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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Haltung von Damen sah sie mit vollkommener Gleichgültigkeit hinweg. Sie ging weiter und traf auf René Flemming. Magda sah es und ihr fiel das Gerede der Malschülerinnen ein. Sie fühlte einen großen, ängstlichen Schmerz in sich aufwallen – die Eifersucht.

„Guten Abend, Herr Hofkapellmeister,“ sagte Lilly laut. Und zwischen den Zähnen, leise, aber das Gesicht strahlend zu ihm erhoben, flüsterte sie: „Ist diese Komödie nicht unmenschlich amüsant?“

Er küßte ihr die Hand.

Magda sah mit klopfendem Herzen zu. Behielt er diese Hand nicht unnötig lange zwischen seinen Fingern? Suchte sein Auge nicht mit einem besonderen Blick dies lachende Gesicht?

„Nein,“ dachte sie gequält, „ich kann die Heimlichkeit nicht mehr ertragen. Diese Lilly würde nicht wagen, so zu ihm aufzublicken, wenn sie wüßte, daß ich seine Braut bin.“

Wie konnte sie ahnen, daß Lilly, die den ganzen Abend vorsichtig sich von Flemming fern hielt, gerade ihretwegen, für sie zum Schauspiel, jetzt einen Augenblick lang die Intimität mit ihm sichtbar werden ließ! Denn irgend jemand hatte ihr erzählt, daß René Flemming manchmal mit diesem Fräulein Ruhland spazieren gehe oder gegangen sei.

„Nun, Du gefeierter Mann,“ rief Wallwitz hinüber, „man sieht Dich ja gar nicht! Komm und begrüße die Damen!“

Lilly nickte Flemming noch zu und drängte sich weiter.

„Ich habe schon das Vergnügen gehabt, die Damen zu begrüßen,“ sagte René, indem er herzutrat. In seinem Ton lag beinahe Feindseligkeit und sein Gesicht war verfinstert.

„Auf großen Gesellschaften ist er immer schlechter Laune,“ bemerkte der Intendant und klopfte ihn auf die Schulter.

„O, vorhin war er ganz umgänglich,“ rief Sibylle.

„Freilich bin ich schlechter Laune,“ sprach er, nervös die Handschuhe fester zwischen den Klapphut zwängend, „es ist das dritte Mal binnen vierzehn Tagen, daß man mich zum Opfertier der Geselligkeit macht.“

„Du,“ sagte Wallwitz lachend, „laß nicht an uns aus, was die Klavierspielerei und eine gewisse hohe Dame wahrscheinlich verschuldet haben! Auf unserem Ball warst Du sehr vergnügt.“

„Was hat ihn plötzlich so verstimmt?“ fragte sich Magda gequält.

„Ich gehe. Und Du, Wallwitz? Sehen wir uns noch?“ fragte er.

„Nein,“ dachte Magda verzweifelt, „so kann und will ich nicht den Abend enden lassen.“

Mit großer Kühnheit, obwohl ihre Stimme ein wenig bebte, sagte sie: „Es ist sehr lange her, daß Sie Nicolai nicht besuchten. Er klagte darüber. Da Sie der einzige sind, der etwas Sonnenschein in sein Leben bringt, werden Sie seine Hoffnung, Sie bald zu sehen, nicht zu unbescheiden finden.“

René verstand, was sie meinte. Seine Stirn war feucht, er vermied Magdas Blick.

„Wenn meine Zeit es gestattet, komme ich. Aber wahrscheinlich nicht vor der ‚Zenobia‘,“ sprach er.

„Dies erinnert mich, wie lange ich nicht persönlich nach Ihrem armen lieben Papa, meinem früheren hochgeehrten Chef, sah,“ bemerkte Rechenbach.

„Meine Damen! Herr Intendant,“ sagte René und verbeugte sich wie vor ganz Fremden oder vor Ihrer Hoheit.

Er trat zurück und verschwand.

Magda mußte sprechen, dem Intendanten von ihrem Vater erzählen, dann mit noch gleichgültigeren Menschen plaudern und lachen, dann Hortense sagen, als diese ihr begegnete, daß sie sich vortrefflich unterhalten habe.

Hortense zwar sah sie zweifelnd an. Das abgespannte Gesicht mit dem gezwungenen Lächeln sah ihr nicht danach aus, als sei es von fröhlichen Eindrücken belebt.

„Ich bin es nur nicht mehr gewohnt – die vielen Menschen und das lange Herumstehen,“ sagte Magda auf den forschenden Blick hin.

Und dann suchte sie die Garderobe. Aber auf dem Wege dahin hing sich ihr Sibylle Lenzow wieder in den Arm.

