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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Deine Braut sitzt im Kranz und wartet auf Dich,“ drängte Märten.

Da siegte im Sekretarius das natürliche Recht über das papierne. Er band den Strick an das Fensterkreuz.

„Schnell! So ist’s recht! Nur herunter! Ich fange Dich auf – nun fort!“

Der Wachtposten, der in der schwülen, stillen Nacht unter dem Lindenbaum neben dem Hofthor eingeschlafen war, ermunterte sich und stolperte den davon Rennenden in den Weg. Er flog in den Gänseteich.

Jetzt wurde es lebendig.

„Mort de ma vie!“ fluchte es aus der Pfarre.

Es wurde geblasen.

Die in der Scheune Eingeschlossenen trommelten an das Thor. Die Einwohner stürzten aus ihren Häusern.

Ein Haufe Soldaten versperrte den Weg.

Jetzt sauste Märtens Keulenstock gegen die Klingen; klirrend flogen sie beiseite. Faustschläge regnete es. Die Püffe, die Märten heute morgen hatte unterdrücken müssen, kamen jetzt vervielfacht zur Verteilung.

Struve besann sich auf die Paraden vom Fechtboden; er hatte einen der niedergefallenen Säbel aufgehoben. Es kam über den jungen Mann der alte Student.

Die Dunkelheit und Verwirrung waren groß.

Märten zog ihn durch ein Seitengäßchen fort ins Freie. Hinter ihnen blieb der Lärm.

Im Dorfe kroch der Nachtwächter hervor, an allen Gliedern bebend. Sein Mund klapperte: „Es war der Lattermann!“

„Huh!“ schrie das Bauernvölkchen und stob in seine Häuser.

In der stockfinstren Nacht fanden sich die fremden Soldaten nicht zurecht. Einer lief wider den andern.

Von dem Hügel vor dem Dorf sahen die beiden Flüchtlinge die umherirrenden Laternen, die erhellten Fensterchen. Dann schritten sie eiligst von dannen.

Märten wählte Richtwege quer durch die hügelige Flur, die er von seinen Tagediebereien her kannte: vom Leimrutenlegen, vom Krebsen in trüben Wässerlein, vom Haselnüsseschlagen in fremdem Gehölz. Dabei erzählte er seinem geretteten Freund die Ereignisse des Tages, und daß er noch ein zweites Befreiungswerk vorhabe.

„Die Heymbrotin hat Dich gewarnt, das vergesse ich ihr nicht,“, sagte Märten. „Du aber darfst Dich nicht in Gefahr begeben, Struve! Den Weimaranern durchbrennen, die ihn vergewaltigt hatten, kann ein Bräutigam, der den Kranz schon auf dem Kopf trägt. Aber bei der Herrschaft einbrechen, das schickt sich nicht für einen Sekretarius.“

Aber der Sekretarius war zu ritterlich und dem Fräulein zu dankbar, um sich jetzt allein in Sicherheit bringen zu mögen.

Er wollte helfen, sie befreien.

„Dann ziehst Du Deinen Hochz’genrock link an, steckst die Perücke in die Tasche und machst Dir hier an dem Ast das Gesicht schwarz,“ entschied Märten.

„Das sind Diebsgebräuche,“ wandte Struve ein.

„Wir sind in der Notwehr, Struve!“ widersprach ihm Märten.

Da ließ Struve sich schwärzen.

Dann schritten sie wieder scharf aus.

Endlich deutete Märten in die nächtliche schattenhafte Landschaft hinein. „Der dunkle Streifen dort ist die Obstallee bei der Augustenburg.“ Er pfiff das verabredete Signal, der Ruf des Käuzchens, „Komm mit!“, klang durch die Stille.

Aus der Ferne antwortete es: „Komm mit!“

„Aha! der Junker ist auf seinem Posten!“

Unter den von unreifen Früchten tief herabgebogenen Bäumen hervor schlich eine dunkle Männergestalt.

Struve streckte ihm die Hand entgegen. Eiskalte Finger legten sich hinein.

„Will Er sich nicht auch schwarz machen?“ fragte Märten.

„Nein!“ stieß Eichfeld zwischen den Zähnen hervor. „Am liebsten wäre es mir, ich könnte dem ganzen Schlangengezücht auf der Augustenburg offen entgegentreten.“

„Hoho!“ lachte Märten in sich hinein, „Er wird seine Courage schon noch brauchen können.“

„Hätten wir nur Pferde!“ murmelte verzweifelt Konrad.

