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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Auch die Oberhofmeisterin kam aus dem Zimmer der Fürstin. „Das Neueste!“ keuchte sie. „Seine Durchlaucht gehen in die Bäder nach Aachen für längere Zeit.“

Ueber Fächer und dreieckige Hüte flogen bedeutsame Blicke. Dann begann ein eifriges Flüstern.

„Endlich die Hände frei“ – „der Justizienrat ist gefügig“ – „der Rentamtmann wird sich finden lassen.“ – „Aber dieser unbequeme Sckretarius, der immer alle praktikablen Wege mit einem Gesetzbuch vermauert“ – „der rücksichtslose Superintendent, der auf seiner Kanzel die geheimsten Vorgänge ans Licht zieht!“

Kiliane sah verächtlich auf die Gruppen. Sie wußte, welche Fäden da gesponnen wurden.

O, man würde die Fürstin zu bearbeiten, aufzuhetzen verstehen! Was alles war nicht schon einer Hofintrigue zum Opfer gefallen! Da gab es Nadelstiche, die einen ehrenhaften Mann zur Verzweiflung treiben konnten, heimliche Gruben, in die man ihn fallen ließ.

Der einzige, der an dem Gezischel nicht teilnahm, war Eichfeld; aber – er hielt sich den schweren Kopf. Was half sein gerader Sinn? Sie wehte verzweifelt mit dem Fächer.

„Dem Fräulein ist zu heiß,“ rief einer der Kavaliere. „Darf ich Kühlung zuwehen?“ Er spitzte die Finger nach ihrem Fächer.

Sie schlug ihn damit.

„Ist der Flor zu lästig?“ fragte der Stallmeister und faßte nach dem spinnwebdünnen Gewebe, das ihren Hals umhüllte.

Eichfeld wurde rot und blaß. Seine Hand lag am Griff des Degens.

Der erste Kammerherr klopfte ihn auf die Schulter. „Jaloux auf das Fräulein von Heymbrot. Ridicule!“

Sie hatte es gehört. „Ja wohl, lächerlich! Das wissen die Leute am besten, die vom Eulenschrei bis zum Hahnenkrähen vor einer Mansardenthür Schildwache gestanden haben,“ sagte sie in beißendem Tone.

Der Kammerherr lachte frivol. „Eh! Jetzt steht keine impertinente Thür zwischen uns“ – er breitete geziert die Arme aus.

„Mir schuldet das Fräulein noch eine Locke,“ rief von der andern Seite der Stallmeister.

„Eine Busenschleife mir,“ behauptete ein anderer.

„So kassieren Sie Ihre Außenstände ein,“ rief Kiliane mit einem Lachen, das frisch klang bis zur Eiseskälte. „Die Jagd beginnt! Allons!“

Sie lief davon unter den ausgebreiteten Armen des Kammerherrn hinweg, die Männerschar nach.

Eichfeld wollte ganz verzweifelt die Verfolger aufhalten; aber, verstrickt in das Getümmel, vermochte er es nicht.

Die Jagd ging um ihn herum wie um einen Baumstamm.

Atemlos, glühend flog Kiliane voraus um die verschnörkelten Steinvasen, daß die Orangenbäumchen, welche daraus sich erhoben, einen Blütenregen herabschüttelten, um die Tische, auf denen bereits die zierlichen Täßchen, das Löffelbiskuit standen. Der Puder stäubte, die Stöckel klapperten – sonst kein Laut.

Da – plötzlich – ein Klopfen mit dem Stabe – und wie angewurzelt steht das Gefolge, die erhitzten frivol lachenden Gesichter in ehrfurchtsvolle Falten gelegt, die eben noch ausgestreckten Hände auf Herz und Degen gedrückt, die eben noch springenden Füße nun in der ersten Position, die Köpfe demütig gebeugt: Ihre Durchlaucht erscheint.


An einem schönen Maientag, da der Himmel sich blau über grüner Flur und blütenbedeckten Obstbäumen wölbte, rasselte der Reisezug des Fürsten zum Thor hinaus.

Vorreiter, Kuriere mit Trompeten, Leibjäger und Leibtrabanten, Kammerherren, Reisemarschall, Leibarzt und Geheimschreiber zu Pferd, zu Fuß, zu Wagen bildeten ihn.

In ihrer Mitte bewegte sich die Kutsche, das Verdeck von einer Schnur frisch gemalter Wappen umgeben, gezogen von einem mit Federbüschen geschmückten Sechsgespann, die Trittbretter besetzt mit Lakaien und Pagen.

Es war noch immer ein schönes Gesicht, das sich in dem Fenster der Karosse zeigte; aber ein Ausdruck lag darauf wie hereinbrechender Nebel auf fröhlichem Gefilde.

