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heraustreiben, und viele Damen teilen die Neigung für die „unbestimmten“, bräunlichen und grauen Töne. Ja, man kann sagen, daß Grau heutzutage eine Hauptmodefarbe geworden ist. Mögen die Verehrer der Farbe noch so sehr gegen seine trübe Unschönheit eifern, wie noch jüngst J. v. Falke in einem sehr hübschen Aufsatz der „Frankfurter Zeitung“: das graue Reisekleid, der Regenmantel, das Herbstkostüm von derselben Farbe sind zu praktisch, um wieder abgelegt zu werden. Sonne, Regen und Staub vermögen ihnen nichts anzuhaben, und das so sicher vorausgesetzte „Schlecht stehen“ läßt sich in solcher Allgemeinheit nicht behaupten. Zwar sagt sogar Papst Leo XIII. gelegentlich der Vermählung seiner Nichte Marie Pecci mit dem Grafen Moroni, wo Se. Heiligkeit seinen Sekretär beauftragte, sich um die Toiletten der Braut zu kümmern: „Der Anzug muß weiß, schwarz oder blau sein, das sind die Farben, welche junge Personen am besten kleiden. Das Grau und Braun steht nur alten Frauen gut, junge sollten es daher nicht wählen.“ Da aber diese päpstlichen Worte nicht ex cathedra gesprochen sind, so darf bescheidentlich dagegen erinnert werden, daß die sogenannten neutralen Töne, grau in allen Mischungen, bräunlich, sand- und haselnußfarben, jungen Mädchen und Frauen von rosigem Teint mit lichten oder dunkeln Haaren vorzüglich stehen. Nur blasse und gelbliche Gesichter thun gut, sie zu vermeiden, weil ihr Teint und die Kleiderfarbe zu viel Gemeinsames haben. Für sie ist das kräftige Braun, das tiefe Rot trotz der Lehre von den Komplementärfarben, welche immer wieder in populären Aufsätzen recht unglücklich auf die weibliche Kleidung angewendet wird. „Langes Sehen auf Grün erzeugt hinterher den Eindruck von Rot.“ Also müßte eine Dame von gelber Gesichtsfarbe dunkelgrüne Kleider wählen, um dadurch rosiger auszusehen. Wie aber würde sich das in Wirklichkeit machen? . . Sie wird jedenfalls besser thun, sich davor zu hüten, und ein tiefes Braun oder Rot wählen. Mädchen mit starker Wangenröte aber werden sich gewiß nicht lebhaft blau kleiden, um dadurch gelblicher auszusehen, sondern ein dunkles, mit Grau gebrochenes Grün am vorteilhaftesten neben Schwarz, Weiß und Grau finden.

Hellbraun ist eine gefährliche Farbe, kommt auch als Modefarbe immer schnell wieder ab, weil die Nuancen: tabak, havanna etc. nur ganz wenigen gut stehen. In Amerika war 1893 die Flohfarbe (flea color) die größte Neuigkeit. Die dortigen Damen trugen flohbraune Kleider und Mäntel, flohfarbene Oberkleider und die Kinder flohbraune Mäntelchen. Diese Idee ist indes keineswegs amerikanisch, sondern es war der unglückliche König Ludwig XVI., welcher dem glänzenden Kastanienbraun, das in Frankreich unter dem Namen flohbraun (puce) bekannt ist, diesen Namen gegeben hat. Als eines Tages Marie Antoinette in einem so gefärbten Kleide erschien, bemerkte der König: „Diese Flohfarbe kleidet ganz bewundernswert.“ Und die Hofdamen, die dies hörten, waren sofort Feuer und Flamme für diesen neuen Ausdruck. Sie eilten unverzüglich zu ihren Kleiderlieferanten, um sich ebensolche flohfarbene Kleider, wie das der Königin, zu bestellen. Später wurde eine Farbe double-puce erfunden und blieb eine Saison lang in allgemeiner Gunst.

Bedeutend länger hielt sich in Wien das Kaiseraugenblau, eine Farbe, die genau der der Augen Kaiser Josefs II. entsprach.

Aber nicht nur die Bewunderung großer Männer, die unter anderem das Tegetthoffblau und später, in den siebziger Jahren, das Bismarckbraun geschaffen hat, sondern auch die Begeisterung für Aufsehen erregende Personen ist bereits zur Schöpferin von Modefarben geworden. Wir erinnern hier nur an das schwarz-weiß karrierte, nach der Tänzerin Pepita benannte, noch heute beliebte Gewebe, sowie an die in verschiedenen Farben schillernden Stoffe, welche der Enthusiasmus für die amerikanische Schlangentänzerin Loïe Fuller aufgebracht hat. Ueberhaupt wird jede Farbe, kurz alles, was Loïe Fuller wählt, modern, und da dies schon ins vierte Jahr währt, so kann man ohne weiteres sagen, daß selten eine einzelne Person einen so großen Einfluß auf die Entwicklung der Modefarben ausgeübt hat als diese Amerikanerin. Allerdings blicken in betreff dieser Farben nicht alle Pariserinnen auf Loïe Fuller, sondern erwarten vielmehr mit Spannung das jährlich etwa sechsmal erscheinende Album mit der Kollektion neuer Farbennuancen, von denen dann einige auserwählt werden, um im Reiche der Mode mehr oder minder lange zu herrschen.

