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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Herr im Hause bist … ich danke dir für die gastliche Aufnahme unter deinem Dach!“

Der Knabe wurde noch verlegener; aber das verriet nur die purpurne Röte seiner Wangen, denn strammen Schrittes kam er auf den Fürsten zu, reichte ihm die Hand und machte ein tiefes Kompliment.

„Und wie heißt du denn?“

„Gustl.“

„August? O! Das ist ein Name, der verpflichtet! Denn wer Augustus divinus war, das weißt du doch sicher schon?“

„Aber natürlich! Wir sind zwar heuer in der römischen Geschichte erst bis zur Verschwörung des Catilina gekommen. Aber wer die Kaiser waren, das weiß man doch!“

Mit wachsendem Wohlgefallen betrachtete Ettingen den Knaben. „Das ist eine Antwort, aus der ich errate, daß dir das Wissen Freude macht und daß du ein fleißiger Lateinschüler bist! Hab’ ich recht?“

„Ja, das darf ich bestätigen,“ sagte Lo’, deren Blick mit zärtlichem Stolz auf dem Bruder ruhte. „Er hat ein Zeugnis heimgebracht, das sich sehen lassen darf.“

Ettingen zog den errötenden Knaben in den helleren Schein der Lampe. „Nein, Fräulein, es ist wirklich überraschend, wie sich in diesem zarten schmalen Gesichtchen schon alle die kräftigen Züge Ihres Vaters erkennen lassen … die Form der Stirne, hier diese Linie von der Wange gegen das Kinn, der Schnitt der Augen und der Nase. Nur in der sanften Zeichnung des Mundes … da gleicht er Ihnen … und schlägt wohl der Mutter nach?“ Er strich mit der Hand über das Haar des Knaben. „Ja, kleiner Mann, du gleichst deinem Vater, und du solltest ihm auch in allem anderen ähnlich werden. Aus dir muß sich im Leben etwas Tüchtiges auswachsen! Denn du trägst einen Namen, dem du Ehre machen mußt … den Namen deines Vaters!“

Die Augen des Knaben blitzten.

Dann war’s eine Weile still in der kleinen Stube. Draußen aber trommelte der Regen wie mit hundert Fäusten auf das Schindeldach, und unaufhörlich rollte der Donner. Da der Sturm die Traufe gegen das Fenster peitschte, schloß Gustl auf einen Wink der Schwester die Läden. Sie selbst bestellte den Tisch, und mit stiller Freude, die aus ihrem ganzen Wesen sprach, bereitete sie alles für das bescheidene Mahl, das sie ihrem Gaste bieten konnte.

Ettingen hatte sich in wohliger Behaglichkeit auf einen Holzstuhl niedergelassen und folgte jedem Schritt und jeder Bewegung des Mädchens mit seinen Blicken. Dann plötzlich sagte er: „Wenn Sie wüßten, Fräulein, wie mir zu Mut ist und wie wohl ich mich fühle. Ich erinnere mich seit Jahren keiner Stunde, der ich so dankbar hätte sein können, wie ich es dieser jetzigen bin. Weiß Gott, ich habe den Wunsch, hier immer so zu sitzen und nicht wieder aufzustehen. Und das macht nicht die sichere, trockene Ruhe, die ich nach diesem recht unbehaglichen Marsch in der Finsternis und unter gießendem Regen hier bei Ihnen gefunden habe. Das macht Ihre Nähe … das geht von Ihnen aus. Ja, Fräulein, und das hab’ ich schon damals empfunden, an jenem ersten Morgen … da draußen bei Ihren Blumen. Diese zufriedene Lebensfreude, diese ruhige Heiterkeit, die in Ihnen liegt … das geht auch auf andere über. Das fühlt man, wie man Licht und Wärme fühlt.“

In Verwirrung suchte Lo’ nach Worten. Aber da kam Pepperl über die Schwelle gestolpert. „Teufi, Teufi, Teufi,“ lachte er und riegelte hurtig hinter sich die Thüre wieder zu, „da draußten is aber ungut! Jetzt bin ich schon selber froh, daß ich ins Trückene komm’. Jetzt hab’ ich ’s Büchs’l g’schwind’ noch ein bißl sauber g’macht, so gut wie’s ’gangen is und hab’ die Mäntel ausg’wunden.“ Er streckte die Arme vom Leib und schaute an sich hinunter. „Oben thut’s es noch … aber ’s Unterg’stell! Saxen noch einmal, mein’ Kurzlederne, die schaut gut aus! Aber no,“ fügte er mit resignierter Miene bei, „die is ’s Wasser schon g’wöhnt.“ Er dachte wohl an die Taufe, die seine „Kurzlederne“ in der Sennhütte empfangen hatte – denn er seufzte. Aber der Anblick seines Herrn, der so trocken und behaglich saß, brachte ihn wieder in gute Laune. „Gelten S’, Duhrlaucht, heut’ haben wir’s nobel ’troffen!“ Lachend stellte er sich an den Herd und ließ sich von der Wärme anstrahlen. „Und jetzt kann ich’s ehrlich sagen … wie wir da droben im Nebel umeinander ’krabbelt sind, und wie d’ Nacht und so ein Wetter eing’fallen is … g’wiß wahr, da hat mir ’graust! Mein G’nack, das kost’ ja net viel! Aber Sie dabei, Duhrlaucht! Mar’ und Josef!“

„Aber haben Sie denn das Wetter nicht kommen sehen?“ fragte Gustl.