Die Augen des Fürsten hafteten an dem Banner, das ihm noch einmal nachwinkte vom hohen Turm, während es langsam eingezogen wurde. Der Fürstenhut war darauf gestickt, der lang’ und heiß erstrebte. Ein Lächeln flog über die feinen Züge – war’s Spott? War’s Wehmut? –

In dem kleinen Flüßchen, durch das die Landstraße nach Gotha ging, stand Märten, auf eine Steinpicke gestützt, mit welcher er hatte die Furt gangbar machen helfen, und sah der hindurchwankenden Kutsche zu, welche die Trabanten an beiden Seiten mit ihren umgekehrten Spießen stützten. Die Kappe brauchte er nicht abzunehmen, da er keine trug.

„Gafft doch nicht so unverschämt in den Wagen,“ mahnte leise ein alter Mann, während er sich tief gebückt hielt. „Der Herrschaft gegenüber schlägt man die Augen nieder.“

Märten sah ihn über die Schulter an. „Das mag gut sein für einen alten abgesetzten Bedienten wie Ihr. Ein richtiger Mann, der nichts verbrochen hat, kann offen und ehrlich jedem in das Gesicht sehen.“

„Aber Eure Offenheit ist so groß, daß sie wie Unverschämtheit aussieht,“ rügte ein Scharwächter, der den Zug bis vor das Thor geleitet hatte.

„Hebt Eure Beschwerde über meine Unverschämtheit auf, bis ich Euch einmal durchgewalkt habe, wenn Ihr nachts über Eure eigenen Beine stolpert,“ war die grobe Antwort.

Dann schwang Märten die Steinpicke über die Schulter, goß seine Holzschuhe aus und ging mit Siebenmeilenstiefelschritten davon.

Die Leute waren seinen Grobheiten gegenüber zurückgewichen; nun schimpften sie hinter ihm her.

„Der lange Schlagetot, der von je der Stadt zur Last gefallen ist!“ „Nirgends hat er gut gethan, hat in keiner Lehre ausgehalten,“ murrten Seiler und Tuchmacher, die mit Rad und nassen Tuchpacken auf den Anger zogen.

„Dafür ist er der Nachkomme des Rädleinsführers, der im Bauernkrieg am hänfenen Strick gen Himmel fuhr,“ keifte eine Bürgersfrau im runden Thüringer Kragenmantel.

„Wenn Sie das noch einmal sagt, Frau Krautwurstin, dann sehe Sie zu, wer Ihr die schiefe Hüfte zurecht polstert,“ unterbrach sie eine belfernde Stimme, und Fieke trat hervor, den einen Arm kampflustig in die Seite gestemmt, am andern ein Handkörbchen, aus dem die riesige Schneiderschere und Schnittmuster hervorsahen. Sie war auf dem Weg zur Arbeit und hatte auch ein wenig gucken wollen. „Was kann Märten dafür, daß sein Ur-Ur-Urgroßvater mit dem aufrührerischen Haufen unter dem Pflugrad gezogen ist? Was hat die Stadt schon für ihn gethan, Meister Blautöpfer? Halb verhungern lassen hat sie das Nest voll Kinder, dieweil der Vater, der kranke Tagelöhner, nichts verdienen konnte; hat nicht danach gefragt, als die arme Brut sich in alle Welt verlief wie ausgesetzte Katzen. Und warum hat Märten nicht in der Lehre ausgehalten, Meister Tuchscherer? Wenn er bei meinem seligen Vater auf dem Schneidertisch saß, ragten seine Beine bis in die Kammer; in den großen Fingern verkrochen sich die Nadeln; und wenn ihm mein Vater eins mit der Elle überzog, wie es sich für einen Lehrling gehört, lachte er, als ob ihm der Buckel gekraut würde. Ist es erhört, daß ein Magistrat so wenig Einsehen hat und einen solchen Menschen zum Schneider machen will?“

Sie holte frisch Atem. „Wollt Ihr ihm etwa das Mauertürmchen vorwerfen, in dem er seit dem Tode meines Vaters untergekrochen ist? Wo seit Menschengedenken niemand und nichts gehaust hat als die alte Kartaune? Wo er hätte verschimmeln können, wenn ihm nicht der Herr Sekretarius Struve ein Windöfchen aus seinem Haus und das Abfallholz aus seinen Gärten geschenkt hätte! Eure Wohlthaten trägt eine Mücke auf dem Schwanze fort.“

Sie machte sich patzig mit den Ellbogen Platz durch die abgetrumpften Leute. Schon im Davongehen rief sie noch zurück: „Aber daß das Stangenpferd stolperte, als die Kutsche zum Thor hinaus fuhr, ist kein gutes Vorzeichen.“


Struve hatte mit den andern Räten und Dienern dem abreisenden Herrn die letzte Verbeugung gemacht.

Man hatte lange stehen müssen, denn Verspätung gehörte zur Vornehmheit. Nun zogen alle nach Haus, die einen gehoben durch den ihnen im Vorzimmer angewiesenen Platz, die andern mit roten Köpfen, weil sie nur für die große Vorhalle würdig befunden worden waren. Am Hofe wird um eine Rangstufe heißer gestritten denn um einen Sitz in Abrahams Schoß.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_599.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2022)