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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Fünfmaster bis zum fixen kleinen Finkenwärder Fischer-Ewer: das alles findet mein Söhnchen lange nicht so herrlich wie seinen Grand mit vier Jungen, von dem er mir vorhin triumphierend erzählte. Nette Gemütserhebung das!“

„Demgemäß spielst du selbst nicht Skat?“

„Ich rührte überhaupt keine Karte mehr an seit meiner Reise nach Helgoland 1867. Damals hab’ ich mir’s gelobt. Komm, laß dir’s erzählen. Steward, zwei Cognacs, Dreistern! Also, als wir endlich vor Helgoland Anker warfen und ausgebootet wurden – ich glaube, zwölf Schillinge Hamburger Courant, also neunzig Reichspfennig jetziger Währung, kostete damals das Anlandsetzen – da war’s so gut wie dunkel und der Regen goß in Strömen, von Spazierengehen keine Rede. Logis genommen, trocken Zeug auf den Leib, einen Riesenhummer vertilgt in dem ehemaligen langweiligen Konversationshause an der Bindfadenallee, mitten im Unterland, ohne Seeaussicht.


Ein gemütlicher Skat.


Aber gute Freunde von Hamburg getroffen; die zeigten mir ‚Helgoland bei Nacht’ ganz gründlich. Zunächst die ‚Grüne Woge’, den berühmten Tanzsaal, wo uns gegen Erlegung eines preußischen Thalers ein Helgoländer Paar in Volkstracht den der Insel eigentümlichen Tanz vortrippelte, zu dem eine sonderbare eintönige Weise gesungen wird ...“

„Kannst du heutzutage auch noch haben. Das ,Sling, mien Möderken, sling’ hat sich unverändert erhalten.

Die hübsche, eigenartige Volkstracht der Helgoländer ist freilich selten geworden und wird fast nur von Badegästen angelegt, die sich darin photographieren lassen wollen.“

„Schade; sie sahen so nett aus, die Helgoländerinnen, wenn sie nach Hamburg kamen im ‚Peik’, dem roten, gelbgrün besetzten Rock, reichgesticktes Mieder dazu, auf dem Kopf den vielfältigen schwarzen ‚Südwester’, in der Hand unfehlbar das ‚Nöösdook’ (Schnupftuch) – und wir Jungens redeten sie auch wohl an: ,Snake jüm Hollunder?’ – Diese Frage: ‚sprechen Sie helgoländisch?’ war freilich das einzige, was wir von ihrer friesischen Mundart gelernt hatten; das Gespräch erwies sich daher als nicht entwickelungsfähig.“

„Wenn’s eine echte Helgoländerin war;“ schaltete ich ein; „unechte Exemplare aber, die damals in Hamburg nicht selten vorkamen, setzte man dadurch in Verlegenheit.“

„Na, von der ‚Grünen Woge’,“ fuhr mein Freund fort, „kreuzten wir durch verschiedene Weinkneipen weiter und weiter; Bier war, nebenbei bemerkt, damals auf Helgoland ein für Badegäste völlig unbekannter Begriff. Endlich strandeten wir in einem hellerleuchteten großen Zimmer, wo schwarzbefrackte Herren uns sehr zuvorkommend die Wahl zwischen Roulette und Trente-et-Quarante anheimstellten. Der Champagner dort kostete gar nichts, erwies sich aber dennoch als recht teuer, denn als ich am nächsten Mittag mit schwerem Kopfe in meinem Quartier aufwachte, konnte ich nur mit Mühe und Not aus meinen Taschen das Logisgeld und die zwölf Schillinge für die Fahrt an Bord zusammenklauben. So warf ich denn noch einen betrübten Blick nach der Düne, die zu besuchen mir nicht einmal die Zeit blieb, leistete mir, abermals bei strömendem Regen, ein Häppchen Spaziergang ins Oberland und ärgerte mich schließlich noch über den vierschrötigen englischen Polizisten in Blau mit häßlicher Lederkappe, der auf dem Landungssteg stand, denn sein Bulldogggesicht hatte ich gestern spät schon gesehen; das Raubnest, wo ich so schmählich geplündert worden war, erfreute sich des hohen, obrigkeitlichen Schutzes.“

„Tröste dich, alter Junge; das ist seitdem gründlich anders geworden. Mit einem guten Fernrohre könntest du vielleicht jetzt schon an derselben Stelle einen Gewappneten in Grün mit weißem Lederzeug und blanker Pickelhaube bemerken, einen königlich preußischen Gendarmen, dem es ein Vergnügen machen würde, eine Spielhölle auszuheben; ich glaube aber kaum, daß eine solche noch vorkommt auf dem heiligen Eiland der Helga.– Doch ich will nun nach den Meinigen sehen. Im Damensalon halten meine Frau und meine, Nichte angeblich ein Nachmittagsschläfchen; das dürste jetzt überstanden sein. Und nun giebt es bald etwas zu sehen. Das Gestein dort beginnt rötlich zu werden; der weiße Streifen der Düne schimmert gleichfalls schon deutlich erkennbar.“

„Und durch meinen Feldstecher erblicke ich das Grün des Oberlandes:

Grön is dat Land,
Rot is de Kant,
Witt is de Sand;
Dat sünd de Farben
von Helgoland.

Das ist alles unverändert. Ueberhaupt, wetten möchte ich, daß ich nicht viel Neues finde im Gegensatz zu 1867. Die Helgoländer sind konservativ durch und durch; das wirst doch zugeben?“

„Stimmt! Aber trotzdem dürfte innerhalb dreier Jahrzehnte einiges verändert worden sein. Du wirst es schon herausfinden. Also auf Wiedersehen, heute abend oder morgen!“

„Wo treffen wir uns?“

„Auf Helgoland findet man sich überall.“ - -

Am Abend saßen wir vor der Strandhalle, die Damen beim Kaffee, die Herren beim Münchener, und mein Freund lachte: „Wie ich dir’s prophezeit habe: ich finde nur Unerhebliches verändert. Dort die Kaiserstraße, in die wir hineinblicken, hieß früher Queen Victoria-Street, und der ‚Duke of Wellington’, wo ich dereinst wohnte, führt nunmehr ‚Graf Moltke’ im Schilde. Aber es ist genau dieselbe blitzblank reine Straße, es sind dieselben schmucken holzverkleideten Häuser, hinter jedem Fenster saubere Gardinen und Blumentöpfe – du glaubst nicht, mit welcher Freude ich diese langentbehrte deutsche Eigenart überall wieder begrüße!“

„Erlaube einmal, liegt gerade darin nicht schon eine recht bedeutende Veränderung, daß jetzt eine urdeutsche Insel mit kerndeutscher Bevölkerung endlich wieder zum Vaterlande gehört?

Da am Tisch die schneidigen Seeoffiziere, hier die mit strammem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0206.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2017)