Im Jahre 1893 gab es zur Herbstsaison nicht weniger als dreihundert solcher Nuancen und dabei waren, wie es in einem Pariser Berichte hieß, noch einige Nachzügler in Aussicht gestellt. Selbstverständlich mußten all diese Nuancen Namen besitzen, und es mag keine Kleinigkeit gewesen sein, dieselben zu erfinden. Uebrigens haben sich die maßgebenden Faktoren die Sache mitunter sehr leicht gemacht und drei reizenden Lila-Nuancen z. B. die willkürlichen Bezeichnungen „Sainte Therese“, „Sainte Marthe“ und „Marie Madeleine“ gegeben, während eine geschmacklose blaue Farbe „Sarah Bernhardt“ zubenannt wurde. Ein mildes Blaugrün hieß „Das Auge Christi“ und ein klares, für Ballkleider bestimmtes Grün „Heuschreck“. Vier grauen Schattierungen gab man die Namen „Dampf“, „Melinit“, „Dynamit“ und – „Tau“ und ein rötliches Braun wurde gar „Moïse“ („Moses“) genannt.

Wie geht es nun bei Erschaffung solcher Modefarben eigentlich zu? Sehr einfach: sie werden von irgend einem Geschäfte, dessen stiller Teilhaber ein Modereporter ist, eingeführt und ihr Erfolg ist gemacht, wenn sich irgend eine Modedame findet, der eine der betreffenden Farben gut steht. Ihrem Beispiel folgen dann die andern nach.

Manchmal mißglückt aber auch eine solche Spekulation, wie z. B. die vor zwei Jahren mit so großer Reklame bewerkstelligte Einführung neuer greller Anilinfarben: Rot, Blau und Violett, welche nach kurzer Existenz in den Ladenfenstern stillschweigend zu Grabe, d. h. zum Umfärben, gegangen sind. Die Damenwelt erkannte bald, wie schlecht diese starken Farben zu Gesichte stehen, und kaufte sie nicht, trotz alles Anpreisens.

Ein Beispiel von dem Mißerfolg einer an sich hübschen, aber zu billigen, also gleich für alle erreichbaren Modefarbe lieferte vor einigen Jahren das Grün auf Schwarz. In den Auslagen standen mit Frühlingsanfang als „große Neuheit“ schwarze Spitzen- oder Strohhüte, deren Kopf ein Kranz von maigrünen Waldblättern, Hopfenranken u. dergl. umgab. Das war einmal etwas ganz Apartes! Das Auszeichnungsbedürfnis kaufte sofort, aber dem Nachahmungstrieb war die Sache zu leicht gemacht – in Zeit von vier Wochen saßen die grünen Kränze auf einer solchen Menge selbstaufgesteckter schwarzer billiger Hüte, daß das Auszeichnungs-Bedürfnis beschämt die Seinigen zum Umändern schickte. Es triumphierten die Selbständigen, die nicht Schwarz-Grün gekauft hatten und das schnelle Ende dieser Mode voraussahen, welche dann auch vor Mitte Mai bereits abgethan und aus den eleganten Schaufenstern gänzlich verschwunden war.

Solcher Selbständigen giebt es heute in Paris und New-York noch mehr als in den deutschen Hauptstädten, aber auch hier ist die Zahl derer in stetem Wachstum, welche eine neue Modefarbe nicht blind annehmen, sondern sich die ihrige nach den Bedingungen ihrer Erscheinung auswählen. Die „launische Göttin Mode“ herrscht nur dort tyrannisch, wo man sich ihr sklavisch unterwirft. Schönheitssinn und ästhetische Bildung wissen stets, auch mit bescheidenen Mitteln, aus der großen Allgemeinheit das Besondere, Reizvolle auszuwählen und ihm den Stempel des persönlichen guten Geschmackes aufzuprägen. Eine unendliche Mannigfaltigkeit muß die Folge davon sein, und wenn diese einmal die „neue Mode“ jedes Jahres berichtigt und variiert, dann ist die goldene Zeit für Modeberichterstatter gekommen.

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Blätter und Blüten.


Ein unbeachteter Uebelthäter. Zu den größten Fortschritten unserer Zeit muß sicher derjenige gerechnet werden, den wir in der Gesundheitspflege gemacht haben. Früher beschränkte man sich darauf, die Krankheiten mit mehr oder weniger Erfolg zu bekämpfen, jetzt suchen wir ihnen vorzubeugen, und das hat bereits die segensreichsten Folgen gehabt. Trotzdem man nun nach dieser Richtung hin bisweilen des Guten zu viel thut und gar zu vorsichtig ist, hat man doch einem Uebelthäter noch keine Beachtung geschenkt, der das ärgste Mißtrauen verdient, einem Möbelstück, das wir arglos in unsere Wohn- und Schlafstuben stellen, obwohl sein Inhalt ein ganz bedenklicher ist. Ich meine den Kleiderschrank. Nicht bloß hängen wir in unseren Kleidern den mikrobendurchsetzten Staub der Straße in unseren Zimmern auf, wir konservieren darin auch geradezu die Krankheitsstoffe, die bisweilen durch die Ausatmung der Haut aus unserem Körper gebracht werden. Niemand wird es einfallen, schmutzige Wäsche in der Stube, in der man wohnt oder schläft, aufzustapein, und doch liegt der Fall bei den Kleidern ja nicht viel anders. Um einen idealen Zustand in diesem Sinne herbeizuführen, müßten wir unsere Kleider nicht bloß ausklopfen und ausbürsten – das ist immerhin

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