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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Freund Sepp.
Zeichnung von W. Leo Arndt.


nun ihrerseits die von der Natur ihr auferlegten Pflichten der Erhaltung der Art zu übernehmen.

Freilich glückt es nicht jeder jungen Larve der Maurerbiene, ihre volle Entwicklung zum fertigen Insekt zu erleben; wer die Ausdehnung des Schmarotzerwesens im Tierreich kennt und z. B. weiß, daß selbst im Wasser lebende Insekten nicht verschont bleiben von den Angriffen des heimtückischen Parasitenvolkes, der wird sich nicht wundern, daß auch die Steinfestung, die unsere Maurerbiene sorglich schützend um ihre junge Brut baut, diese nicht vor Verderben zu wahren imstande ist. Schon während die Mutterbiene eifrig die fertiggestellte Zelle mit Futterbrei füllt, droht das Verderben, und so sehr sie sich sputet, die Zelle, in die sie am Schluß das Ei gelegt, zu schließen, so gelingt es doch dem einen oder anderen Feind, sein Kuckucksei hineinzupraktizieren. Ja, selbst wenn die Larve durch die manchmal mehrere Millimeter dicke Steinhülle nach außen hermetisch abgeschlossen erscheint, verstehen es andere Feinde, mit ihrem Stachel die schützende Wand zu durchbohren und ihr Schmarotzer-Ei anzubringen. Nicht weniger als 16 beträgt die Zahl der Parasiten, die wir aus den Nestern der Maurerbiene gezogen haben, zum Teil sind es Bienen selbst, dann Schlupfwespen und Käfer, und auch die Natur selbst trägt dazu bei, manchen Keim zu zerstören; in vielen Nestern finden mir vertrocknete Larven oder bereits entwickelte Insekten, die augenscheinlich infolge besonderer klimatischer Verhältnisse zu Grunde gegangen sind.

Wir haben lange bei dem Lebensgang der Maurerbiene geweilt; er mag als Prototyp gelten für diese einzelstehenden Hautflügler und ihre Art und Weise, für ihre Nachkommen zu sorgen. Zahlreich sind die Vertreter dieser Sippe, aber jede Art besitzt ihre eigene Ueberlieferung, nach welcher sie der jungen Nachkommenschaft ihr wohnliches Haus bereitet. Die Wahl des Ortes, der der jungen Larve zur Geburtsstätte dienen soll, das beim Bau zur Verwendung kommende Material, die ausführende Technik sind fast stets mehr oder weniger verschieden; immer nur ist das Prinzip gewahrt, die Zelle, die das heranwachsende junge Leben und die Nahrung der Larve enthält, möglichst vor äußeren Gefahren zu sichern.

Unsere Maurer- oder Mörtelbiene unterscheidet sich von ihren in der Lebensweise ihr nahe stehenden Verwandten wesentlich dadurch, daß sie ihr Nest, wenn dieser Ausdruck für den von ihr angefertigten Zellenbau erlaubt ist, stolz ganz frei an eine Wand befestigt, allen sichtbar, die zu sehen verstehen und doch sind die Inwohner der Zellen geschützt durch die Festigkeit und Härte des zum Bau verwendeten Materials, welches Hammer und Meißel zum Loslösen des Nestes erfordert. Wohl bauen auch andere Bienen, z. B. Vertreter der Gattung Osmia, freie Zellen, allein mit Vorliebe wählen sie Winkel und Klüfte des Gesteins, die durch die Zellen ausgefüllt werden, ohne daß diese selbst zu sehr der Entdeckung und dem Einfluß äußerer Witterung ausgesetzt sind.

Die Mehrzahl dieser Einzelbienen aber sucht sich ein stilles verborgenes Plätzchen zum Bau der Zelle, welcher sie ihr Ei anvertraut. Wenig wählerisch sind in der Wahl dieses Ortes wiederum Vertreter der artenreichen Gattung Osmia; das Material, welches diese Bienen zur Herstellung ihrer Zellen verwenden, ist Lehm, und so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_477.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)