit seiner gemütlichen Langsamkeit, „heute morgen, während sie in der Kirche war, kam der Postbote, brachte mir einen Brief und wollte zu ihr hinein … Thüre verschlossen … Der Postbote wollte also den Brief durch die Spalte unten Hineinschieben, aber ich sage: Geben Sie nur her … Ich besorge das … Gut. Postbote geht … Ich drehe das große Couvert in der Hand um, es ist offen … Dann darf man sich’s doch ansehen, und so ziehe ich das steife Blatt heraus und sehe es an. Natürlich war’s Französisch, ein langes sinnloses Geschreibsel“ – der Major verstand wenig französisch – „der Teufel mag das lesen! Aber die Namen fielen mir auf: Mademoiselle Alphonsine Duval oder Dumont oder Dubois, ich weiß nicht mehr – und was könnte mir auch gleichgültiger sein? – und ein Herr empfahlen sich als Verlobte ... Und der Herr, das war kurios! – Der Herr … Was meinen Sie, wer das war?“

Detlevs Spannung war aufs höchste gestiegen. Er machte eine ungeduldige Bewegung.

„Er hieß,“ sagte der Major mit feierlich dröhnendem Baß, „ob Sie es nun glauben oder nicht: Er hieß – Didier Morel!“

Detlev sprang auf und starrte dem alten Herrn verwirrt ins Gesicht. „Unmöglich!“

„Aber wahr! Ich war auch ganz baff. Als ob es mich in den Fingern gebrannt hätte, schob ich das Couvert durch den Spalt hinein. Mochten ihre Füßchen darauftreten! Ein Bräutigam, der seiner Braut seine Verlobung mit einer anderen anzeigt!“

„Vielleicht war es bloß ein gleichnamiger Verwandter des Bräutigams!“

„Ach!“ sagte der Major überlegen. „Es ist schon so! Die Verlobung scheint schon lange in die Brüche gegangen zu sein; die Kleine hatte nur keine Veranlassung, es uns wissen zu lassen, nicht wahr? Vor einer Stunde war Madame Joß hier oben. Die examinierte ich. Sie sagt, sie hätte längst Lunte gerochen, weil kein Brief mehr aus Nancy kam, nichts. Das Fräulein sei jedoch seitdem weit heiterer. Die Geschichte würde ihr nicht das Herz brechen. Bloß die ‚Madame‘ … die drehte sich wohl im Grabe um, wenn sie’s erführe, meinte die Joß. Indessen, ich denke, bis auf den Ostfriedhof wird die Nachricht nicht dringen … Ob es die Kleine wirklich so leicht nimmt? Vielleicht macht sie bloß gute Miene zum bösen Spiele!“

Detlev verließ den Major so bald wie möglich und benahm sich dabei so auffällig, daß dieser ihm kopfschüttelnd nachsah. Marguerites Thüre war jedoch verschlossen, und Detlev rannte nun stundenlang wie besessen durch die Straßen, um die ungeheure Freude, die ihn erfüllte, in Bewegung austoben zu lassen.

Der laue Frühlingstag umkoste seine Stirne mit schmeichlerisch zärtlichem Hauch wie eine Glücksverheißung, und nun fiel der helle Sonnenschein auch ihm ins Herz und erwärmte es nach langer Winterstarre zum erstenmal wieder. Die ganze Zeit her hatte er sich in einem finsteren Gegensatz mit dem alles Vereiste lockernden und lösenden Lenzhauch befunden, jetzt aber, wo das Knospen der Hoffnung sich auch in ihm wieder zu regen begann, begrüßte er die Frühlingsherrlichkeit ringsum aus froher Seele.

Er war nach dem Friedhof hinausgeeilt, traf aber Marguerite dort nicht. Dann schweifte er planlos in der Umgebung der Stadt umher, wo auf den Höhen Rebenpfähle, zeltartig zusammengestellt, an die Gewehre erinnerten, die zu anderen Zeiten dort so aufgestellt gewesen sein mochten. Zwischen den Forts von Plantières und Saint Julien irrte er umher, kehrte dann auf einem Umweg durch die altertümliche Porte des Allemands in die Stadt zurück und schlug wieder den Weg nach der Belle-Islestraße ein. Es dämmerte bereits. Die Lichtfülle des Tages minderte sich allmählich. Atemlos erklomm er die Treppe, überzeugte sich durch einen Druck auf seine ehemalige Wohnungsthüre davon, daß Major Pröhl, wie er erwartet hatte, nicht zu Hause war, und klopfte dann bei Marguerite an. Es erfolgte kein Herein, doch als er unentschlossen in dem kleinen leeren Zimmer stand, wo sich schon Dämmerschatten aus den Winkeln streckten, rief aus der kleinen Küche zur Linken eine Stimme den Namen der Frau Joß. Der innere Jubel drohte Detlev zu ersticken, als er nach langer Zeit wieder diese Stimme hörte, und so hell und leicht klang sie obendrein. Eine übermütige Stimmung überkam ihn, und er antwortete laut und fröhlich: „Nein, ich bin’s.“

Beim Klang dieser männlichen Stimme kam Marguerite schnell herbei … Das schwarze Kleid mit einer Küchenschürze bedeckt, in einer Hand die Theebüchse, in der anderen ein Löffelchen, so erschien sie an der Schwelle. Als sie Detlev erblickte, lächelte sie, aber es war kein freudiges Lächeln.

Sie sind es, Herr von Bode?“ fragte sie langsam … „Nehmen Sie Platz und entschuldigen Sie mich einen Augenblick.“

„Ich will Sie nicht in Ihrer Beschäftigung stören … Sie kochen Thee? Empfangen Sie mich doch in der Küche!“

Und ohne ihre Erlaubnis abzuwarten, trat er hinter ihr in das Küchlein ein. Der kleine Raum war übervoll von der aus einer größeren Küche stammenden Einrichtung, aber gerade deshalb nur um so anheimelnder. Der Küchenschrank und die Geschirrborde an der Wand ließen Mengen von verschiedenem altväterischen Porzellan sehen. Messing und Kupfer glänzten an der Wand um die Wette, und auf dem sauberen und wohl selten benutzten Herde stand ein Spirituskocher, dessen blaue Flamme im Luftzug hell emporloderte. Theekanne und Theetasse daneben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0218.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2020)