Märten schüttelte den Kopf. „Die Hufschläge verrieten uns, und der Stallmeister ist ein so guter Reiter wie Er.“

Dann übernahm er das Kommando, wie sonst bei seiner Rotte barfüßiger Burschen, wenn sie den knickerigen Kaufmann spät abends herauspochten und dem dicken Bierbrauer die vor der Thür lagernden Fässer ins Rollen brachten.

„An die Rückseite! In den Graben, der unter Weiden und Erlen hinter dem Garten hinläuft. Du, Struve, spielst den Kauz und pfeifst: ,Komm mit!‘, wenn’s dort nicht geheuer wird, damit wir den Rücken frei behalten! Voraus, Junker! Er kennt hier den Weg!“

Beide schlichen vorsichtig die Mauer entlang.

Da war das schmiedeeiserne Thor, das aus dem Garten nach dem von Erlen und Weiden umbuschten Wassergraben führte.

Eichfeld prüfte das festverschlossene Gitter. Aber Märten stellte sich fest auf und hob einen Flügel heraus wie Simson die Thore der Stadt.

Sie schlichen hinein in die dunklen Laubgänge.

„Dort ist der Mann mit der Ofengabel,“ flüsterte Märten. „Da geht das Pförtchen in das Schloß, aus dem Fieke immer kam.“

„Und dort drüben –“ flüsterte atemlos Konrad; er konnte nicht weitersprechen.

Im ersten Stock war ein Fenster matt erhellt. Es zeigte eine bunte Glasmalerei, ein Heiligenbild: St. Walpurgis.

„Komm mit!“ pfiff Märten.

Ein Schatten glitt an das Fenster. Leise pochte ein Finger daran.

Märten zog ein Stemmeisen aus der Tasche und schob es unter die Thür. Ein Knirschen – sie hob sich. Er stellte sie beiseite wie eine Papptafel. „Voran, Junker!“ Sie verschwanden in dem schmalen Gang.

Droben in der Mansarde zog sich ein blasses Männergesicht vom Fenster zurück.

Die beiden jungen Einbrecher schlichen sacht von dem engen Treppchen auf den breiten Hauptkorridor hinaus.

Eichfeld flog auf eine reich mit vergoldetem Zierat bedeckte Thür zu.

„Kiliane!“ flüsterte er durch das Schlüsselloch.

„O Gott, Konrad!“ klang es leise heraus.

Märten schob den Junker beiseite und drehte die kleine Blendlaterne auf.

„Hobelspäne!“ murmelte er, die Thürflügel beleuchtend. Dann stemmte er die Achsel an das Mittelfeld – ein Krachen! Mit einem starken Ruck flog die zierliche Thür in Stücke.

Kiliane erschien. Mit entsetzter Gebärde deutete sie auf den daneben liegenden gelben Saal. „Der Gang! Man kommt!“

„Heiliger Gott! Der Spiegel!“ knirschte Eichfeld. „Fort!“ winkte er Märten und Kiliane zu. „Ich komme nach.“ Er griff in die Brusttasche und stürmte in den gelben Saal.

Märten faßte ohne weiteres Kiliane am Arm und zog sie das Treppchen hinab. „Ein Mann findet sich schon zurecht, wenn ihm das Weibsvolk aus dem Wege geschafft ist,“ raunte er ihr gröblich zu.

Droben drehte sich vor dem eintretenden Eichfeld der trotz der Dunkelheit matt glänzende Spiegel, und ein leichenblasses Männergesicht erschien in der schwarzen Höhlung.

Zugleich knackte das Schloß einer Pistole.

„Ein Schritt noch, ein Laut,“ keuchte der Junker, „und Er ist ein Kind des Todes.“

Wenn er Severin zurückdrängte in den geheimen Gang, den Spiegel schloß!

War kein Möbelstück da, um es davor zu schieben? Nein, nur dünnbeinige Tischchen und Stühle.

„Komm mit!“ pfiff es unten.

Er mußte fort. Aber wandte er sich, so war der andere ihm auf den Fersen und schlug Lärm. Unruhig suchend flogen seine Augen umher.

Da fiel von seiner Rückseite her Lichtschein.

Timotheus trat auf weichen Pantoffeln vom Korridor herein, eine brennende Kerze in der Hand.

Eichfeld gab sich verloren. Die beiden sollten es mit sein. Er hob abermals die Pistole.

Aber als habe Märten sich unsichtbar gemacht gehabt, als seien die Thürtrümmer nicht draußen im Korridor verstreut gewesen, als wäre Timotheus mit Blindheit geschlagen und sähe das Mordwerkzeug nicht, so wandelte der behäbige Mann auf die Spiegelwand zu. Nur im Vorbeigehen sagte er zu Eichfeld: „Was

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_738.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2023)