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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Hermann Sudermanns „Drei Reiherfedern“.

Von Rudolph Stratz. Mit Illustrationen von Ewald Thiel nach der Aufführung im „Deutschen Theater“ zu Berlin.


Lorbaß und die Begräbnisfrau.

Draußen auf seinem Landsitz Blankensee, an einem schwülen Sommertag des Jahres 1897 war es, daß mir Hermann Sudermann zuerst den vollständigen Plan seiner „Drei Reiherfedern“ erzählte. Von dem Viereck des Baumgartens, das wir im Gespräch immer wieder durchwandelten, schweifte der Blick über märkischen Föhrenwald, über märkischen Schilfsee und Sandboden, von denen auch bei tiefblauem Himmel eine leise, nüchterne Schwermut nie weicht, weithin bis zu den Grenzen des Flachlandes, wo am Horizont ferne, von Gewitterglut durchzitterte, bleifarbige, blaudunstige Nebeltöne zwischen Himmel und Erde schwebten.

Und ein ähnliches Bild, ein fernes, unbestimmtes Gebilde, stieg bei des Dichters Worten vor dem inneren Auge empor. Eine Luftspiegelung in endloser Weite wie ein Traum der Sehnsucht aus Wolkenballen sich zu Weibsgestalt formend und im Winde verwehend ...

Auf einer schaurigen Nebelinsel im Nordmeer hat Prinz Witte, der Held des Dramas, einem heiligen Reiher drei Federn geraubt, dem Gebote der „Begräbnisfrau“ gehorsam, die geheimnisvoll, ein Ueberbleibsel kaum überwundenen Heiden- und Hexentums und doch den Lehren christlicher Barmherzigkeit unterthan, im Sand der Ostseedünen haust und die vom Sturm ans Land gespülten Leichen zur letzten Ruhe bettet. Nun steht er als Sieger vor ihr und heischt die Erfüllung ihres Versprechens für seine That. Die graue Schattengestalt der Begräbnisfrau sieht lächelnd zu ihm auf. „Was wolltest du doch? War es nicht ein Weib?“ Der junge Recke aber verneint.

„... was ich fordere, ist das Weib, das eine!
Nach dem im Trinken meine Sehnsucht dürstet,
In dem ich selber, hochgefürstet,
Als Herold alles Großen mir erscheine!
- - - - - - - - - - - - - - - -
Dies Weib, dies Friedwerk, diese stille Welt,
In der verloren ich mich nie verlier’,
Wo selbst ein Unrecht noch sein Recht behält,
Mein Weib, das fordr’ ich nun von dir!“

Da verkündet ihm die Alte den Zauber, der „als Urkraft aus der Sonne Strahlenleib“ in den drei Reiherfedern eingekapselt liegt und die Gestalt nach ihres Herren Willen wechselt: verbrennt er die erste der Federn, so wird er im Dämmern das Bildnis des ersehnten Weibes schauen. Der Prinz stürzt auf das Herdfeuer der Hütte zu – trotz der Warnung seines Knechts, er schleudert die erste Feder in die Glut – und fern über dem Meer schwebt eine weibliche Riesengestalt in dunklen Umrissen dahin und versinkt im Abendgrauen. Und in seinem Ohr raunt die warnende Stimme der Begräbnisfrau:

„Die zweite der Federn – merk’ es dir gut!
Wird dich in Liebe mit ihr vereinen!
Verbrennst du sie einsam in schweigender Glut,
Muß sie nachtwandelnd vor dir erscheinen!
Und bis die dritte in Flammen verloht,
Reckst du nach ihr die sehnenden Hände:
Der dritten Vernichtung bringt ihr den Tod,
Drum hüte sie wohl und denk’ an das Ende!“

Die Luftspiegelung über den Wogen ist geschwunden. Prinz Witte aber ergreift frohgemut den Wanderstab und zieht ihr nach, einzig begleitet von seinem treuen Genossen Hans Lorbaß, der bis zur Rückkehr seines jugendlichen Fürsten bei der Begräbnisfrau gehaust, ihr die Gruben geschaufelt und in einer gespenstigen wilden Scene zu Beginn des 1. Aktes mit ihr halb lachend, halb grimmig an den offenen Gräbern gute Kameradschaft gehalten hat.

Hans Lorbaß, eine knorrige Prachtgestalt dieses dramatischen Gedichtes, ist mehr als blinder Vasall seines Herrn, denn er dient ihm und ist doch der Stärkere und weiß es. Wunschlos, wo jener in die Ferne sehnt, mit dem Leben abgeschlossen, wo jener die höchste Wonne der Welt sucht, bärentapfer alle Abenteuer seines jungen Prinzen mit durchfechtend und innerlich all den Dingen doch schon fern, ein riesenstarker, trotzig lachender Ahasver, den kein Glück und Unglück mehr betrüben kann als das seines Herrn, so schreitet er schwergerüstet hinter ihm drein wie die That hinter dem irrenden Gedanken.

Jetzt eben, im 2. Akt, rettet er ihn vor dem sicheren Tode. Auf seiner Wanderung gelangt Prinz Witte in die Hauptstadt der schönen, sanften Königinwitwe von Samland, die, um dem Reiche einen neuen Herrn zu geben, den Fürsten heiraten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0121.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2020)