„Sag’ mir offen, aber ganz offen,“ fragte sie, „wie hat Dir Walfried gefallen?“

Magda wußte im Augenblick gar nicht mehr, daß der Lieutenant von Wallwitz diesen Vornamen trage.

„Wer?“

„Na – er!“

„Er hat mir einen sehr angenehmen Eindruck gemacht, er scheint ernst und energisch,“ sagte Magda mit Ueberzeugung. Jede andere Ansicht hätte Sibylle ihr auch tödlich übelgenommen.

Nur angenehm!“ rief Sibylle. „Er ist fabelhaft bedeutend. Er wird eine enorme Carriere machen. – Ach Gott, wenn Tante nur ein Einsehen hat.“

Auf diese geheimnisvolle Andeutung erwartete Sibylle Fragen und war bereit, nach einem Schwur des Schweigens, Magda alles anzuvertrauen. Aber Magda war’s nicht nach Fragen zu Mute.

Sie fuhr mit ihren Enttäuschungen nach Hause und mochte zusehen, wie sie morgen sagen wollte: es war sehr schön.

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Wenn in Leopoldsburg ein Gerücht umging, brauchte es keine acht Tage, um alle Kreise zu durchsickern. So hörte auch Hortense von Eschen bald, daß Magda Ruhland und René Flemming zusammen genannt wurden, weil man sie einigemal mitsammen hatte spazieren gehen sehen. Es war an einem Theeabend der Herzogin, daß Hortense davon erfuhr.

Bei der hohen Dame wurde in aller Liebe und Güte recht viel geklatscht. Das Interesse am Seelenheil der Unterthanen war so lebendig, die Furcht stets wach, daß der eine oder die andere auf einen Abweg geraten oder nur das Decorum verletzen möge. Die Personalkenntnis ging bis auf die Hoflieferanten und letzten Beamten hinab.

„Ich höre, meine liebe Eschen,“ sagte die Herzogin, „daß unser Hofkapellmeister – er ist ja wohl Ihr besonderer Schützling – sich mit unserer armen lieben Magda Ruhland verloben wird, oder daß die Leute glauben, er habe diese Absicht. Wissen Sie etwas davon?“

Hortense erschrak und beschloß augenblicklich, daß die beiden dem heimlichen Zustand ein Ende machen müßten. Ein langes Hin- und Herreden sollte der lieben Magda nicht den Schmelz und die Weihe der ernsten Sache rauben. Sie antwortete:

„Allerdings, Hoheit, will es auch mir scheinen, als ob Flemming eine keimende Neigung für Magda im Herzen habe. Ob eine Verbindung daraus entsteht, wer kann das wissen! Solche Fragen sind zu zart, als daß man bei den Beteiligten selbst einmal horchen könnte. Auch wissen die ,Leute‘ immer viel genauer, was vorgeht, als die Besprochenen selbst. Es wäre aber reizend, wenn uns der Winter diese Verlobung brächte.“

Damit hatte sie nach ihrer Meinung diplomatisch gesprochen.

„Eigentlich,“ sprach die Herzogin in ihrer schleppenden Art, „ist ein Hofkapellmeister keine standesgemäße Partie für eine Tochter Seiner Excellenz Ruhland. Aber der Herzog sagt, in unseren Zeiten sei das Genie hoffähig und adle, und Flemming könne nicht nur ein unsterblicher, sondern auch ein sehr reicher Mann werden. Unser Vetter wird ihm sicherlich eine Auszeichnung verleihen, nach der ,Zenobia’, der Herzog wird darauf dringen. Und das Kreuz unseres Hauses hat Flemming ja Neujahr schon bekommen …“

Sie seufzte. Die Damen waren ganz einer Meinung mit Ihrer Hoheit. Mit zwei solchen Auszeichnungen im Knopfloch und begnadet von der Gönnerschaft Seiner Hoheit, konnte Flemming immerhin als passende Partie für die Tochter eines Ministers a. D. gelten.

„Und dann,“ sprach die Herzogin langsam weiter, „glaube ich, daß es dem guten Flemming recht zu wünschen ist, daß er in die soliden Bahnen der Ehe einlenkt. Freilich, der Herzog sagt, solche Genies darf man nicht nach gewöhnlicher Moral messen.“

Sie sah ihre Damen ernst an. Wenn Seine Hoheit auch zuweilen etwas sagten, das sich mit den strengen Grenzen, welche der Moral an den Theeabenden gezogen wurden, nicht vertrug, so waren diese Ausnahmeansichten doch zu respektieren, eben weil sie von Seiner Hoheit kamen.

Die Damen bewunderten den weiten humanen Blick Seiner Hoheit und wußten so viel Geniales und Entschuldigendes von René Flemming zu erzählen.

Hortense lachte in sich hinein und sprach mit einer Miene, von der niemand entnehmen konnte, ob sie von Spott oder von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_744.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2023)