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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Steinhäuser, viele drei bis vier Stockwerke hoch, sonst eine Seltenheit in kleineren Städten des Orients. Die Fronten derselben sind mit erkerförmig hervorragenden großen Fenstern und Balkonen übersät, aus kunstvoll geschnitztem und mosaikartig fein gefügtem Holzwerk. Von fernher sieht es aus, als ob die Wände ganz mit zierlichen Vogelbauern vollbehangen wären. An Stelle der Glasscheiben sind sie mit netzartigen, feinen Holzgittern versehen. Auch das Innere dieser Häuser ist schön, geräumig und luftig angelegt, besonders die große Empfangshalle im Erdgeschoß, die zumeist mit Stuck und Schnitzwerk reich verziert ist.

Unser Bild, S. 458, zeigt nur eine vom Centrum abgelegene einfache Seitengasse. Am Meere aber und in der Nähe der Bazare giebt es wahre Paläste, deren Anblick auch solchen imponiert, die von der Welt mehr gesehen haben als das östliche Uferland des Roten Meeres.

Außerhalb der Stadt, dicht vor dem Medinathale, befindet sich ein eigentümlicher Bau, das Grab unserer Mutter Eva. Eine hundert Meter lange, wenig breite Einfriedung von weißem Stein, die nach der mohammedanischen Anschauung dem Körperumfange der hier ruhenden Verstorbenen, demnach einer sehr stattlichen Dame, entsprechen soll. Darüber erhebt sich, nicht ganz in der Mitte, etwas näher dem Fußende zu, unter einer Kuppel ein viereckiger, mit Inschriften bedeckter Stein. Arme Eva, geboren im Paradiese, gestorben und begraben zu Dschedda! Allein begraben im heißen Sande, nicht einmal im Tode vereint mit ihrem Gemahl, mit dem sie Freud’ und Leid geteilt während eines langen, musterhaften Ehelebens, denn Adams letzte Ruhestätte befindet sich irgendwo droben in Syrien, während ihr mißratener Sohn Kain in Aden liegt. Für die Besichtigung dieses Heiligtums muß man den Wächtern ziemlich viel bezahlen.

Hier versammeln sich auch die Pilgerkarawanen für den Zug nach Mekka, der heiligen Stadt. Auf dem sonst öden Plan stehen Zelte von allen Farben und Gestalten, von der bescheidenen Bude des Tabakshändlers bis zum prächtigen Pavillon des Paschas. Neben den großen weißen Kamelen aus Syrien nehmen sich die arabischen wie Klepper aus; jene schütteln gravitätisch ihre Glocken und die hohen Sänften, die sie tragen müssen. Perser, Türken und Kurden lärmen in wilder Lustigkeit. Andere, ermüdet von der langen Reise, lagern in Gruppen am Boden. Beduinen und Händler treiben Schafe und Ziegen zum Verkaufe, Sorbet- und Tabaksverkäufer preisen laut rufend ihre Ware an. Eifrige Wallfahrer, die, vom Drange der Frömmigkeit getrieben, den Aufbruch nicht mehr ruhig erwarten können, kriechen zwischen den Beinen der Kamele herum und stolpern über Stricke und Zeltpflöcke. Arabische Häuptlinge reiten auf edlen Rossen würdig umher und ihre Diener führen zur Ehre und zum Vergnügen der Pilgerkarawane einen Kriegstanz auf. Andere schießen ihre Flinten ab, verbrennen Pulver, schwenken ihre Säbel in der Luft umher oder werfen Speere, die mit Straußenfedern verziert sind. Vornehme Männer lassen sich durch ihre Läufer einen Weg durch die wirre Menge bahnen, während arme, abgehungerte Leute ächzend einen stillen Winkel aufsuchen, um dort ungestört auszuruhen und vielleicht zu sterben.

Nachdem endlich zur festgesetzten Zeit alle beisammen, die vom Islam vorgeschriebenen Gebräuche verrichtet und die üblichen Gebete hergesagt und hergesungen sind, setzt sich die Karawane langsam in Bewegung. Gewöhnlich bricht sie gegen drei Uhr am Nachmittage auf und während des Zuges darf die Ordnung und Reihenfolge nicht verändert werden. Die ganz Armen gehen zu Fuß am Pilgerstabe. Wer über einige Mittel verfügt, reitet auf Esel, Maultier oder Kamel, wohlhabende Leute auf Dromedaren. Die als Bedeckung die Karawane begleitenden Soldaten sind zu Pferde, Frauen, Kinder und Kranke sitzen auf dem Gepäck. Sehr reiche Pilger haben schöne, sogar zum Teil vergoldete Sänften und neben denselben gesattelte Rosse. Der halbnackte Takruri trottet neben den prächtig aufgeschirrten Kamelen des Paschas. Alles ist in hohem Grade bunt und farbig. Später fehlt es dann allerdings nicht an mancherlei kleinen und großen Un- und Ueberfällen, namentlich während der Nachtwanderungen, denn die räuberischen Beduinenstämme im Heiligen Lande halten keinen Gottesfrieden. Man zieht aber doch die Nacht für die Reise vor, teils um nicht während der in den Sommermonaten unerträglichen Tageshitze und Sonnenglut zu wandern, teils auch weil der Prophet gesagt hat: „Beginne Deine Reise, wenn es dunkel ist; denn was häßlich ist auf der Erde, Schlangen und wildes Getier, siehst Du nicht bei Nacht.“ Dieser Rat mag ja „schwachen Nerven“ allerdings manche Erregung ersparen, praktisch indes ist er jedenfalls nicht. Zuweilen eben schläft nicht nur Vater Homer, sondern es irren sogar die Propheten.

