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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

loderte unter ihrem Schutze ein Feuer auf, das so erfolgreich genährt wurde, daß das Kaffeebrauen bald in höchster Blüte stand und wir rasch genug über die nächsten zwei Stunden hinwegkamen. Das Signal „An die Gewehre!“ machte kurz nach drei Uhr der Situation und dem Humor gleichzeitig ein Ende, denn wir waren zur Avantgarde befohlen und mußten sofort antreten.

Immer noch im strömenden Regen ging es nun unaufhaltsam vorwärts auf sandigen Waldwegen, über aufgeweichte Feldwege, durch Dörfer hindurch wieder in den Wald hinein, in einem Eilmarsche, der uns endlich gegen 9 Uhr bei der Bienwaldshütte an die Lauter und damit an die französische Grenze brachte. Schon seit einiger Zeit hatten wir geglaubt, von der rechten Flanke her Geschützfeuer zu hören, als wir aber jetzt mit jubelndem Hurra die Grenze mit ihrem Flüßchen und den dahinter liegenden, gut ausgebauten merkwürdigerweise aber nicht vom Feinde besetzten Erdwerken überschritten hatten, da scholl deutlich der Kanonendonner aus der Gegend von Weißenburg zu uns herüber. Die rechte Flügelkolonne unserer Armee, die Bayern, mußte dort auf den Feind gestoßen sein. Doch wir wollten auch dabei sein, und als wir nun die große Lauterburg-Weißenburger Landstraße erreicht hatten, ging es ohne nur einmal anzuhalten im Geschwindschritt eine gute Stunde lang auf den Lärm der Schlacht zu.

Hier auf der vorzüglich gehaltenen breiten Staatsstraße war es uns Zugführern erst wieder möglich, uns etwas näher um den Zustand unserer Leute zu bekümmern, und wir bemerkten zu unserer Freude, daß sie sämtlich mit Ungeduld dem ersten Zusammentreffen mit dem Feinde entgegensahen. Zwar hatte der forcierte Marsch bei der großen Hitze – denn seit ungefähr acht Uhr hatte der Regen aufgehört und die Augustsonne stach erbarmungslos herab – sehr hohe Anforderungen an ihre Leistungfäigkeit gestellt und die körperliche Abspannung war deutlich auf manchem Gesicht zu lesen, aber trotzdem blieb kein Einziger zurück. Auch Tilmanns nicht, der am wenigsten seine große Ermüdung verbergen konnte und beständig die eine Hand unter den gerollten Mantel geschoben hielt, um den Druck desselben auf die Brust zu lindern. Ich war sofort neben ihm und sprach ihm ermutigend zu:

„Geben Sie mir ’mal Ihr Gewehr her, Tilmanns, und nehmen Sie den schweren nassen Mantel ab, der schnürt Ihnen ja den Atem weg. Nur immer Courage, Mann. Sie werden mir doch heute nicht ausspannen wollen?“

„Gewiß nicht, Herr Lieutenant! So lange mich meine Beine tragen bleibe ich nicht zurück!“

„Na, na,“ mischte sich der Feldwebel mißtrauisch ein, „die Beene, die werden doch woll nicht! Denen ist doch heute sicher keine pfälzer Weinstütz’ zu nah’ gekommen?“

„Es geht jetzt auch schon wieder viel besser, Herr Feldwebel. Nur der Mantel, der hat mich so furchtbar gedrückt!“ Und wirklich schien sich der Gefreite zusehends zu erholen, seitdem ich ihm die Flinte trug und er nach Abnehmen des quälenden Ausrüstungsstückes wieder freier atmen konnte.

Links ab von der Landstraße bogen wir jetzt, und nach einem weiteren Marsch von einer halben Stunde bergauf über Felder und zuletzt mit einer scharfen Rechtsschwenkung durch einen Busch hindurch, traten wir in Angriffskolonnen-Formation auf den freien Hügelkopf hinaus. „Gewehr ab! Nieder!“ kam das Kommando! Vor uns lag ein weites Thal, in dessen Grund sich die französischen Schützen längs einer Straße eingenistet hatten, und uns gegenüber auf zwei Anhöhen sahen wir ihre Kolonnen massiert, Geschütze und Mitrailleusen aufgefahren. Wir hatten den rechten Flügel der feindlichen Aufstellung umgangen, denn die Höhen vor uns waren der mit Weinbergen bestandene Schafbusch und dahinter der von starken Gebäuden, einem Gehöft und einem festungsähnlichen Schloß gekrönte Geisberg. Von Weißenburg selbst war nichts zu sehen, wohl aber konnten wir aus dem heftigen Geschütz- und Gewehrfeuer auf das hitzige Gefecht schließen, welches dort entbrannt war.

Viel Zeit, um Terrainstudien zu machen, wurde uns übrigens nicht gelassen, denn die Herren Tirailleure da unten hatten uns bemerkt und benutzten die Gelegenheit, ihre überflüssigen Patronen möglichst schnell los zu werden. Das war wenigstens der ganze Erfolg, den sie mit ihrem Schnellfeuer erzielten, mit welchem sie auf mindestens 1500 Meter Entfernung das „Herschießen“ eröffneten. Verluste verursachte uns dasselbe nicht, dagegen hätte es den Vorteil fur uns, daß unsere Leute sich an das unheimliche Pfeifen der Kugeln gewöhnten und rasch die Ueberzeugung gewannen, daß Schießen und Treffen zwei sehr verschiedene Dinge sind. Da indes von einem „Hinschießen“ unsererseits bei dieser Entfernung keine Rede sein konnte, so befanden wir uns bald im vollen Avancieren, wobei die ganze Compagnie ausgeschwärmt war.

