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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

um das Doppelte, u. a. auch durch die stimmungsvollen „Heidebilder“ vermehrte zweite Auflage im Jahr 1844 bei Cotta erschien, fand ihr Talent die allgemeine Beachtung.

Als Levin Schückings Mutter gestorben war, nahm sich Annette liebevoll des jungen reichbegabten Mannes an, der in Münster das Gymnasium besuchte und dann in München studierte, während sie, nach ihrem eigenen Ausdruck, Mutterstelle an ihm vertrat. Die Seelenfreundschaft, welche beide verband und welche das alternde Mädchen für eine Weile in schmerzliche Herzenskämpfe verstrickte, wirkte fördernd auf Beider Talent. In treuer Freundschaft hielt sie zu ihm, bis Schückings veränderte Geistesrichtung zum vollen Bruch führte.

Ein besonders inniges Freundschaftsband umschloß sie mit der Familie des erblindeten Professors Bernhard Schlüter in Münster. Hier hatten sich Gemüter gefunden und verbunden, „welche das Gewöhnlichste wie das Tiefste und Höchste, was ein reingestimmtes, natürliches und gottesfürchtiges Menschenherz bewegen kann, mit einander empfanden und austauschten.“ Liebe Freundinnen wurden ihr Henriette von Hohenhausen und Amalie Hassenpflug, die Tochter des bekannten kurhessischen Ministers. Auch die Schriftstellerin Adele Schopenhauer in Weimar, die Schwester des Philosophen, gehörte in diesen Kreis; sie weilte längere Zeit im Rüschhaus zu Besuch.

Aus dieser Zeit des Rüschhauser Aufenthaltes stammt auch das Bild der Dichterin im 32. Lebensjahre. Man rühmte an ihrem durch geistigten Gesicht eine hohe Stirn und das tiefe, klare Blau ihrer großen Augen.

Vom Rüschhaus reiste Annette 1835 mit ihrer Mutter nach Eppishausen im Thurgau. Das Eppishauser Schloß bewohnte die jetzt an den Freiherrn von Laßberg verheiratete ältere Schwester der Dichterin. Nach Jahresfrist kehrte Annette jedoch wieder allein zurück in ihr geliebtes Münsterland. Es gefiel ihr wenig in der Fremde. Wohl war die Lage des Thurgauer Schlosses eine herrliche, voll ungeahnter Großartigkeit der Natur, im Angesicht der majestätischen Schweizerberge, aber der Abschied von ihrer Heimat war ein zu jäher, zu unvermittelter gewesen. Dazu kam der Mangel höherer geistiger Anregung, wie sie ihrem Geschmack entsprach. Ihr Schwager, der Freiherr von Laßberg, war freilich ein hervorragender Gelehrter, allen Studien zur Erforschung der altdeutschen Litteratur ein begeisterter Förderer, aber seine geistigen Neigungen hatten wenig Berührungspunkte mit den ihrigen. Vor allem aber war es das Heimweh nach den heimischen Verhältnissen, was ihr Gemüt hier bedrückte. Dennoch hatte sie das Schicksal, die letzten Jahre ihres Lebens wiederum in der Fremde verbringen zu müssen und ihr Grab doch nicht, wie sie in manchem wehmütigen Liede erfleht, unter den Eichen der geliebten Heimat finden zu können.

„Wer eine ernste Fahrt beginnt,
Die Mut bedarf und frischen Wind,
Er schaut verlangend in die Weite
Nach eines treuen Auges Brand,
Nach einem warmen Druck der Hand,
Nach einem Wort, das ihn geleite.“

Schwer ward Annetten wieder der Abschied vom Rüschhaus, vom Münsterland, seinen Heiden, Weihern und Hügeln; schwer trennte sie sich von all ihren Lieben, von all dem Liebgewordenen. Sie mochte wohl ahnen, wie bedenklich es mit ihrem Gesundheitszustande aussah; sie hatte auch Angst vor dem Heimweh, das sie damals in Eppishausen so schwer heimgesucht hatte. „Indes,“ schreibt sie vor ihrer Abreise an Schlüter, „werde ich doch keine Viertelstunde allein sein können, ohne daß meine Gedanken im Rüschhaus, Hülshoff, Münster wären.“

Der Eingang zum Schloß in Meersburg.