Auch wir rüsten uns zum Aufbruch. Der Aufenthalt in Dschedda ist auf die Dauer keineswegs angenehm. Heiße Tage und qualvoll schlaflose Nächte! Tausende von großen Moskitos und Milliarden kleiner gelber Ameisen mit roten Köpfen machen jedwede Nachtruhe einfach unmöglich. Es ist schwer zu sagen, welche von den beiden Bestiensorten eigentlich bösartiger ist; die eine sticht, die andere beißt, das ist der ganze Unterschied.

Also fort – aber wie? Post- oder Passagierdampfer berühren diesen Strand nicht, es liegen nur Pilgerschiffe auf der Reede, die man bis Port-Said benutzen könnte, welche aber nach einigen Wochen erst abgehen. Auch sonst sind noch mancherlei Schwierigkeiten mit der Sache verbunden. Es sind durchweg gewöhnliche Frachtschiffe; die schlechtesten sogar, über welche die betreffenden Gesellschaften verfügen, besitzen weder Kabine noch Küche. Deck und oberer Laderaum werden mit Pilgern so vollgepfropft, als das Fahrzeug nur zu tragen vermag, um noch halbwegs über Wasser zu bleiben. Inmitten dieser unglaublich schmutzigen Gesellschaft eine Anzahl von Tagen zu verleben, hält wohl nur der für erträglich, der es noch nie versucht. Und in diesem Falle wird es viel länger dauern. In Tor muß jedes von Dschedda abfahrende Pilgerschiff 25 Tage lang Quarantäne halten. Ein wüster glühender Küstenstrich am Fuß des Sinai! Schlechtes warmes Trinkwasser, weder genügend Lebensmittel, noch Obdach, kein Schatten, nur Sand und Sonnenglut. Daß an Bord und in Tor unter den infizierten Pilgern die Cholera ganz sicher zum Ausbruch kommen wird, hätte an sich nicht sonderlich viel mehr zu bedeuten, aber jeder einzelne Cholerafall zieht immer wieder von neuem eine fünfundzwanzigtägige Quarantänefrist nach sich, und so kann es, wenn das Verhängnis besonders widrig ist, ein ganzes Jahr lang dauern, bis man endlich über den Kanal von Suez hinausgelangt oder in einen europäischen Hafen.

So lag ich eines Abends wieder im Sand am Ufer, sah ins weite Meer hinaus und dachte dabei an die Geschichte von Robinson Crusoe, die ich mit so viel Vergnügen gelesen einst in jungen Jahren.

Da kam ein Boot heran durch die Korallenriffe. Es führte die holländische Flagge und brachte Rettung. Ein Herr im weißen Tropenhelm entstieg demselben, kam an mir vorüber, grüßte englisch und, ich weiß nicht, wie es kam, wir gingen miteinander zur Stadt hinein. Der Rotterdamer Lloyd-Dampfer „Gelderland“, der ankam, um die hier anwesenden Pilger aus Niederländisch-Indien nach ihrer tropischen Inselheimat zu befördern, bot uns günstige Gelegenheit, nach Europa zurückzukehren.


Pfahlbauten.

(Mit Bild S. 461.)

Seit Boucher de Perthes in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts im Schwemmlande des Sommethales bei Abbeville die ersten Spuren des „diluvialen“ Menschen auffand, ist wohl kaum eine zweite Entdeckung von so weittragender und so fruchtbringender Bedeutung für die Erforschung und die Erkenntnis der Vorgeschichte unseres Geschlechts geworden als die Auffindung der Pfahlbauten im Züricher See durch Ferdinand Keller im Jahre 1854. Während jener Franzose aus dem geologischen Alter der Schichten, denen er die ältesten, aus Feuerstein geschlagenen Werkzeuge entnahm, nachwies, daß der Mensch in Europa als Zeitgenosse der heute ausgestorbenen großen Dickhäuter, des Mammut und Rhinoceros, gelebt hatte, lehrten Kellers Entdeckungen, daß bereits in früher Vorzeit eine Bevölkerung, der der Gebrauch der Metalle noch unbekannt war, ihre Wohnstätten auf Pfahlrosten im seichten Wasser am Rande der Schweizer Seen errichtet hatte, um sich und ihrer Habe, ihr Vieh und ihre Gerätschaften, im Kampfe ums Dasein vor den räuberischen Ueberfällen ihrer Mitmenschen zu schützen.

Diese Entdeckungen gaben Veranlassung, daß man den Spuren derartiger Vorkommnisse weiter nachging, und zwar mit solchem Erfolge, daß kaum ein Jahrzehnt nach Kellers Pfahlbaufunde allein in den Seen der Schweiz bereits gegen 200 Pfahlbaustationen bekannt waren. Hieran

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_459.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)