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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Eugenie John-Marlitt.
Mit bisher ungedruckten Briefen und Mitteilungen. Von Moritz Necker.

(Schluß.)


In den Jahren von 1853 bis 1863, welche Eugenie als Vorleserin der Fürstin teils in Oehringen und Friedrichsruhe, auf den Schlössern von deren Vater, teils in bayrischen Sommerfrischen, schließlich in München verbrachte, muß man die stille Bildungszeit ihres dichterischen Talentes erkennen. Da sammelte sie jene Kenntnisse von Welt und Menschen, von Adel und Bürgerschaft, von Städtern und Landvolk, von Gelehrten und Ungelehrten, die sie in ihren Erzählungen später verwertete. Mit ihrer Fürstin, von der sie die „Juno“ genannt ward – nicht darum, weil Eugenie von junonisch großer Gestalt gewesen wäre, sie war eher zierlich und klein als junonisch groß zu nennen; sondern der Familienname John wurde in den mythologischen verwandelt – mit der Fürstin gestaltete sich das Zusammenleben zur größten Vertraulichkeit. Die „Juno“ ward nicht bloß ihre Vorleserin, sondern auch ihr Sekretär, ihr Ratgeber und ihre Pflegerin, wenn sie krank war. Die Fürstin war es auch selbst, die sie zu litterarischem Schaffen ermunterte. Auf einen Zettel, der für eine Tombola bestimmt war, schrieb sie „für Juno, die sich Eugenie schreibt,“ folgende charakteristische Worte:

„Durch Erfahrung, Schweigen, Beobachten häufen sich Schätze im innersten Leben – Du bist reich – was aber hilft der Schatz im tiefen Schacht vergraben? Theile ihn mit der Welt – gib Form und Gestalt – es legte Dir die Muse liebevoll den Griffel in die Hand.“

Und einzig und allein durch einige Verse der Fürstin an ihre „Juno“ erhalten wir eine Andeutung von Liebesschmerzen, welche die Dichterin geplagt haben; denn sie selbst hat jede Spur verwischt, die auf herzliche Beziehungen zu dem einen oder dem anderen Mann schließen ließen. Auch ihren nächsten Anverwandten vertraute sie nichts dergleichen an; und diese waren zu zart, Bekenntnisse herauszulocken, die nicht freiwillig gemacht wurden. „Sie soll einige Wochen oder nur Tage mit einem Manne verlobt gewesen sein,“ schreibt uns ihre Schwägerin, „dessen Stellung und Namen ich nie erfahren; nur um ihren Geschwistern das Weiterstudieren zu ermöglichen, hat sie die Verlobung rückgängig gemacht. Ehe sie einem Manne, selbst dem geliebtesten, nur das kleinste äußere Zeichen ihrer Huld gegeben hätte, lieber wäre sie ins Wasser gegangen.“

Nach dem folgenden Gedicht der Fürstin muß man aber annehmen, daß Eugenie nicht ohne Schmerzen entsagte. Es ist aus Lauterbach bei Füßen im Königreich Bayern vom 20. Juli 1862 datiert und lautet:

„Was hoffst Du noch? Gieb Dich zufrieden.
Sind Lenz und Jugend Dir geschieden,
Darfst Du auf Wort und Schwur nicht bauen,
Darfst rückwärts nicht, mußt vorwärts schauen,
Und nah’n die Bilder früh’rer Tage,
Flieh’ ihren Zauber und beklage
Nicht Deiner Jugend, Deiner Liebe Grab
Entschlossen nimm den dornenvollen Stab,
Erklimme mutig, jedem Leid zum Hohn,
Den letzten steilen Pfad: ,Resignation’.“

Auf diese spärliche Andeutung bleibt unsere Neugier nach dem, wie man vermuten möchte, interessantesten Teil der Marlittschen Lebensgeschichte beschränkt. Die Romandichterin entbehrt in ihrem eigenen Leben eines Romans. Wenn man aber daran denkt, daß sie nach wenigen Jahren schon von der Gicht so gelähmt wurde, daß sie sich nicht mehr frei bewegen konnte, so muß man es als eine glückliche Fügung des Schicksals bezeichnen, daß sie unvermählt blieb. –

