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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

und Schläfen zitterten gleich zartem Goldgespinst – wie entzückend das anzusehen war!

Sie hatte die letzten Wassertropfen über den Epheu gesprengt und stellte die Kanne nieder, um einige der langen Grasschmehlen zu brechen, die bei der Hecke wuchsen. Achtsam zog sie die zarten Halme durch die Finger, um sie geschmeidig zu machen, und begann mit ihnen die herabhängenden Epheuranken an der Hüttenwand aufzubinden.

„Wie gut Sie das verstehen!“ sagte Ettingen. „Als ob Sie eine gelernte Gärtnerin wären!“

„Ach, nein! Meine Gärtnerkünste sind recht bescheiden. Zu Hause, in unserem Gemüsegärtchen, da ist mir die Mutter bei weitem über. Aber hier, was der kleine Garten da verlangt, das hab’ ich gelernt in sieben Jahren. Ja, das versteh’ ich.“ So plauderte sie, einfach und ruhig, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen – als spräche sie zu einem, den sie lange kannte, oder als läge es nicht in ihrem Wesen, Scheu vor einem Fremden zu empfinden. „Und sehr viele Mühe verlangen diese Beete gar nicht. Das hier sind ja keine verzärtelten Gartenpflänzchen. Das sind kräftige, dauerhafte Bergblumen! Nur der Epheu da … den haben wir aus dem tieferen Wald heraufgebracht … der hält im Hochsommer die Hitze nicht gut aus und will immer Wasser haben. Anfangs glaubten wir gar nicht, daß er durchzubringen wäre. Erst seit drei Jahren ist er so hübsch und kräftig in die Höhe gegangen und hat diese großen vollen Blätter bekommen. Nicht wahr … wie dieses tiefe saftige Grün mit dem rötlichen Holzton der Balken warm zusammenstimmt?“

Sie trat ein paar Schritte zurück, wie um die malerische Harmonie dieser leuchtenden Farben besser schauen und genießen zu können.

„Sie sind Künstlerin, Fräulein?“

„Ich? Künstlerin?“ sagte sie, fast erschrocken. Sie schüttelte den Kopf, ein leiser Seufzer schwellte ihre Brust, und schweigend nahm sie die Arbeit wieder auf.

Ettingen saß zu entfernt, um sehen zu können, daß ihr die Hände zitterten. „Verzeihen Sie meine Frage,“ sagte er. „Aber sie kam mir so auf die Zunge … nicht nur, weil Ihre letzten Worte mich an die Sprache erinnerten, wie ich sie manchmal habe von Malern reden hören … auch weil der erste Eindruck, den dieses entzückende Flecklein Erde mit seiner blühenden Schönheit auf mich machte, gleich den Gedanken in mir weckte: das kann nur ein Künstler geschaffen haben!“

Der stille Ernst ihrer Züge wandelte sich in sonniges Lächeln, und so leise, daß es Ettingen kaum noch hören konnte, fragte sie: „Weshalb glauben Sie das?“

„Dieser wunderbare Baum da? Steht er denn nicht schon ein paar hundert Jahre hier? Und der schöne Bergsee dort unten, dieses große grüne Märchenauge, hat wohl im Laufe der Zeiten viele, viele Besucher aus dem Thal herausgelockt. Wie mancher von ihnen mag schon im Zufall seiner Bergfahrt diesen Baum gefunden haben? Und da blieb wohl jeder eine Minute stehen, betrachtete den Baum und schüttelte den Kopf, indem er dachte: Merkwürdig, was doch für sonderbare Bäume wachsen können! Aber dann kam einmal ein anderer … keiner mit Alltagsgedanken unter der Stirn und mit landläufigen Gefühlen im Herzen … sondern einer mit weicher träumerischer Künstlerseele, die sich von aller Stille der Natur um so inniger angezogen fühlt, je unbehaglicher ihr der Lärm des Marktes ist. Der sah den Baum … und da muß er sich in seiner bilderschauenden Art doch gleich gedacht haben: Wie eine Harfe! Und diesen Gedanken … ich glaube wenigstens, es müßte so sein, daß sich in einem Künstlerkopfe der erste Einfall gleich weitergestaltet … diesen Gedanken spann er fort: Eine Harfe soll tönen, ich will ihr Stimme geben! Es mag ja sein, daß es zuerst nur eine heitere, naive Künstlerlaune war, vielleicht nur eine phantastische Spielerei, welche die sieben Glocken dort hinaufhängte in die Wipfel. Dann aber, als er hier im Schatten saß, an einem Tag wie heute … als über ihm die Zweige der grünen Harfe rauschten und leis und märchenhaft die Glocken klangen … wie schöne und reine Künstlerträume mögen da in seinem Herzen erwacht sein, schnell reifend in der Stille, die ihn umgab, ins Große wachsend beim Anblick dieser Steinriesen dort oben, beim Anblick dieser ganzen herrlichen Natur! Wie selbstverständlich, daß er denken mußte: Hier möchte ich Tage und Wochen bleiben, hier träumen und schaffen, hier möchte ich wohnen, nur mir gehören und die Welt vergessen! So baute er sich diese Hütte … und da gefiel ihm der kahle Grund nicht mehr, auf dem sie stand … er hatte Augen, die nach blühender Farbe dürsteten, und muß wohl ein großer Freund der wilden Bergblumen gewesen sein … und so begann er den Schmuck dieser Beete zu sammeln …“