Es war im Herbste des Jahres 1841, da sie in Begleitung ihrer Schwester nach Schloß Meersburg an den Bodensee reiste.

Wie ein mahnendes Denkmal lang’ vergangener Zeit schaut diese hohe Burg am Schwäbischen Meer in altehrwürdigem Kleid weit hinaus über die Flut und hinüber zu der beschneiten Kette der Alpen; drüben am andern Ufer ragen die Türme des Konstanzer Münsters über den Bodanrück und vor diesem im See schimmert in ihrem freundlichen Schmuck die herrliche Mainau! An ein hängend Schwalbennest gemahnt neben dem alten Schloß die Stadt Meersburg mit ihren pittoresken Felsen, den aufsteigenden Straßen, den rebbelaubten Hügeln. Hoch hebt sich der viereckige Turm der Kirche empor, weiter im Osten ragt das fürstbischöfliche Schloß, und in langer Front grüßen des Seminares Fensterreihen.

Und dort die Zugbrücke, und der gotische Thorbogen mit dem Bild des Gekreuzigten daneben lädt zum Eintritt in einen köstlichen Burgfrieden ein, zur entzückenden Schau auf die herrliche Welt, die sich großartig weithin ausbreitet!

Das war die neue Heimat Annettens, und wie diese Natur und Umgebung auf sie einwirkten, davon geben die besten ihrer Geistesprodukte Zeugnis. Ein gut Teil ihrer Gedichte hat ja seine Entstehung in dem Zimmer gefunden, dessen Fenster aus dem untern runden Turm nach dem See hinaus gehen und das ihr nebst den anstoßenden Gemächern zur Wohnung diente.

„Ich steh’ auf hohem Balkon am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und laß gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare
O wilder Geselle, o toller Fant,
Ich möchte dich kräftig umschlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
Auf Tod und Leben dann ringen!“

„Vollkommen einsam konnte sie hier sein,“ sagt Johannes Claassen in der Biographie Annettens, „kaum das Wellengeplätscher des Sees zu ihren Füßen ließ sich hören; auf dem Balkon davor aber stand sie oft und lange – das Land Westfalen mit der Seele suchend.“

„Der Welle ducken ward ein lächelnd Winken,
An jedem Blatte sah ich Tropfen blinken,
Und jeder Tropfen schien ein Kämmerlein,
Drin flimmerte der Heimatlampe Schein.“

Wie sehr auch der Freiherr von Laßberg sich liebevoll und teilnehmend um seine Schwägerin bemühte, durch seine reichen Sammlungen und die großartige Bibliothek ihr Unterhaltung zu verschaffen, wie sehr auch die Dichterin oft genug geistvolle Unterredungen mit bedeutenden Männern damaliger Zeit, Uhland, Gustav Schwab, Wessenberg, die zu Gast ins Schloß kamen, pflegen konnte: sie suchte doch immer wieder mit großer Vorliebe ihr Turmzimmer auf, den nahen Wald, den einsamen Weg am Seegestade. –

Noch zweimal kam Annette in ihr geliebtes Westfalen, doch immer wieder fühlte sie die Notwendigkeit, ihrer Gesundheit halber die mildere Luft des Südens aufzusuchen. Im Jahre 1843 hatte sie sich in Meersburg ein eigenes Anwesen gekauft, sie hatte es um billigen Preis ersteigert und mit dem Honorar bezahlt, das ihr die Cottasche Buchhandlung für die „Gedichte“ ausgehändigt. Es war das „Fürstenhäuschen“ hoch droben auf einem Rebhügel beim Schloß gelegen, weit über Stadt, Burg, See und Berge hinwegschauend auf den von ihr besungenen Säntis.

Dort hat auch die Zeichnerin unsrer Bilder manch eine Stunde gesessen und mit Bewilligung der Nichten Annettens, der beiden Fräulein von Laßberg, die Kopien ihrer Bilder angefertigt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_030.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2023)