Als droben am Waldrand der Befehl zum Vorgehen gegeben wurde und ich bei dem „Auf!“ unseres Premiers vor die Mitte meines Zuges eilte, war plötzlich hinter mir einer meiner Leute zusammengebrochen. Beim Umwenden hatte ich eben noch gesehen, wie sich der Lazarettgehilfe über den regungslos daliegenden Gefreiten Tilmanns beugte, dann waren wir vorwärts gestürmt. Wenige Minuten später – wir waren gerade in einem kleinen Hohlweg angelangt, wo wir die Tornister ablegten – hatte uns der Lazarettgehilfe wieder eingeholt, was mich in der Annahme bestärkte, daß wir den unglücklichen Gymnasiallehrer als ersten Gefallenen auf die Verlustliste würden setzen müssen. Der erste Gefallene! – ein nicht zu beschreibendes Gefühl durchrieselte mich vom Kopf bis zu den Füßen bei dem Gedanken, wie viele weitere am heutigen Tage dem ersten noch zugesellt werden würden, vielleicht ich selbst.

„Tot?“ fragte ich halblaut.

„Ohnmächtig, Herr Lieutenant!“ kam laut und bestimmt die Antwort.

„Was?“ fragte ich nochmals, aber scharf. „Ohnmächtig! Nicht einmal verwundet?“

„Keine Spur! Nicht angekratzt; glatt ohnmächtig!“ Fast hätte ich mich meiner Gefühlsanwandlung geschämt, als ich in die mir wie belustigt zugekehrten Gesichter meiner Leute blickte; da aber brach der Feldwebel los:

„Jawoll, Herr Lieutenant, einfach ohnmächtig! Da haben Sie den Drückeberger, Herr Lieutenant! Aber ich habe es Ihnen gleich gesagt, Herr Lieutenant, sobald es knallt, fällt Der um und bleibt liegen. Das ist die richtige Sorte, so feine Herren haben zarte Nerven, Herr Lieutenant ....“

„Donnerwetter, Feldwebel, lassen Sie mich zufrieden mit Ihrem ewigen Herr Lieutenant! Ich wollte ....“ Was ich eigentlich wollte, wußte ich wohl selbst nicht recht, aber ich glaube, ich hätte dem Tilmanns mit dem größten Vergnügen eine derartige Portion einer Mitrailleusenladung in den Leib gewünscht, wie er sie nur irgendwie hätte vertragen können, ohne daran zu sterben, nur um dem Feldwebel mit seinem unvermeidlichen „Drückeberger!“ nicht recht geben zu müssen.

Die vorderste französische Schützenkette hatte sich auf die zweite an der Chaussee zurückgezogen, sobald unsere Zündnadeln angefangen hatten, kräftig unter ihr aufzuräumen, und manche Rothose war auf dem Felde liegen geblieben. Aber auch auf dem Abhang, den wir im sprungweisen Vorgehen heruntergekommen waren, konnte man deutlich die dunklen Körper bemerken, welche den von uns zurückgelegten Weg bezeichneten. Jetzt lagen wir in leidlicher Deckung im Feuergefecht höchstens 200 Schritt vor der starken feindlichen Position und warteten auf das Herzukommen unserer Soutiens, um dieselbe mit Sturm zu nehmen, als Schmidt, der sich nach rückwärts umgeblickt hatte, plötzlich ausrief: „J, da soll mich doch ...! Ich will dem Napolium heute noch die großen Stiebel ausziehen, wenn da nicht unser Drückeberger ankommt! Na, ich sage kein Wort mehr, Herr Lieutenant!“

Es war in der That Tilmanns, der mit vollem Gepäck abwechselnd im kurzen Laufschritt und im Schritt halbwegs zwischen uns und den mit schlagenden Tambours geschlossen anrückenden Soutiens über das vom heftigsten feindlichen Feuer bestrichene Feld herankam. Als er mich erkannte, ging er mit angefaßtem Gewehr ruhig auf mich zu; offenbar wollte er sich vorschriftsmäßig bei mir melden. Das aber war mir doch, trotzdem ich mir selbst eine gute Dosis kaltblütiger Ruhe zutraute, zu arg, und ich schrie ihn an:

„Donnerwetter, Herr, sind Sie toll geworden? Scheren Sie sich in die Deckung hinein und legen Sie Ihren Tornister ab!“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“ und damit blieb er stehen und fing ohne besondere Eile an, die Tornisterriemen loszuhaken.

„Schock Schwerenot, Herr! In die Deckung sollen Sie sich hinein scheren! Haben Sie mich verstanden?“

„Zu Befehl, Herr Lieutenant! Aber das lohnt sich doch kaum mehr der Mühe. Wir gehen ja eben zur Attacke vor.“

Seine Gelassenheit machte mich ganz wild; allein er hatte recht, die geschlossenen Halbbataillone waren in gleicher Höhe mit uns angelangt und im „Marsch-Marsch! Hurra!“ ging’s zum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_528.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)