„Nein, das kann man nicht so erraten!“ unterbrach sie ihn plötzlich. Sie hatte längst schon in der Arbeit innegehalten. Mit der einen Hand an die Hüttenwand gestützt, so stand sie in der leuchtenden Sonne und schaute zu ihm hinüber mit einem Blick, dessen Glanz ihm deutlich verriet, daß seine Worte ihr eine Freude bereitet hatten. „Jemand muß Ihnen das erzählt haben! Draußen in der Leutasch! Oder einer von den Jägern? Sagen Sie mir’s, wer hat Ihnen das erzählt?“

„Niemand, Fräulein! Das alles hab’ ich mir so gedacht, vorhin, als ich da draußen stand und über den Zaun hineinschaute in dieses blühende Idyll. Und wirklich? Ich habe erraten, wie es war?“

„Ja! So war es!“ Langsam kam sie einige Schritte näher. Aber sie sah ihn nicht mehr an, während sie sprach. Ihre Augen glitten über die Wände der Hütte, über die Blumen hin und hinaus zu den Wipfeln des klingenden Baumes. „So war es! So hat mein Vater den Baum gefunden. So hat er die Hütte gebaut. Aber das mit den Glocken dort oben, nein, das haben Sie nicht erraten. Das war keine Spielerei, keine Künstlerlaune! Das war eine Freude, die seine Liebe sich ausdachte … für mich! Ich war ja damals noch ein Kind! Aber der Baum ist mir heute noch lieb … noch lieber als damals! Wenn er so klingt wie jetzt … das erzählt mir –“

Sie verstummte, und schweigend saß Ettingen in ihren Anblick versunken. Wie schön sie war! Und wie viel rührend Kindliches redete aus der still versunkenen Art, mit der sie so regungslos zwischen all den blühenden Blumen stand und mit verträumtem Lächeln hinaufblickte zu den leis klingenden Wipfeln!

Plötzlich erwachte sie aus ihrem Schauen und schien sich zu erinnern, daß sie nicht allein war. Langsam strich sie mit der Hand über die Stirne. Dann nickte sie ihm zu, mit ihrem ernsten Lächeln, und sagte: „Aber alles andere? Ja! Wie gut Sie das erraten haben! Daß dieser Platz ihm lieb war wie kein anderer auf der Welt … weil es so schön ist hier, und so weit von allen Menschen. Und wie gerne er hier immer saß und träumte! Ja! Das Beste, was er geschaffen, hat er hier gefunden! Und er war ein Künstler … wenn das auch wenige nur gewußt haben! Er war ein Künstler!“

Wie sie das sagte! Ein Frommer, in dessen Seele der reine, lautere Gottesglaube eingewachsen ist mit tausend Wurzeln, kann nicht anders sagen: „Ich glaube an Gott, und daß er gut ist und groß!“ Sie hatte sich gebückt und eine der süß duftenden Brunellen gebrochen, die sie wie küssend mit den Lippen streifte.

„Wie gut erst müßten Sie von ihm denken, wenn Sie sehen könnten, was er geschaffen hat. Ich glaube, Sie hätten ihn verstanden! Sein bestes, das war seine Liebe zur Natur, und wie er sie kannte, und wie er sie zu deuten wußte! Und das hätten Sie ihm nachempfunden. Ich weiß es, denn Sie lieben die Natur und verstehen sie auch! Ja! Das hab’ ich Ihnen gleich angesehen, schon neulich, als ich Sie da draußen traf, im Tillfußer Wald! Der Platz war es, den Sie sich ausgesucht hatten! Und da hab’ ich mir gleich gedacht: Der weiß, was es da zu sehen und zu hören giebt! Sie werden sich meiner nicht mehr erinnern, ich bin ja auch nur so an Ihnen vorbeigeritten …“

Sie brach ab und vergrub die Blume in ihr Haar.

Ettingen nickte nur. Er schien sich anderes nicht zu wünschen, als so schweigend zu sitzen und sie nur immer anzusehen, wie sie so ruhig in der Sonne stand, und ihr nur immer zu lauschen, wie sie so vor sich hin plauderte, als spräche sie gar nicht mit ihm, sondern mit sich selbst.

Da klang vom Gehänge des nahen Latschenfeldes herauf der helle Juchzer einer Knabenstimme.

Sie blickte über den Zaun hinunter, antwortete mit einem klingenden Jodelruf und wandte sich lächelnd zu Ettingen: „Da kommt mein kleiner Küchenbote, der für mich sorgt wie die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0075.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2023)