„Ich? No, da wär’ ich ein sauberer Jager, wenn ich mich net einmal auf ’n Wind versteh’n möcht’! Ja, aber wissen S’,“ wandte sich Pepperl an Lo’, welche die kochenden Eier überwachte, „gegen Mittag, wie’s so wetterig worden is, waren wir droben auf der Schneid’, wo’s von die Sebenberg ’nuntergeht ins Prantlkar, und gleich hab’ ich g’sagt: ,Duhrlaucht, jetzt müssen wir heim!’ Und durchs Prantlkar wären wir leicht zur Schutzhütten ’nunter’kommen bis auf ’n Abend. Aber der Herr Fürst hat positivi übern Sebensee heim wollen … no ja, und wie so gahlings der Nebel eing’fallen is, da sind wir dag’standen wie der Schuster, wenn er ein’ Kittel machen soll.“

Ettingen lachte.

„Ja, gelten S’, jetzt können S’ lachen. Aber da droben hat’s schiech ausg’schaut! Ich sag’ Ihnen, Fräul’n: aufg’schnauft hab’ ich, wie ich das gott’sliebe Licht’l von Ihrem Hütt’l g’sehen hab’!“

„Siehst du, Lo’!“ fuhr Gustl in heißer Erregung auf. „Siehst du, es hat geholfen! Ja, denken Sie nur, Pepperl … Lo’ hatte die Läden schon geschlossen und hat sie wieder aufgemacht, damit das Licht hinausleuchtet!“

„Fräulein?“ Ettingen blickte zu dem Mädchen auf, das am Tische den Thee bereitete. „Sie haben vermutet, daß wir kommen würden?“

„Ja. Ich hatte Ihren Schuß gehört.“

„Da müssen wir Ihnen doppelt dankbar sein!“ Er nahm ihre Hand und sah ihr in die Augen. „Wie wohlgeborgen müssen sich die Ihrigen fühlen in Ihrer Liebe, da Ihre Sorge schon so warm für fremde Menschen redet!“

Sie hielt seinen Blick aus und erwiderte lächelnd: „Fremde Menschen? Menschen, die man in Gefahr weiß? Die stehen uns doch immer nah’. Und Sie, Herr Fürst? Nach allem, was Sie mir von meinem Vater sagten? Nein! Sie sind kein Fremder für mich und die Meinen! Aber ...“ Aufatmend löste sie ihre Hand aus der seinen und ging zum Herd. „Haben Sie Erfolg auf der Jagd gehabt?“

Pepperl kicherte. „So, Duhrlaucht, jetzt können S’ Ihnen aber sauber schenieren vorm Fräul’n! Ja, was sagen S’, Fräul’n … auf fufz’g Schritt’ is ihm der Gamsbock dag’standen … und nobel hat er ihn g’fehlt! So ein Schütz wie der Herr Fürst! An was S’ da ’denkt haben, Duhrlaucht, das weiß der heilige Peterl droben … und der net g’wiß!“

„Ja, Pepperl,“ versicherte Ettingen mit herzlichem Lachen, „an Ihren Gemsbock hab’ ich nicht gedacht. Das stimmt!“

Der Thee duftete aus der Kanne, Lo’ brachte die in eine Serviette gehüllten Eier zum fertig gedeckten Tisch, und das Mahl konnte beginnen. Aber da ergab sich eine Schwierigkeit: vier Tischgäste und nur zwei Sessel! Pepperl zog für sich die Truhe zum Tisch, und auf ihr saß er so tief, daß er gerade noch mit dem Kinn über die Tischplatte reichte. Lolo wollte den Platz auf ihrem Sessel mit dem Bruder teilen, aber Gustl holte sich zwei große Holzscheite vom Herd, stellte das eine senkrecht, legte das andere quer darüber, und so hatte er den „schönsten Schaukelstuhl“, mit dem er freilich bei jeder leisen Bewegung umzukippen drohte. Diese glückliche Lösung der Platznot leitete den Schmaus mit Heiterkeit ein, und während draußen der Regen prasselte, der Donner krachte und der Sturmwind rüttelnd um die Holzwände fuhr, wurde im Schutze dieses traulichen Daches mit Lachen geplaudert und gespeist.


12.

Ein Glück war es, daß Loisli am Morgen frischen Vorrat an Butter und Ehrwalder Weizenbrot gebracht hatte, sonst würde sich wohl der Speiseschrank des kleinen Seehauses als zu arm erwiesen haben für den gesunden Appetit der beiden Jäger, die seit dem Frühstück um drei Uhr morgens keinen Bissen mehr

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