Die finanzielle Lage der Fürstin verschlimmerte sich von Jahr zu Jahr. Schon ihre Uebersiedlung nach München war eine Folge davon. In ihrem dortigen Palais in der Schellingstraße war ihr Personal vermindert worden. Sogar zwei liebenswürdige langjährige Gesellschaftsdamen mußte sie bei der dringend gewordenen Sparsamkeit entlassen; nur Eugenie, ihre Pflegetochter, hatte sie behalten. Das machte zwar am Hofe von Sondershausen keinen guten Eindruck, denn Fräulein John war eine Bürgerliche, und die Hofschranzen in der Heimat rächten sich an dieser Bevorzugung durch arge Verleumdungen des Fräuleins. Diese konnte sich in Zeiten der Verstimmung wohl sehr darüber aufregen; die Fürstin aber lachte dazu, denn sie wußte, was sie an ihrer „Juno“ hatte. Unter dem Druck der traurigen Familienerlebnisse war sie so krank geworden, daß sie längere Zeit geradezu geistesverwirrt war. Eugenie blieb bei ihr, pflegte sie zwei Jahre lang bei Tag und Nacht, folgte ihr in einsame Alpendörfer, wohin sie sich in ihrer Menschenscheu auch den Winter über geflüchtet hatte, und schließlich wurde sie bei dieser hingebungsvollen Pflege selbst krank. In früheren Jahren, in Oehringen, in Friedrichsruhe, war die „Juno“ die Vertraute aller Hausgenossen, weil sie der stärkste Geist und Wille unter ihnen war, und sich die Schwachen gern an sie anlehnten. Man schätzte ihre stets gleichmäßig gute Laune, ihre charaktervolle Verschwiegenheit, ihren Witz und feinen Takt, der in dem immerhin anspruchsvollen Getriebe des kleinen Hofes nötig war. „Sie war liebenswürdig, geistvoll, ganz besonders energisch bei neckischem Streit über Frauenrechte,“ teilt uns Carl von Lemcke mit, der sie 1859 bei Bodenstedts kennenlernte und mit ihr im Hause der Fürstin öfter zusammenkam; „sie war überhaupt recht stramm im Wesen und Auftreten, schwärmend für ihre Fürstin, die sie hatte für Musik ausbilden lassen.“ Nun bekam auch sie den Stich ins Altjüngferliche; sie wurde reizbar, zuweilen sogar heftig. Niemand aber erkannte den Grund davon in ihrer Ueberanstrengung, denn sie war zu stolz zur Klage. Man schob es auf ihre am Schreibtisch verbrachten Nachtstunden, denn sie hatte schon – von so vielen Seiten ermuntert – angefangen, sich als Erzählerin zu versuchen. Allerdings ohne Erfolg. Bodenstedt hatte sich einen Korb geholt, als er ein Manuskript Eugeniens an Jankes „Romanzeitung“ geschickt hatte, und es gelüstete ihn nicht nach neuen Körben. Natürlich förderte das auch nicht Eugeniens gute Laune, und sie lebte schon recht verstimmt in München, bis Anfang 1863 eine neue finanzielle Katastrophe in der fürstlichen Familie ihre Trennung von der geliebten Herrin unvermeidlich machte. Die Fürstin mußte ihren Haushalt noch mehr einschränken, und wenn Eugenie ihre eigene Zukunft sichern wollte, so war es höchste Zeit, sich anderwärts umzusehen.

Noch fühlte sie sich jung und elastisch genug, ein neues Leben anzufangen, mochte es als Gesangslehrerin oder als Schriftstellerin sein. Eine kleine Pension von seiten der Fürstin blieb ihr ja immer noch zugesichert. So trennte sie sich Ende März 1863 schweren Herzens von ihr, der sie so viel vom Besten zu verdanken hatte, was sie besaß, der sie aber auch die schönsten Jahre ihres Lebens in kindlicher Hingabe gewidmet hatte. Eugenie kehrte nach Arnstadt zurück, die Fürstin hat sie nie mehr wiedergesehen.

5.

Als Eugenie ihrem Bruder Alfred John in Arnstadt die erste Mitteilung ihres Entschlusses, sich von der Fürstin zu trennen, machte, da schrieb sie so kleinlaut, als wäre sie sich einer Schuld bewußt. So hatte sie es denn auch nicht weiter gebracht als so viele Frauenzimmer, die nicht heiraten: sie mußte schließlich Zuflucht zur Familie nehmen, ins Vaterhaus zurückkehren, aus dem sie einst mit so großen Versprechungen gegangen war.

Man muß sich diesen ganzen Stolz und Ehrgeiz Eugeniens vor Augen halten, um die tiefe Niedergeschlagenheit zu begreifen, in die sie nun verfallen war. Da aber hatte ihr der Bruder sofort geschrieben: „Ja, meine theure Jenny, endlich ist die Zeit gekommen, da ich Dir eine Stütze sein darf, leider ist’s mir nicht vergönnt, für Dich zu darben. Meine süße Jenny! Was Du vom Gnadenbrode fabelst, Kind, so versichere ich Dich, daß ich’s auf der Stelle und ohne das geringste Bedenken aus Deiner Hand nehmen würde, und ich bin ein Mann und habe auch ein verdammt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0186.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)